Alfred Rosenberg: Chefideologe Hitlers und «Kommunistenfresser»
Hamburg/dpa. - Schuldig in allen Anklagepunkten - Tod durch den Strang. Am 16. Oktober 1946 wurde der «Chefideologe des Nationalsozialismus» Alfred Rosenberg in Nürnberg gehängt. Die Ankläger beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher sahen in ihm «Hitlers Weltanschauungschef», den «geistigen Priester der "Herrenrasse", der die Lehre des Hasses schuf, die den Anstoß zur Vernichtung des Judentums» gab.
Das öffentliche Interesse an Hitlers Gefolgsmann Rosenberg ist im Vergleich zu anderen NS-Führungspersönlichkeiten wie Göring, Goebbels oder Himmler eher gering geblieben. Der Historiker Ernst Piper hat jetzt eine wissenschaftliche Biografie, gleichzeitig seine Habilitationsschrift, über Rosenberg vorgelegt.
Mit umfassenden und detailverliebten Passagen zur politischen Entwicklung in Deutschland, zum historischen Umfeld, zum Aufstieg der NSDAP ist Pipers Studie jedoch teils ein wenig langatmig. So beschreibt er zum Beispiel die Entwicklung um die Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner 1919, um schließlich zu dem Schluss zu kommen: «Alfred Rosenberg bewegte sich am Rande all dieser Ereignisse. Wie sie auf ihn gewirkt haben, ist nicht überliefert.»
Während in der zeitgenössischen Literatur Rosenberg noch als der ideologische Kopf der NS-Bewegung galt - Hitler war das Medium, mit dessen Hilfe Rosenberg die Bewegung dirigierte - beschreibt Piper, wie der Ideologe im Konkurrenzkampf von Hitlers Paladinen in den ersten Jahren stets den Kürzeren zieht. Im Poker um Macht und Einfluss unterlag der «Christentumshasser» und «Kommunistenfresser» bis zum Angriff auf die Sowjetunion seinen Konkurrenten. Erst mit der Vorbereitung des Unternehmens «Barbarossa» und dem Vernichtungskrieg im Osten schlug seine Stunde.
Mit dem selbst verliehenen Titel «Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP» wurde der Reichsleiter Rosenberg bei der Vergabe der Ministerposten gleich zwei Mal unberücksichtigt gelassen. Zuvor mit Ämtern in der Partei versehen, trat er mit der Ernennung zum Minister für die besetzten Ostgebiete in die erste Reihe der politischen Bühne.
Anhand von Quellen und Rosenbergs Schriften, der mehr als alle anderen aus dem NS-Führungskader zusammen publizierte, zeichnet Piper den Werdegang und die Ideenwelt von Alfred Rosenberg nach. Er dokumentiert seine außenpolitischen Ambitionen, sein Verhältnis und seine Vorstellungen zu Weltanschauung und Religion oder Wissenschaft und Kunst.
«Für den Künder der Rassenideale war wahre Kunst Ausdruck einer reinen Seele, Rassenmischung führte zum Verfall des schöpferischen Potenzials.» Bilanzierend schreibt Piper: «Der außenpolitische Vordenker war erfolgreicher als der Außenpolitiker, der Kunsträuber effizienter als der Ostminister. Rosenberg war der wichtigste Publizist des Nationalsozialismus und der bei weitem bedeutendste Proponent des Kirchenkampfes im Dritten Reich.»
Rosenberg wurde am 12. Januar 1893 in Reval geboren. Der Baltendeutsche war ein «typischer Vertreter jenes menschlichen Treibsandes, aus dem die nationalsozialistischen, völkischen, antirepublikanischen und antisemitischen Gruppen, Grüppchen, Diskussionszirkel und Aktionskomitees jener Jahre ihre Anhängerschaft rekrutierten». Er selbst wollte Vordenker der Bewegung sein. Er glaubte an die Möglichkeit und Notwendigkeit, die Seelen der Deutschen zu erobern.
«In dem titanischen Ringen um die Zukunft der arischen Rasse sah Rosenberg sich und seine Gedankenwelt in einer zentralen Rolle. Er empfand sich als Kopernikus des 20. Jahrhunderts, der im Kampf mit den Mächten der Finsternis dem "Bekenntnis zum deutschen Charakter und deutschen Seelentum" zum Sieg verhelfen wollte.» Mit der Hinrichtung als Kriegsverbrecher endete dieses Schicksal eines ideologisch pervertierten Intellektuellen.
Ernst Piper
Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe
Blessing Verlag, München
832 S., 26 Euro
ISBN 3-89667-148-0