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Prozesse Wirecard-Prozess: Angriff, Entschuldigung und offene Fragen

Die Aussage des dritten Angeklagten im Wirecard-Prozess sollte offene Fragen beantworten. Jenseits einer Entschuldigung und Angriffen auf den Kronzeugen brachte sie aber wenig Entscheidendes.

Von Christof Rührmair 17.07.2024, 10:56
Der ehemalige Chef der Buchhaltung bei Wirecard, E.
Der ehemalige Chef der Buchhaltung bei Wirecard, E. Sven Hoppe/dpa

München - Ein bisschen enttäuscht - so fasst die Sprecherin der Staatsanwaltschaft zusammen, was sie von der Aussage des dritten Angeklagten im Wirecard-Prozess hält. 137 Prozesstage lang hatte der ehemalige Chef der Buchhaltung E. geschwiegen. Nun äußert er sich - und zwar ausführlich. Zwei Tage sind alleine für die Verlesung seiner Aussage angesetzt, die rund 190 Seiten umfassen soll. Doch entscheidend Neues bringt sie am ersten Tag nicht.

E. war mit einer Entschuldigung in seine Ausführungen eingestiegen. Er räumte ein, Fehler gemacht zu haben, die er bereue. Doch ein Geständnis sind seine Aussagen nicht. E. wies zurück, Teil einer kriminellen Bande gewesen zu sein. Er habe sich nicht bereichert und stets nur das Beste für das Unternehmen gewollt. Zudem wies er an vielen Stellen Verantwortung und Zuständigkeit von sich. Und letztendlich sei er auch kein Buchhalter, betonte E., der ursprünglich Landschaftsarchitektur studiert und sich erst später per Aufbaustudium wirtschaftlich weitergebildet hatte.

„Hass“ und „Belastungseifer“

Den mitangeklagten Kronzeugen der Anklage, Oliver Bellenhaus, attackierte E. dagegen scharf: Der Manager, der die Anklage weitgehend einräumt und dessen Aussage E. und den ehemaligen Wirecard-Chef Markus Braun belastet, sei „gut im Lügen und Verdrehen“, sagte er im Laufe seiner selbstverfassten Aussage. Den „Hass“ und „Belastungseifer“ seines Mitangeklagten führte E. unter anderem darauf zurück, dass dieser ihm seinen Titel und sein Gehalt geneidet habe. Zudem habe er ihn mit seinen Nachfragen nach Belegen „genervt“ - wohl auch weil Bellenhaus diese dann habe fälschen müssen. Insgesamt habe er den Eindruck gehabt, dass der Manager ein Chaot gewesen sei. Zudem seien die beiden immer wieder aneinandergeraten.

Seine eigene Rolle beschreibt E. dagegen als die eines mit zu viel Arbeit überschütteten Managers. „Ich hatte sehr viele Themen auf dem Tisch und kam mir vor wie ein Jongleur, der voll damit beschäftigt war, dass kein Ball herunterfällt“, beschrieb E. seine Tätigkeit. Dabei habe er keine Zeit gehabt, sich mit den einzelnen Bällen eingehender zu beschäftigen. Heute sehe er aber ein, dass er innehalten und dies hätte tun sollen.

Nicht die Kraft, alles zu hinterfragen

Für die Überforderung macht E. allerdings auch schlechte Technik und einen Mangel an Mitarbeitern verantwortlich. „Es war eigentlich immer so, dass zwei Leute gleichzeitig etwas von mir wollten“, beschrieb er seinen typischen Arbeitstag. Insbesondere bei den Jahresabschlüssen habe es viel Zeitdruck gegeben. „Man hat nicht die Zeit und die Kraft, alles zu hinterfragen. Dafür gibt es die Fachabteilung“, sagte E. Auf deren Informationen müsse man vertrauen können. Oft habe man deren Antworten nur an die Wirtschaftsprüfer weitergeleitet. „Wenn die zufrieden damit waren, waren wir es auch.“

Zum Drittpartnergeschäft, das beim Zusammenbruch von Wirecard eine zentrale Rolle spielte, äußerte sich E. nur indirekt. Er hatte die Erwartungen allerdings bereits zu Beginn seiner Aussage eingeschränkt. Dies sei nicht Schwerpunkt seiner Arbeit gewesen, viele Informationen dazu habe er nur vom Hörensagen. Er könne nur „von vielen Jahren Schreibtisch“ bei Wirecard erzählen.

Allerdings betonte E., dass er Mitarbeiter mit dem Drittpartnergeschäft beauftragt habe. Dies sieht er als Gegenargument für die ihm vorgeworfene Bildung einer Bande. Wäre dies so gewesen, hätte er ja versucht, Mitarbeiter vom Thema fernzuhalten.

Brauns Verteidigung sieht sich bestätigt

Die Verteidigung von Ex-Wirecard-Chef Braun zeigte sich zufrieden mit der Aussage. Diese stütze die Angaben ihres Mandanten. Man sehe, dass zwei Angeklagte die Wahrheit sagten und einer nicht, sagte sie mit Blick auf Braun und E. beziehungsweise Bellenhaus.

Der Zahlungsdienstleister Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gegangen, weil auf Treuhandkonten verbuchte 1,9 Milliarden Euro nicht mehr auffindbar waren. Der Schaden geht in die Milliarden. Die Anklage wirft den drei Angeklagten sowie dem abgetauchten früheren Vertriebsvorstand Jan Marsalek und weiteren Komplizen vor, Umsätze in Milliardenhöhe schlicht erfunden zu haben, um den eigentlich defizitären Dax-Konzern über Wasser zu halten. In dem seit Dezember 2022 geführten Prozess hatte E. bisher geschwiegen. Braun bestreitet alle Vorwürfe, der geständige Bellenhaus tritt als Kronzeuge auf und beschuldigt die beiden Mitangeklagten.

Wer war Täter, wer war Opfer?

Ex-Vorstandschef Braun hat bereits mehrfach ausgesagt, dass die Geschäfte des Unternehmens - und die Milliardenumsätze - nicht erfunden, sondern real gewesen seien. Nach seiner Darstellung sollen der abgetauchte Vertriebsvorstand Jan Marsalek, Bellenhaus und weitere Komplizen die wahren Betrüger gewesen sein, die dem Konzern Milliarden stahlen und auf eigene Konten umleiteten.

Die Kammer hat bereits Prozesstage bis kurz vor Weihnachten angesetzt. Ein ganz wichtiger Zeuge muss noch vernommen werden: Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Dieser entdeckte bei seinen Nachforschungen bislang keine Spur der verschwundenen Milliarden, von deren Existenz Braun überzeugt ist.