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Zehn und elf Jahre alt Zehn und elf Jahre alt: Kleine Bürgermeisterinnen - Warum in Thalheim Kinder regieren

Von Claudia Drescher 19.02.2020, 09:21
Die Kinderbürgermeisterinnen Nikita (r) und Josy stehen in der Grundschule der Erzgebirgsstadt mit rund 6100 Einwohnern.
Die Kinderbürgermeisterinnen Nikita (r) und Josy stehen in der Grundschule der Erzgebirgsstadt mit rund 6100 Einwohnern. dpa-Zentralbild

Thalheim - Kindern eine Stimme geben, sie ernst nehmen und nach ihren Ideen fragen: Thalheim im Erzgebirge macht es vor. Denn die Kommune hat nicht nur einen „normalen“ Bürgermeister, sondern auch Nikita und Josy.

Die beiden Mädchen vertreten die Kinder der Erzgebirgsstadt. Seit ihrem Amtsantritt als Kinderbürgermeisterinnen haben die beiden vieles bewegt: Was braucht der neue Spielplatz, wo muss dringend Müll aufgesammelt oder welche Kreuzung kinderfreundlicher werden. Auch bei öffentlichen Auftritten wie dem Stollenanschnitt dürfen die zwei nicht fehlen.

„Zugegeben: Am Anfang war es schon komisch als einziges Kind im Stadtrat zu sitzen. Aber inzwischen haben wir wirklich das Gefühl, gehört zu werden und etwas zu bewegen“, sagt die elfjährige Nikita. Gemeinsam mit ihrer 10 Jahre alten Kollegin Josy ist sie noch bis Jahresende die Anlaufstelle in Sachen Kinderthemen.

Dann soll das Projekt in die nächste Runde gehen und ein oder zwei jüngere Kandidatinnen oder Kandidaten nachrücken. Wie der Wahlkampf dann aussieht? „Keine Ahnung, wir hatten ein Plakat in der ganzen Grundschule. Das war's“, meint Josy lachend. Inzwischen sind beide in der 5. Klasse an Oberschule und Gymnasium. Wählbar und wahlberechtigt sind jedoch nur Grundschüler.

„Es geht nicht nur um spezielle Kinderthemen. Wir wollen damit insgesamt einen Kinderblick auch auf komplexe Themen“, berichtet Bürgermeister Nico Dittmann (parteilos), während er in der Bibliothek der Thalheimer Grundschule mit den Schülerinnen die nächste Baumpflanzaktion bespricht - selbstverständlich eine Initiative der jungen Stadtbewohner.

Die Idee eines Kinderbürgermeisters habe ihm schon vor fünf Jahren in der fränkischen Partnerstadt Markt Roßtal gefallen, sagt der 34-Jährige, der 2013 als jüngster Bürgermeister Sachsens ins Rathaus von Thalheim einzog. Mithilfe des Projekts „Demokratie in Kinderhand“ wird aus der Idee Wirklichkeit. „Familien- und Kinderfreundlichkeit ist im ländlichen Raum ein echter Standortfaktor, um eine Kommune attraktiv für die Zukunft zu gestalten“, sagt Programmleiterin Peggy Eckert. Zugleich erfahren Kinder aus erster Hand, wie Demokratie funktioniert.

Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung fördert das Projekt „Demokratie in Kinderhand“ gemeinsam mit dem Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ seit 2017 mit 160 000 Euro jährlich. Im Fokus stehen ländliche Kommunen mit maximal 10 000 Einwohnern. „Bislang haben wir 14 Kommunen begleitet, davon vier so intensiv wie Thalheim.“

Demnach sind die Kinderbürgermeisterinnen laut Eckert zwar bislang die einzigen ihrer Art im Projekt. Doch andere Gemeinden wie Moritzburg und Ottendorf-Okrilla setzten beispielsweise bei ihrem neuen Ortsentwicklungskonzept auf die Hilfe der jüngsten Einwohner.

Rochlitz hat einen Schülerfonds über 10.000 Euro eingerichtet, mit dem die Schüler der mittelsächsischen Stadt das Leben in ihrer Gemeinde aktiv mitgestalten und nebenbei demokratisches Handeln lernen. In Colditz gibt es mittlerweile eine ehrenamtliche Kinder- und Jugendbeauftragte, die die Anliegen der jungen Einwohner weiterträgt.

Auch in Thalheim trägt das Projekt Kinderbürgermeister inzwischen weitere Früchte. „Im Zuge dessen hat sich unser Seniorenbeirat neu gegründet“, erzählt Sylvia Schlicke. Die Quartiersmanagerin hilft Nikita und Josy bei ihren Amtsgeschäften, tatkräftig unterstützt von Eltern, Großeltern und Lehrern. „Wir gehen in der Stadt insgesamt offener miteinander um und haben gemeinsam viele Ideen entwickelt, wie wir unsere Bürger besser einbeziehen.“

Dafür erhielt die Erzgebirgsstadt zuletzt den Sächsischen Förderpreis für Demokratie in der Kategorie Kommune, verliehen unter anderem von der Amadeu Antonio Stiftung.

Kinderbürgermeisterinnen, Seniorenbeirat, Ideenwerkstätten oder Online-Mängelmelder - der junge Bürgermeister nimmt das Thema Beteiligung der 6100 Einwohner sehr ernst. „Demokratie ist kein abstrakter politischer Begriff, nicht unnahbar, sondern erlebbar.“ Und deshalb hat er den nächsten Schritt schon fest im Visier: einen Bürgermeister für die Jugend. Eine Kandidatin gebe es auch schon. „Ich wäre sofort dabei“, sagt Nikita. (dpa)