150. Todestag von Jacob Grimm 150. Todestag von Jacob Grimm: Mehr Wissenschaftler als Märchenonkel

Kassel/dpa - Heute würde man Jacob Grimm wohl als Nerd oder Freak bezeichnen - allein, ein bisschen verschroben, aber ungeheuer engagiert. Als Teil der berühmten Märchensammler Brüder Grimm veröffentlichte er Märchen, die heute wohl jedes Kind kennt. Dabei galt seine Liebe und Hingabe mehr den Sprach-, Politik- und Religionswissenschaften als den Märchen. „Jacob hat sich nicht so sehr mit der Überarbeitung der Märchen befasst“, sagt Holger Ehrhardt, Grimm-Professor an der Universität Kassel.
„Jacob war schon eigenwillig und mit sich selbst beschäftigt. Er hatte ein außerordentliches Gedächtnis, ähnlich wie Mozart“, erzählt Ehrhardt. Sprachliche Auffälligkeiten aus einem neu gefundenen Gedicht habe er beispielsweise einem Autor zuordnen können, den er Jahre vorher gelesen hatte. Vor 150 Jahren, am 20. September 1863, starb Jacob Ludwig Carl Grimm in Berlin.
Jacob Grimm, am 4. Januar 1785 in Hanau geboren, ist gesund und drahtig, ein Arbeitstier, würde man heute sagen. Wilhelm dagegen sei als junger Mann oft krank gewesen und habe langsamer gearbeitet als Jacob, dafür aber systematischer, erzählt Ehrhardt.
Während Jacob wie besessen arbeitete, heiratete Wilhelm 1825 die Apothekerstochter Dorothea Wild. Jacob dagegen blieb unverheiratet. Er lebte bei der Familie seines ein Jahr jüngeren Bruders und hatte auch ein gutes Verhältnis zu den drei Kindern Wilhelms und Dorotheas. „Jacob war für die Kinder eine Art zweiter Vater“, sagt Bernhard Lauer, Leiter des Grimm-Museums in Kassel. Jacob und Wilhelm waren eine brüderliche Arbeits- und Lebensgemeinschaft - „von wenigen Perioden abgesehen waren sie immer zusammen. Das ist schon außergewöhnlich“, sagt Lauer. Das Brüderpaar lebte und arbeitete mit Unterbrechungen von 1798 bis 1841 in Kassel.
Tod durch Schlaganfall nach Erkältung
In ihrer gemeinsamen Zeit in Kassel hatten sich die Brüder von vielen Menschen die bis dahin überwiegend mündlich überlieferten Geschichten erzählen lassen. An ihren Werken wie der ersten Märchensammlung waren sie zunächst noch zu gleichen Teilen beteiligt, später verlegte Jacob seinen Schwerpunkt auf die Sprach-, Politik- und Religionswissenschaften. Die bedeutende 2. Auflage der Märchen wird vor allem Wilhelm zugeschrieben. Die „Kinder- und Hausmärchen“ sind das wohl meistgelesene Buch in deutscher Sprache, die Erstausgabe zählt zum Unesco-Weltdokumentenerbe.
Bei der Arbeit gingen beide immer mehr ihren eigenen Weg. Auf dem von ihnen erstellten Deutschen Wörterbuch heißt es schon nicht mehr „Brüder Grimm“, sondern „von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm“. Wilhelm hat nur den Buchstaben D beigetragen, von Jacob kam A bis C und E bis Frucht. „Dann starb er nach einer Erkältung an einem Schlaganfall“, sagt Grimm-Wissenschaftler Ehrhardt.
Das berühmte Brüderpaar ist gut erforscht - nicht zuletzt durch die unzähligen Veröffentlichungen und Briefe. Den Brüdern wird von einigen auch Antisemitismus vorgeworfen - nicht zu Unrecht, wie Ehrhardt meint. „Aber darüber wird kaum gesprochen.“ Vor allem in privaten Unterlagen, aber auch in Märchen komme dies unterschwellig vor. In ein späteres Märchen („Der Grabhügel“) fügt Wilhelm ohne Not einen „Geldwechsler“ ein, der nicht aus der Vorlage stammt. Darunter habe jeder Leser einen Juden verstanden. Diese unnötige Änderung weise auf einen latenten Antisemitismus hin, sagt Ehrhardt. „Darüber muss man biografisch reden“, fordert er.