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100 Jahre Farbfotografie 100 Jahre Farbfotografie: Bilder mit farbiger Kartoffelstärke

Von Thilo Resenhoeft 04.06.2007, 06:03

Hamburg/dpa. - Seien es Blumen, Warnschilder oder appetitlicheFrüchte: Die Welt ist bunt. Farben dienen der Orientierung oderkönnen alarmieren. Das Auge kann viele Millionen Farbtöne voneinanderunterscheiden, Farben beeinflussen das Gefühl und die Reaktion vonMenschen - zu roten Lippen fühlt er sich eher hingezogen, vorgiftgrünen Schlangen schreckt er meist zurück. Viele Maler sind seitJahrhunderten bemüht, das Original so exakt wie möglich wiederzugeben- ebenso wie die Fotografen.

Nachdem Fotos in den ersten 60 Jahren nach ihrer Erfindung um dasJahr 1840 herum zunächst fast nur in schwarz und weiß möglich waren,ist die Fotografie von heute fast ausschließlich bunt. Diese Wandlungbegann am 10. Juni 1907. Damals stellten die französischen Brüder Louis und Auguste Lumière in Paris eine Revolution vor: DasAutochrom. Dies war der Beginn der kommerziellen Farbfotografie, sagtBodo von Dewitz, Leiter der Fotoabteilung am Museum Ludwig in Köln.

Autochrome fingen die Farben des Motivs mit einer Mischungfarbiger Körnchen aus durchsichtiger Kartoffelstärke ein, dietrickreich auf einer Glasplatte ausgewalzt wurden. Eine herkömmlicheFotoemulsion vervollständigte die Platte. Bis dahin war dieFotografie in Farbe eher ein technisch-chemisches Unterfangen dennein künstlerisches oder gar privates Vergnügen. Zwar gab es bereitszuvor mehrere Verfahren - die aber beherrschten vielfach nur derenErfinder selbst.

Louis Jean (1864 - 1948) und Auguste Marie Nicolas Lumière (1862 -1954) hatten über viele Jahre experimentiert, bevor sie ihreEntwicklung schließlich vorstellten. Aus heutiger Sicht ist es eineüberaus aufwendige, ja exotische Methode. Andererseits ließen sichdie damals teueren Platten in herkömmlichen Kameras verwenden undführten mit nur einer Belichtung zum Ergebnis.

100 Jahre später ist die Fotografie ein Kinderspiel, egal ob mitAnalog- oder Digitalkameras. Das schwarz-weiße Bild ist inzwischendie Ausnahme von der Regel. Bei der CeWe Color AG in Oldenburg etwa,Europas größtem Hersteller von Abzügen, laufen jährlich rund dreiMilliarden Fotos vom Band. Schwarz-weiß sind davon etwa zwei Prozent.

Gleichzeitig zeichnet sich ein weiterer, tief greifender Wandel inder Fotografie ab. 2006 stammten bei CeWe bereits 1,1 MilliardenFarbbilder aus Digitalkameras. Diese laufen dem Farbfilm, der Mitteder 1930er Jahre von Agfa und Kodak vorgestellt wurde, rasend schnellden Rang ab. 2001 wurden in Deutschland 187 Millionen Filmpatronenverkauft, 2006 waren es nur noch 63 Millionen, berichtet derPhotoindustrie-Verband. Demnach setzt sich die Digitalfotografie aufbreiter Front durch und löst die Chemie bei der Aufnahme zusehendsab.

Vor der Idee der Lumières hatten Fotografen ihre schwarz-weißenAbzüge in stundenlanger Arbeit mit feinen Pinseln von Hand koloriert.Andere fertigten von einer Szene ein rotes, ein grünes und ein blauesGlasdia-Positiv und projizierten es für den Farbeindruck aufwendigübereinander. Eine andere Variante war, von einem schwarz-weißen Fotomit großer Sorgfalt Druckvorlagen zu fertigen und damit wiederumeinzelne Farben auf das ursprünglich monochrome Bild zu drucken.Edward Steichen schuf auf diese Weise sein «The Pond - Moonlight,1904», das 2001 für 2,9 Millionen Dollar versteigert wurde. Es warlange Zeit das teuerste Foto der Welt.

Eine Auswahl anderer Varianten waren additive Farbraster-Verfahren, das Stereo-Chromogramm, der Chromat-Leim-Druck, dasRaydex-Verfahren oder der Dreifarben-Carbo-Druck. Sie alle setztensich aber nicht auf breiter Front durch. Erst die Erfindung derGebrüder Lumière verhalf der Farbe zum Durchbruch.

«Das Autochrom, das weithin als das schönste fotografischeVerfahren überhaupt gilt, zeichnete sich durch satte und leuchtendeFarben aus und stellte dem Fotografen eine impressionistischeFarbpalette zur Verfügung», erklärt die ehemalige Kuratorin derbritischen Royal Photographic Society und Autorin Pamela Roberts.

Sie zeichnet die Geschichte der farbigen Bilder in ihrem aktuellerschienenen Band «100 Jahre Farbfotografie» (Nicolai-Verlag, Berlin)sehr kenntnisreich und gut verständlich nach. Viele Bildbeispielezeugen vom Wandel der Technik, der Motive und der Sichtweise auf dieFarbe. Die kenntnisreiche Beschreibung der alten Verfahren nötigt demLeser Hochachtung vor dem Erfindergeist ein - und ein wenig Mitleidob der Mühen in vergangener Zeit.

Pamela Roberts:«100 Jahre Farbfotografie», Nicolai-Verlag, Berlin, 288 S., 260 Farbbilder, Euro 34,90, ISBN: 978-3-8947-9378-4