Achim Reichel Achim Reichel: Couragiert, selbstbewusst und solo

Frankfurt/Main/dapd. - "Ich habe sowas noch niegemacht, und ich weiß gar nicht, ob überhaupt ein deutschsprachigerKünstler so eine Storyteller-Tour schon gemacht hat", erzählt der66-jährige Musiker im dapd-Interview. "Ja, und dann sagte mir meineKonzertagentur: 'Sag mal, 22 Konzerte sind ja beileibe nicht ganzDeutschland. Und wenn das von den Leuten derartige Wertschätzungerfährt, dann lass uns das mal fortsetzen.' Ja, und das machen wirjetzt."
Und so ist Reichel in diesem Herbst wieder unterwegs, erzählt vonden Anfängen des Rock'n'Roll in Hamburg vor 50 Jahren mit Starclubund Beatles, von den Rattles und Wonderland, wie er zum Solokünstlermit einem Faible für die Balladen der alten Dichter, Volksliedernach seiner und nicht der volkstümlichen Art wurde. "Es sind ebenkeine erfundenen Geschichten, sondern tatsächlich erlebtes Leben",sagt er. "Das macht es natürlich irgendwie extra spannend. Ich binda nicht mit irgendwelchen Ideologien unterwegs oder irgendwelchenBetrachtungen zum Zeitgeschehen, sondern ich erzähle nur, was mirpassiert ist in dieser fast fünf Jahrzehnte langen Karriere."Vielleicht schreibe er das irgendwann einmal auf und veröffentlichees als Autobiografie. "Da bin ich noch zu unruhig zu", meint er.
Nun könne er vom ersten Lied, dem Rattles-Starclub-Klopper "ComeOn And Sing" bis zum entspannten einzigen neuen Song im Programm,"Tut so gut", erzählen, wie sich alles so ergeben hat. "Bei mir istes ja auch so, dass ich ja oftmals auch musikalische Richtungenverändert habe. Und offensichtlich mögen die Leute, wenn man ihnenerzählt, was einen dazu getrieben hat." Am Anfang sei er da etwas zuredselig gewesen: "Als ich mir die ersten vier Konzerte hinterheranhörte, da habe ich echt gedacht: 'Oha! Junge, du darfst nicht soweitschweifig sein, du musst ein bisschen mehr auf den Punktkommen!'"
Nach Rattles - in den 60ern als "deutsche Beatles" gehyped - undWonderland mit dem Hit "Moscow" führten zwei Entwicklungen Reichelin die Solo-Laufbahn: Zum einen die "Demokratie" in einer Band, zumanderen das gescheiterte Projekt zusammen mit Freunden den"Starclub" in die 70er Jahre zu lotsen. Doch das Aufkommen derDiskotheken war das Ende für viele Clubs mit Live-Musik. "Da kannman sich ja echt am Kopf kratzen und denken: 'Sag mal, ist der insein Glück da so reingetapert?' Oder selbst scheitern war gut fürDinge, die dann da folgten? Ich komme mir manchmal echt vor wie einGlückskind, das so hier und da einfach so reingetapert ist."
Zwtl: "Hierzulande ein viel größerer Job zu erledigen"
Warum er schließlich zum Solomann wurde, erklärt Reichel so: "Eskommt natürlich auch noch dazu, dass eine Band ein demokratischesGebilde ist. Und da sind auch schon mal Sachen geschehen, dass dadrei oder vier Bandmitglieder vor einem stehen und sagen: 'Ja Achim,wir wissen, das gefällt dir nicht so, aber wir haben abgestimmt, undwir sind der Meinung, das solltest du machen.' Und ja" - Reichellacht - "dann merkte man dann irgendwann schon: 'Also Moment mal!Wir wollen zwar alle dasselbe, aber trotzdem habe ich das Gefühl,ich bin hier jetzt gerade fremdbestimmt worden.'" Und er habe andiesem Punkt der Entwicklung einfach wissen wollen, was in ihmsteckt, fügt er hinzu. "Wenn man mal schaut, was ich nach Rattlesund Wonderland so alles getrieben habe, das wäre als Band-Projektwahrscheinlich gar nicht denkbar gewesen."
