100 Jahre Erika Mann 100 Jahre Erika Mann: Jüdische Tochter eines deutschen Dichters

Hamburg/dpa. - Eine jüdische Tochter also, die eigentlich keine Tochter und erstrecht nicht jüdisch sein sollte - war das eigene Jüdische für Katiadoch immer nur «Unsinn! Alles Unsinn!» Was es hieß, unter diesenpersönlichen und späteren politischen Konstellationen die eigene(n)Identität(en) zu finden, zu leben oder zu leugnen, ist eine spannendeSache.
Die deutsch-jüdische Publizistin Viola Roggenkamp hat zum 100.Geburtstag der Schauspielerin und Schriftstellerin Erika Mann (1905-1969) ein sehr kompetentes, subtiles Buch verfasst. Es ist eingelungenes Beispiel dafür, dass ein sehr bewusst gewählterBlickwinkel einen von Literatur- und Zeitgeschichte, von Forschungbis Fernsehen ausgeleuchteten Mann-Kosmos in einer neuen,wesentlichen Brechung vorführt.
«Für sie selbst wie auch für alle, die über sie nachgedacht undgeschrieben haben, ist Erika Mann ausschließlich die Tochter ihresVaters, seine Kopfgeburt. Als Tochter ihrer Mutter scheint es sienicht zu geben.(...) Daß sie in ihren Talenten Hedwig Dohm verbundensein könnte, ihrer jüdischen Urgroßmutter mütterlicherseits, derSchriftstellerin, der Polemikerin und bekannten Feministin, oderihrer jüdischen Großmutter, Hedwig Pringsheim, geborene Dohm, derMutter ihrer Mutter, der Schauspielerin und Feuilletonistin (...),das scheint der Tochter Katia Manns nicht eingefallen zu sein.»
Es geht der Autorin um «das eigene Jüdische, das Besondere, dasKostbare», das den Kindern der Familie Mann-Pringsheim «verheimlichtund dadurch auch vorenthalten» worden war. So musste denn alsGewährsfrau für die reiche künstlerische und musische Ausstattung derganzen Sippe bis hin zu den dunklen Augen und Haaren Erikas eine inmythischem Dunkel gebliebene brasilianische Großmutter Thomas Mannsbemüht werden.
Katia Mann hatte als Kind von ihrer Mutter Hedwig Pringsheim nieerfahren, dass ihre Familie jüdisch ist, auch wenn die Frauen inzweiter Generation getauft waren. Ebenso hielt Katia es mit ihreneigenen Kindern, und Erika hielt es so mit sich selbst. Zwar wähltesie ihre beiden großen Lieben, die Schauspielerin Therese Giehse undden Dirigenten Bruno Walter (in der Altersklasse ihres Vaters) unterden Juden, doch «sie selbst bezog sich ins Jüdische nicht ein, rührtees nicht an, nicht für sich».
Erika war die Begabteste der sechs Geschwister, Vaters «kühnes,herrliches Kind»! Schauspielerin, Journalistin, Kabarettistin,mondäne Weltenbummlerin und Vortragsreisende, politischeKommentatorin, Kinderbuchautorin, Rennfahrerin - und daneben und biszuletzt: Vaters Lektorin, Übersetzerin, Beraterin, Sachwalterin.
Warum wurden die jüdischen Wurzeln der mütterlichen Linie, ganzanders als die Homosexualität, in der Familie derart verleugnet?Roggenkamp stößt bei ihrer psychoanalytisch fein unterfüttertenSpurensuche auf eine interessante Verschränkung ebendieses jüdischenTabus mit der Homosexualität in der Familie Mann. Sie sieht diegleichsam komplizenhaft geteilte Homosexualität zwischen Kindern undVater als Garant für dessen Dominanz in der Familie. Das jüdischeElement wiederum, dürfte es denn bewusst und gelebt werden, könnteals das Eigene und Besondere von Frau und Kindern diese nur von ihmentfernen und seinem alles beherrschenden Einfluss entziehen. So alsohält das eine das andere unbewusst in Schach und das Familiengefügebleibt intakt.
Und weil die Frauen bei ihrer Enteignung selbst immer besonderswillige Komplizinnen sind, sehen wir die Treuesten der Treuen, Katiaund Erika, sehr früh und mit dem Alter zunehmend auch äußerlich immermännlichere Züge annehmen, um dem «Zauberer» in seiner Nähe nichtallzuviel bedrohliche Weiblichkeit zuzumuten. So ist sowohl dasJüdische als auch das Weibliche an seiner Seite erfolgreich getilgt.Erika Mann kehrt 1947 nach den Jahren des Exils wieder in ihrElternhaus in Kilchberg bei Zürich zurück, betreut als «Zweitfrau»(Roggenkamp) zusammen mit der Mutter den Vater bis zu dessen Tod. Siestirbt, zermürbt von Krankheit, Drogen, Alkohol und Zynismus im 64.Lebensjahr am 27. August 1969.
Das Buch bietet in seiner Vielschichtigkeit weit mehr als einepsychoanalytische Kernthese zur Substruktur der Familie Mann. Esschlägt den Bogen von der Blüte des assimilierten jüdischenGroßbürgertums à la Pringsheim samt landläufigem Antisemitismus überdie Jahre des Exils während der Nazi-Diktatur bis zur schwierigenWiederbegegnung mit den beiden deutschen Staaten nach dem Krieg. Eswerden nicht wenige deutsch-jüdische Empfindlichkeiten undVerkrampftheiten berührt und jede Rede von einer «Normalisierung» derVerhältnisse ein weiteres Mal Lügen gestraft. Nicht zuletzt macht dieAutorin keinen Hehl aus ihren Vorbehalten gegenüber dem Menschen unddeutschen Großschriftsteller Thomas Mann, seinem Stil und Habitus. Zumonieren bleiben bei aller Sorgfalt der Recherche und Verve desSchreibens ein paar lästige Wiederholungen.
Viola Roggenkamp: Erika Mann. Eine jüdische Tochter
Über Erlesenes und Verleugnetes in der Familie Mann-Pringsheim
Arche Verlag, Zürich-Hamburg
272 S. Geb. 9 Abbildungen
19,90 Euro/sFr. 34,90
ISBN 3-7160-2344-2