1968 in der DDR 1968 in der DDR: Experiment «Kommune 1 Ost»
Berlin/MZ. - Sieben nackte Rücken. Siebennackte Hintern. Vierzehn nackte Arme. Vierzehnnackte Beine. Allesamt vor einer Wand. Dasist das berühmteste Foto der "Kommune 1",1967 gegründet in West-Berlin. In der Momentaufnahmefindet sich komprimiert, wie die 68er angeblichwaren, nämlich von rauschhafter Wildheit,krimineller Provokationswut und unbändigerSexlust. Kommunarden wie Rainer Langhans undUschi Obermaier treten auf als begabte Selbstdarsteller,die öffentlichkeitswirksam mit den Medienzu spielen wissen. Was wären die 68er ohnedie Bilder von ihnen?
Zwei Jahre später, im Herbst 1969, gründetsich wenige Kilometer Luftlinie entfernt aufder anderen Seite der Mauer die "Kommune 1Ost". Das sind dreieinhalb Zimmer in der Samariterstraßeim Berliner Friedrichshain. Die DDR-Kommunardensind: Erika Berthold, Tochter des Leitersdes ZK-Instituts für Marxismus-Leninismus,Frank Havemann, Sohn des Chemikers und RegimekritikersRobert Havemann - Kinder des roten DDR-Adels.Franziska Groszer und ihr Mann Gert, dessenMutter den Altberliner Verlag leitet. VierErwachsene und drei Kinder.
"Der Name war als bewusste Provokation derStaatsmacht gedacht. Mit den Leuten in West-Berlinwollten wir nicht viel zu tun haben; die warenuns zu ideologisch", sagt Franziska Groszer.Fotos der "Kommune 1 Ost" existieren nicht,was symptomatisch für die DDR-68er ist. Trotzdemgab es sie, und sie waren wirksam. Aber das68er Gedächtnis im Osten beruht auf mündlicherÜberlieferung.
Franziska Groszer wurde 1944 als Tochter einesPhysik-Professors und einer Hausfrau im BerlinerStadtteil Friedrichshagen geboren. Sie istMutter zweier Töchter und eines Sohnes. DieAutorin - vor kurzem ist ihr Kinderbuch "Antonund das unheimliche Haus" erschienen - lebtheute in Berlin-Mitte. Das Jubiläumsjahr hatihr unzählige Auftritte als Zeitzeugin beschert:"Manchmal habe ich das Gefühl, mich leer geredetzu haben." Ihr Blick zurück ist reflektiert,selbstbewusst, auch selbstkritisch. Um dieWirklichkeit und ihre Gedanken zu beschreiben,formuliert sie oft Sätze wie: "Es war wichtig,aber auch nicht."
Herbst 1969: Die jungen Leute, die sich zueiner Kommune zusammentun, sind pragmatisch."Wir wollten aus der Ehe ausbrechen, unsereKinder nicht in die Krippe geben und den Alltageinfach teilen. Reden war so wichtig", erzähltFranziska Groszer. Ein Wohnungstausch mitihrer Mutter ermöglicht das. Diejenigen, diedort aufeinander treffen, sind Erniedrigteund Desillusionierte. Ihren Protest gegenden Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppenin Prag im Sommer 1968 haben sie mit Gefängnisstrafenund Bewährungen in der Produktion bezahlt.Thomas Brasch und Bettina Wegner gehören dazu.
Franziska Groszer selbst war in jenem hoffnungsvollenJahr eine blonde Frau, die eine Brille mitbierdeckelgroßen Gläsern trug. Im Kinderwagen,den sie vor sich her schiebt, transportiertsie Flugblätter. "Dubcek!" und "Russen rausaus Prag" steht darauf zu lesen. Freunde malendie Parolen an Häuserwände. Die Fotos davonwandern in Stasi-Akten; es sind vergifteteBilder. Franziska Groszer hat Glück und wirdnicht verhaftet. "Ich habe nicht an den Reformsozialismusgeglaubt." Prag sei ein Schock gewesen. "Abernicht, weil eine Hoffnung für mich gestorbenist. Die Niederschlagung war eher eine stalinistischeBekräftigung", sagt sie. Die Kommunarden führenein offenes Haus. Es wird geraucht, getrunkenund geredet. Den Sound liefern Bob Dylan unddie "Rolling Stones" dazu. Und die Liebe?"Unsere erotischen Abenteuer haben wir gesucht,aber unabhängig von der Kommune."
Im Gegensatz zu Freunden und Bekannteninteressieren sie die marxistischen Theoretikerweniger als psychosoziale und psychoanalytischeFragen: "Ein mündiger Bürger kann nur dersein, der nicht in autoritären Bindungen aufgewachsenist." Wichtig seien für sie Sigmund Freud,Wilhelm Reich und "LTI" von Viktor Klemperergewesen. Einsichten, die sie auch bei derErziehung zu praktizieren versucht. "Ein privaterKinderladen in Berlin, das wäre es gewesen."Sie habe etwas ausprobieren wollen, "das hinausführt."
Über das Ende der "Kommune 1 Ost" 1970/71gibt es verschiedene Erzählungen. Die einensagen, die Stasi sei an der Auflösung Schuld.Franziska Groszer meint: "Wir haben uns auseinandergelebt und verschiedene Wege gewählt." Dieanderen drei entscheiden sich für die SEDund die Karriere. Franziska Groszer führtfortan eine Randexistenz; spielt in einemKindertheater, arbeitet in einem Leseforschungs-Projektmit, schreibt. Ihre erste öffentliche Lesung1975 ist auch ihre letzte. Mit ihren Kindernreist die Autorin kurze Zeit später nach West-Berlinaus: "Wir haben so lange in der DDR gelebt,wie es möglich war."
Was ist 1968 in der DDR für Franziska Groszergewesen? "Von Prag ist ein Emanzipationsvirusausgegangen. Von dort gibt es eine direkteVerbindung zu 1989."