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75. Jahrestag "Unternehmen Barbarossa" 75. Jahrestag "Unternehmen Barbarossa": Was uns heute noch mit Russland verbindet

Von Andreas Montag 21.06.2016, 16:40
22. Juni 1941, das „Unternehmen Barbarossa“ beginnt. Kradschützen der Wehrmacht überschreiten die sowjetische Grenze.
22. Juni 1941, das „Unternehmen Barbarossa“ beginnt. Kradschützen der Wehrmacht überschreiten die sowjetische Grenze. picture-alliance/akg-images

Halle (Saale) - Sowjetsoldaten, die deutsche Panzer angreifen, Kanonendonner, Kettengerassel, Panzer mit dem roten Stern, die sich durch Schlamm und Staub westwärts wühlen. Jeder, der aus dem Osten Deutschlands stammt und um 1960 geboren worden ist, wird diese Bilder gesehen haben, die die Panzerschlacht am Kursker Bogen vom Juli 1943 nachzeichnen sollten. Da wendete sich der Krieg, die deutsche Niederlage zeichnete sich ab. „Befreiung“ hieß das sowjetische Helden-Epos, bestehend aus insgesamt fünf Spielfilmen, deren erster eben in Kursk 1943 begann, und die für die oberen Schulklassen obligatorisch waren.

Zigaretten am Bahndamm

Die Begeisterung im „Capitol“ von Gotha in Thüringen, wo der Autor dieses Beitrags „Befreiung“ mit seinen Klassenkameraden gesehen hat, sämtliche Teile, hielt sich in Grenzen, über wiederkehrende Einstellungen wurde auch gelacht. Dabei hatten wir nichts gegen die Russen, wie sie bündig genannt wurden. Von ihnen waren am Bahndamm die ersten Zigaretten zu bekommen, manchem der stunden- oder manchmal auch tagelang ausharrenden Regulierungsposten wurden schon mal Schulbrote zugesteckt. Die jungen Burschen, viele von ihnen dem Ansehen nach ganz und gar keine Russen, haben sich darüber gefreut.

Aber Waffenbrüder, die wir DDR-Bürger dem Großen Bruder nun sein sollten - nein, das waren wir, im Herzen jedenfalls, nicht. Zu Hause hörten wir, „der Russe“ hatte 1953 den Aufstand niedergewalzt, „der Russe“ wollte sich uns ganz und gar einverleiben.

Scheinbild der innigen Freundschaft

Die ganze Propaganda von der tiefen, unverbrüchlichen Freundschaft und dem gemeinsamen, sieghaften Streben nach dem kommunistischen Paradies hat die Herzen nicht erreicht, weder in der DDR noch in der Sowjetunion. Dort waren die Wunden des Krieges noch tief, hier wurde das Bewusstsein der Mitschuld durch die kollektive Entnazifizierung der Bevölkerung nicht entwickelt. Alles aber, was erst Jahrzehnte später durch die seinerzeit heftig umstrittene Wehrmachtsausstellung ans Licht kam, all die Gräuel, an denen eben nicht nur SS und Gestapo, sondern auch deutsche Soldaten beteiligt waren, all das muss ja in den Köpfen der Kriegsteilnehmer gegenwärtig gewesen sein.

Doch davon sollte und wollte eigentlich niemand etwas hören. Und die Russen, die natürlich davon wussten, weil ja ihre Dörfer niedergebrannt, ihre Verwandten umgebracht worden waren, haben den Deutschen nicht über den Weg getraut. Es hatte schließlich den „Kommissarsbefehl“ gegeben, der die Ermordung der politischen Führungskräfte anwies, es gab klare Anweisungen, den russischen „Untermenschen“ zu vertreiben und sich den „Lebensraum“ im Osten zu eigen zu machen.

Viele Zeitzeugen sind tot

Nur ein Teil dieser Gemengelage ist offen besprochen worden, als der Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion erst 30, 40 Jahre Jahre zurücklag. Nun sind es 75 Jahre, ein Dreivierteljahrhundert, die meisten der Zeitzeugen sind uralt oder schon tot.

Als die Rote Armee zu Beginn der 1990er Jahre aus Ostdeutschland abzog, hatte allerdings ein neues Kapitel der gegenseitigen Beziehungen begonnen, plötzlich begegneten die frischgebackenen D-Mark-Bürger den Russen mit Verständnis, ja sogar mit Herzlichkeit. Wir waren, überspitzt gesagt, großmütige Sieger, die den geschlagenen, angeschlagenen Goliath milde ziehen ließen mitsamt seinem Trauma der Sieger. Das war ein bisschen arrogant, aber in der Erleichterung, nun endlich wieder selbst deutsche Geschichte gestalten zu dürfen, auch begreiflich.

Die Gegenwart

Und heute? Das „Unternehmen Barbarossa“, das am 22. Juli 1941 begann, liegt in sagenhafter Ferne - fast so, wie der Kaiser Barbarossa, der tief im Kyffhäuser von großen Zeiten träumt. Unlängst hat die AfD ihn dort zu wecken versucht. Über die Russen hören wir zuletzt wenig Gutes, die Annexion der Krim, die verdeckte militärische Einmischung in der Ukraine zeichnen ein unschönes Bild.

Da tut es nur ein Übriges, wenn man „dem Russen“ auch sonst nicht mehr so viel zugute hält. Überhaupt, hört man nun öfter, sollten die uns mit Hitler zufrieden lassen - schließlich sei ja auch Stalin ein blutiger Diktator gewesen. Das war er wohl, aber den Krieg gegen sein Land haben die Deutschen begonnen. In jenen Tagen spielt ein anderer russischer Film, dessen emotionaler Wucht man sich allerdings kaum entziehen kann: „Im Morgengrauen ist es noch still“. Hier sieht man das Sterben, ein kleiner sowjetischer Spähtrupp, Frauen darunter, wird aufgerieben. Die Opfer dürfen wir nicht vergessen über unserem eigenen Leid. Und eines noch: Es war die Rote Armee, die den übergroßen, opferreichen Teil der Befreiung Deutschlands getragen hat. (mz)