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Wolfgang Böttger Wolfgang Böttger: Als Leiharbeiter voll im Dauerstress

Von Volker Daur 03.03.2003, 15:07

Cobbelsdorf/MZ. - Am Montag früh um sieben Uhr ist Arbeitsantritt. Davor liegen sechs bis acht Stunden Anfahrt im eigenen Kleinwagen. Wolfgang Böttger (56) startet so gegen 22 Uhr am Sonntag in Cobbelsdorf nahe Wittenberg. Per Telefon und Fax bekommt er kurz vorher meist Woche für Woche von der Leiharbeitsfirma die neue Arbeitsstelle zugewiesen. "Immer im süddeutschen Raum", sagt er. Er hat keine Ahnung, was ihn erwartet in Stuttgart, Heidelberg, Ulm, Pforzheim oder Mannheim.

Auf der Nachtfahrt erwischt Böttger öfter der Sekundenschlaf. "Weniger als 500 Kilometer waren es nie", erklärt er. Dann die Suche nach dem Unternehmen. Auch eine Ein-Mann-Firma war dabei und so gut wie nicht zu finden. Müde, aber endlich am Arbeitsplatz, beginnt in der Regel sein 10-Stunden-Tag. Für Böttger gibt es keine Einarbeitungszeit. Die 100Prozent Leistung sind sofort zu bringen.

Wo er die Nacht schlafen wird, weiß er noch nicht. Abends ist es oft zu spät, um ein preiswertes Nachtquartier zu suchen. So hat er im Winter schon im Wagen übernachten müssen. Die ständige Müdigkeit wird zum ernsten Problem. "Da bin ich einmal völlig übermüdet von der Rüstung gefallen."

Jede Woche neue Arbeitsstellen und neue Kollegen. Das gehört auch zum Dauerstress. "Erst ist man der letzte Dreck. Bis zum Wochenende hat man sich durchgesetzt und kennt die Kollegen. Dann ist alles vorbei." In der nächste Woche beginnt das Spiel in einer anderen Firma neu. Familienleben? "Das kann man vergessen."

Böttger zählt sich zu den Spitzenverdienern der Leiharbeit. Es waren immer 20 Mark - heute 10,23Euro - die Stunde, aber nur 70Prozent des Tariflohnes vor Ort. Er kennt viele, die nur 75 Prozent oder nur die Hälfte seiner Bezahlung bekommen. Dazu kommt als Auslöse ein täglicher Verpflegungssatz von 20,40Euro und ebenso viel für Übernachtungskosten. Fahrtkosten gibt es nicht. "Auslöse wurde bisher immer gezahlt", sagt Böttger, "der Lohn unregelmäßig oder gar nicht." Dann muss geklagt werden. Ein Urteil hilft aber dann nicht viel, wenn das Konto der Firma immer leicht im Minus, und vom Computer bis zum Firmenwagen alles geleast ist. Ein Fall aus dem Kollegenkreis.

Böttgers Arbeitsverträge haben alle drei Arbeitszeiten: 35 Stunden in der Woche als Regel, zum Beispiel zum Berechnen der Bezahlung des Urlaubs. Die durchschnittliche Arbeitszeit von 40Stunden. Darüber werden Überstundenzuschläge gezahlt. Dann die übliche Arbeitszeit, was laut Böttger im Klartext heißt: nach oben offen. Und wenn man in die Nähe des bezahlten Urlaubs kommt, werde gekündigt. Er hat mit Kündigungen Errfahrung, nicht nur wegen Auftragsmangels.

Wolfgang Böttger stand vor zwei Jahren vor der Wahl zwischen Sozialkasse und Leiharbeit. Vor der Wende war er Elektriker in der Landwirtschaft, machte mit 42 Jahren eine Ausbildung zum Computertechniker und gründete eine Computerservice-Firma. Direkt nach der Wende lief das Geschäft sehr gut. Doch nach zehn Jahren musste er aufgeben, vor allem wegen schlechter Zahlungsmoral. Leiharbeit, so meint der Cobbelsdorfer, sei interessant für junge Leute nach der Ausbildung, um reichlich Erfahrung sammeln zu können. Als älterer Mensch halte man das kaum durch.