Wirtschaftliche Folgen Wirtschaftliche Folgen: Was der Brexit für deutsche Firmen bedeuten würde

Berlin - Zwischen den Zeilen ist einiges an Wut und Verärgerung zu spüren. Die Brexit-Diskussion in Großbritannien sei „vor allem politisches Theater“ betont Matthias Meyer. Alarmierend sei, dass niemand den Unternehmen erklären könne, wie ein EU-Austritt aussehen würde. Meyer ist der deutsche Geschäftsführer der Firma Heller Machine Tools im mittelenglischen Redditch. Sie beschäftigt 150 Frauen und Männer, die jedes Jahr etwa 200 Werkzeugmaschinen herstellen, die vor allem für die Autobranche bestimmt sind. Das britische Unternehmen ist eine Tochter der Firma Heller, die im schwäbischen Nürtingen zu Hause ist. Die Pointe: Ein großer Teil der in Britannien gefertigten Maschinen wird nach Deutschland exportiert.
Wie soll das künftig funktionieren? Meyer hat noch viel mehr Fragen. Bleibt das Land Teil des EU-Binnenmarktes? Werden Handelsabkommen neu verhandelt? Was ändert sich für EU-Ausländer, die in Großbritannien arbeiten? Wie Meyer geht es vielen seiner Managerkollegen. Vor allem Unkalkulierbares bei den Folgen eines Brexit macht Führungskräften zu schaffen.
Was kommt nach dem Brexit?
Auch Ian Robertson. Der Brite ist Vertriebsvorstand bei BMW. „Niemand weiß, was passieren wird, wenn die britischen Bürger für einen EU-Austritt stimmen werden“, sagt er. Klar sei lediglich, dass die Bedingungen zur Belieferung des europäischen Marktes neu verhandelt werden müssten.
BMW ist besonders eng mit Standorten auf der Insel verknüpft. Seit dem Jahr 2000 wurden rund 2,2 Milliarden Euro in Werke investiert. In England werden die Autos der Marken Mini und Rolls-Royce montiert sowie Komponenten und Motoren produziert, die Teil des internationalen Fertigungsverbundes von BMW sind.
Natürlich beherrschen es die Leute von BMW, auch in Ländern außerhalb der EU zu produzieren. Doch alles, was die komplexen Prozesse zusätzlich erschwere, sei kontraproduktiv, heißt es in der Münchener Konzernzentrale. Der Standortvorteil aufgrund der offenen Grenzen und Märkte in der EU, drohe zu einem Teil verloren zu gehen. Die Erfahrung zeige, dass der ungehinderte Austausch von Komponenten, fertigen Produkten und Arbeitskräften innerhalb der EU ein großer Vorteil für britische Unternehmen sei, so Richardson.
Bei BMW und in den Führungsetagen anderer großer deutscher Unternehmen geht man davon aus, dass bei einem Ja-Wort zum Brexit mindestens zwei Jahre mit Verhandlungen über die Modalitäten eines Austritts folgen werden. Parallel dazu könnte beraten werden, wie gleichwohl sichergestellt wird, dass das barrierefreie Hin und Her von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften zwischen dem Königreich und der weltgrößten Freihandelszone gewährleistet bleibt.
Schwere Schwächung der Wirtschaft absehbar
Doch allein schon diese Übergangsphase mit ihren Unsicherheiten könnte für die dann noch 27 EU-Staaten und noch viel mehr für Britannien viele Nachteile mit enormer Langzeitwirkung bringen. Darauf machen Airbus und Siemens in einem gemeinsamen Appell aufmerksam, der dieser Tage publik gemacht wurde, nachdem sich das populäre Boulevardblatt The Sun für den Brexit ausgesprochen hatte.
Bei einem Votum pro Austritt würde die produzierende Industrie zwischen Aberdeen und Southampton zwar nicht plötzlich verschwinden, aber sie würde schwer geschwächt.
Geplante Investitionen in Fertigungsanlagen würden zumindest eingefroren oder womöglich komplett gestrichen. Der Effekt sei, dass nicht nur aktuelle Jobs in der Industrie gefährdet würden, sondern auch Arbeitsplätze „für unsere Kinder und Kindeskinder“.
Der europäische Flugzeugbauer beschäftigt 15.000 Frauen und Männer in UK. Hinzu kommen Zulieferer mit rund 100.000 Beschäftigten. Die Werke liefern unter anderem Flügel für Airbus-Maschinen, die Frankreich und Deutschland zusammenmontiert werden. Siemens ist seit mehr als 170 Jahren in Großbritannien aktiv und will noch in diesem Jahr ein neues Werk seiner Bestimmung übergeben, das riesige Rotoren für Offshore-Windräder baut. Natürlich wird die Fabrik auch im Brexit-Fall eröffnet.
Zurückhaltung bei Kritik gegen Brexit-Fans
Wer derzeit bei deutschen Firmen nachfragt, wird denn auch kein Statement erhalten, das mit dem Stopp von Investitionen in UK droht, obwohl in Stabsabteilungen solche Szenarien längst durchgespielt werden. Stattdessen werden in der öffentlichen Kommunikation die Vorteile der EU gepriesen. Ein Europa ohne das Vereinigte Königreich sei schwächer, ebenso wie das Vereinigte Königreich außerhalb der EU schwächer wäre – heißt es etwa in einem Brief des European Round Table of Industrialists. Das ist ein Club aus 50 europäischen Groß-Unternehmen.
Kein Vorstandschef will sich derzeit mit allzu heftiger Kritik an Brexit-Fans zu weit aus dem Fenster lehnen. Man möchte nicht noch weiter provozieren. Die Kommunikationsabteilungen verwiesen derzeit gerne auf frühere Äußerungen der Bosse. So auch bei Airbus-Boss Tom Enders, der schon Ende Februar betonte, ein EU-Ausstieg werde Konsequenzen auf „das gesamte wirtschaftliche Umfeld“ haben und damit „auch unsere Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen“.
Ähnlich klingt es bei der Lufthansa. Konzernchef Carsten Spohr erwartet eine „Reduzierung des europäischen Wachstums“, was zu einer „Nachfragereduzierung auch beim Kunden“ führen werde. Sein Unternehmen bereite sich darauf wie auf jede andere erdenkliche Krise vor – gegebenenfalls mit dem Streichen von Flügen auf die Insel.
Und was macht Heller-Geschäftsführer Meyer in Redditch? Er will dem Standort treu bleiben. Gerade würden zwei Millionen Pfund investiert, um die Kapazitäten zu erweitern. Meyer ist denn auch festen Glaubens, dass es nicht zum Brexit kommt. Zum einen hofft er, dass noch viele Wähler begreifen, dass sie sich mit einem Austritt „wirtschaftlich schaden würden.“ Zum anderen seien die Briten ein „offenes und herzliches Volk, zu dem es eigentlich nicht passt, einfach vom Tisch aufzustehen und zu verschwinden“.