Der Solomann Reichel wechselte dann auch die Sprache. Er habe mit"hereinbrechender Reife" ein Problem mit englischsprachigem Gesangbekommen. "Ich habe das Gefühl gehabt, eigentlich tue ich nur alsob. Also ich treffe die Töne, ich kann die Sprache, so, okay, undwir kriegen die Musik auch auf die Reihe. Aber spricht eigentlichauch mein Herz und meine Seele dabei? Oder merkt das gar keiner? Undda kam noch was anderes dazu. Es kam auch die Beobachtung dazu, dassich feststellte, dass Deutschland noch immer mit diversen, sehrheftigen Kulturbrüchen zu kämpfen hat." Hier sei Musik in ersterLinie ein Konsumartikel, in England und Amerika dagegen könne sieauch ein Lebensgefühl sein. "Mir wurde klar, dass hierzulandeeigentlich ein viel größerer Job zu erledigen ist jetzt für einenKünstler, wenn er's denn ernst meint. Ich meine, es gibt auchKollegen, denen geht's wirklich nur ums Geldverdienen, und diewollen solche Diskussionen gar nicht hören. Aber ich tick' da einbisschen anders. Und naja, wenn man dann bei sich entdeckt, daseinem halt zu einer Theodor-Fontane-Ballade 'Herr von Ribbeck' haltso eine Melodie einfällt..."
Zwtl: "Geknechtet und geknüppelt von den Auflagen und Formatenund Einschaltquoten"
Reichel wandte sich Shantys und Volksliedern zu und ließ sich vonzeitgenössischen Lyrikern Lieder schreiben. Das war sowohl in den70er als auch in den 80er und 90er Jahre außerhalb aller Formate. Erhabe da schon das Gefühl gehabt, dass es in den Medien dafür keinInteresse gegeben habe. "Weil sich jeder geknechtet und geknüppeltvon den Auflagen und Formaten und Einschaltquoten fühlt. Das kannman zum großen Teil verstehen. Nur: Wenn das nur geschieht und dieechten Sachen so mehr oder weniger im Verborgenen blühen, finde ichpersönlich das etwas bedauerlich. Ich finde das auch nicht sehrcouragiert und auch nicht sehr selbstbewusst."
Nach dem Erfolg von "Aloha Heja He" so gegen 1992 habe er es sichendgültig abgewöhnt, das Publikum ausrechnen zu wollen. Zehn Jahrehabe ein Band-Demo vergessen irgendwo herumgelegen, bevor es ihmnach einem Umzug wieder in die Hände gefallen sei. "Die Songs fürsnächste Album waren eigentlich schon fertig, und ich dachte noch,das ist aber auch irgendwie ganz hübsch. Mach mal eben so einen Textdazu und dann nimmst du es einfach mit, es kann ja nicht schaden.Und 'Aloha He' ist ja nun auch was anderes geworden als einsaisonbedingter Tagesschlager. Das Ding ist ja überhaupt nichttotzukriegen. Wenn dann so ein Erfolg draus wird, fragt man sich ja:'Wie warste denn da drauf? Was hat dich geleitet?' Und dann merktman, dass es eigentlich eher so eine ungestresste Unbefangenheitwar. Irgendwie wollen die Leute doch etwas, was eine gewisseEchtheit transportiert, weil wir eben in einer total ausgechecktenund auch durchtriebenen Zeit leben."
Solange er für sich noch Dinge entdecke, denen er auf den Grundgehen und Leuten vorstellen wolle, solange werde er weitermachen,sagt Reichel. "So eine Tournee ist eigentlich auch immer einefreudvolle Sache."
Tourdaten laut offizieller Webseite: 25.10. Schönberg/Ostsee(Ostseehotel Holm, ausverkauft), 26.10. Lauenburg/Elbe (MosaikFestsaal), 27.10. Oldenburg (Kulturetage, ausverkauft), 29.10. Peine(Stadttheater Peiner Festsäle), 30.10. Bad Nenndorf/Hannover(Wandelhalle), 31.10. Lengerich/Osnarbrück (Gempthalle), 02.11.Castrop-Rauxel (Forum), 03.11. Bielefeld (Ringlokschuppen), 04.11.Köln (Kulturkirche), 06.11. Iserlohn (Parktheater), 07.11. Krefeld(Kulturpunkt Friedenskirche), 08.11. Mannheim (Capitol), 10.11.Illingen/Saarland (Kulturforum Illipse), 11.11. Darmstadt(Centralstation), 12.11. Bamberg (Haas-Säle), 14.11. Karlsruhe(Tollhaus), 15.11. München (Freiheiz), 16.11. Plauen (Malzhaus),18.11. Leipzig (Theaterfabrik Sachsen), 19.11. Magdeburg (AMOKulturhaus), 20.11. Potsdam (Waschhaus), 22.11. Ritterhude/Bremen(Veranstaltungszentrum, ausverkauft), 23.11. Buchholz/Nordheide(Empore, ausverkauft), 24.11. Husum (Kongreßhalle).