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100. Geburtstag 100. Geburtstag: Schatten auf Strittmatter-Biografie

Von Peter Jähnel 30.01.2012, 07:42
Das Dichterpaar Eva und Erwin Strittmatter während einer Lesung im Berliner Schloss Friedrichsfelde (undatiertes Archivfoto von 1980).
Das Dichterpaar Eva und Erwin Strittmatter während einer Lesung im Berliner Schloss Friedrichsfelde (undatiertes Archivfoto von 1980). dpa-Zentralbild

Spremberg/dpa. - Die Schatten der Vergangenheit haben auch ErwinStrittmatter (1912-1994) eingeholt. Er war in der DDR neben StefanHeym (1913-2001) und Christa Wolf (1929-2011) einer der bekanntestenSchriftsteller und galt als überzeugter Antifaschist. Seine Romanewie «Tinko», «Ole Bienkopp» und «Der Laden» brachten ihm eine großeLeserschaft ein. Der 100. Geburtstag des großen Literaten am 14.August soll einige Tage später in seiner südbrandenburgischenGeburtsstadt Spremberg gefeiert werden, doch darüber gibt es Streit.

Er bekam immer neue Nahrung, seitdem Historiker mehr und mehrDetails über bisher verschwiegene Seiten in Strittmatter Biografiebekannt machten. Dazu gehören sein Dienst in einer Polizeieinheit,die der berüchtigten Waffen-SS unterstellt war und Partisanenbekämpfte, sowie seine spätere Tätigkeit für die DDR-Stasi.

Deshalb verweigerte der städtische Hauptausschuss kürzlich miteinem Mehrheitsbeschluss eine Beteiligung der Stadt an derJubiläumsfeier am 18. August. Das Rathaus überlässt die Ehrung nundem örtlichen Strittmatter-Verein. «Wir wollen das literarische Erbevon Erwin Strittmatter würdigen, ohne die dunklen Seiten seinesLebens zu vernachlässigen», sagt Vereinschefin Renate Brucke. SolcheSchattenseiten des Schriftstellers gibt es offenbar mehr, als treueFans vor allem im Osten Deutschlands sich vorstellen konnten.

So machte der Berliner Literaturwissenschaftler Werner LierschMitte 2008 öffentlich, dass Strittmatter von 1941 bis 1945Angehöriger der NS-Ordnungspolizei war, die in besetzten LändernKriegsverbrechen beging. Der Lausitzer Schriftsteller undNationalpreisträger hatte nach dem Krieg nur erwähnt, dass er alsSchreiber in einem Polizeibataillon eingesetzt war und keinen Schussabgegeben habe.

Die Jenaer Historikerin Annette Leo entdeckte entsprechendeDokumente in seiner SED-Kaderakte. Allerdings habe Strittmatterverschwiegen, dass er im Krieg auch beimPolizei-Gebirgsjäger-Regiment Nr. 18 war, das 1943 den Zusatz «SS»bekam. Er habe sich aus persönlichen Gründen bei der SS beworben, seiaber kein überzeugter Nazi gewesen. Der Leipziger Buchautor JoachimJahns vermutet, dass Strittmatter von Kriegsverbrechen dieserPolizeieinheit wusste. Für dessen Beteiligung an Gräueltaten fand erallerdings keine Beweise.

Auch prominente Kollegen von Strittmatter in Ost und West sorgtenfür Wirbel, als sie in den 1990er Jahren bis dahin verborgene Seitenihrer Biografien öffneten. So wurde damals bekannt, dass Christa Wolf(«Der geteilte Himmel») von 1959 bis 1962 als «IM Margarete» für dieStasi tätig war. 1993 veröffentlichte sie ihre IM-Akte unter demTitel «Akteneinsicht Christa Wolf». Ihr westdeutscher Kollege GünterGrass («Die Blechtrommel») hatte erst 2006 zugegeben, dass er imKrieg Mitglied der Waffen-SS war. Damals erschien unter dem Titel«Beim Häuten der Zwiebel» sein Erinnerungsbuch, in dem derLiteraturnobelpreisträger sein Leben und die Kriegszeit schildert.

In Spremberg sind die Fraktionen von CDU sowie von SPD, FDP undPro Georgenberg/Slamen dagegen, dass die Stadt Strittmatteröffentlich ehrt. Die Linksfraktion ist dafür. «Erwin Strittmatter hatsich freiwillig den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhundertsangedient», begründete der SPD-Politiker und Fraktionschef AndreasLemke seine Ablehnung. Nach dem Krieg habe sich Strittmatter «vonbraun auf rot umlackiert» und sei ein hochdekoriertes SED-Mitgliedund ein Zuträger der Stasi geworden.

Lemke forderte den Bürgermeister Klaus-Dieter Schulze (CDU) auf zuprüfen, ob sich der Schriftsteller noch länger als Ehrenbürger derStadt eigne und die Erwin-Strittmatter-Straße weiter diesen Namentragen sollte. Schulze hatte bereits im Vorjahr eine Schirmherrschaftfür die Jubiläumsfeier abgelehnt. Diese übernimmt nun Udo Folgart,Präsident des Bauernverbandes Brandenburg, der sich mit denErzählungen Strittmatters über das Landleben verbunden fühlt.

Die Spremberger Linksfraktion will nach wie vor, dass sich dieStadt am großen Jubiläum im Sommer beteiligt. «Wir wollenStrittmatter nicht auf einen Sockel heben, sondern nachfragen, warumer sich damals so verhalten hat», bemerkt die stellvertretendeFraktionschefin und Landtagsabgeordnete Birgit Wöllert. Und sieverweist auf einen anderen Jubilar: «Auch der Preußenkönig FriedrichII. war umstritten, und trotzdem feiern wir seinen 300. Geburtstag.»