Verkehr Weniger Erdgasautos und Erdgastankstellen in Deutschland

Halle (Saale) - Auf einem roten Schild an einer Leipziger Erdgas-Tankstelle steht dieser Tage in weißen Lettern „Außer Betrieb“. Ein Hinweis, welcher Besitzern von Erdgas-Fahrzeugen künftig öfter begegnen könnte.
Noch im April stellt eine Erdgastankstelle im nordrhein-westfälischen Alpen den Betrieb ein, einen Monat später eine im bayerischen Bad Reichenhall und Ende Juli schließen gleich zwei Thüringer Erdgastankstellen in Bad Langensalza und in Eisenach. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn andernorts neue Tankstellen eröffnen würden. Doch dem ist nicht so.
Rückgang
Erstmals ist 2015 sowohl die Zahl der Tankstellen als auch der erdgasbetriebenen Fahrzeuge in Deutschland zurückgegangen. „Passiert nichts Entscheidendes, werden die Erdgas-Autos von den deutschen Straßen wieder verschwinden“, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Essen-Duisburg.
Nach Angaben der Initiative „Zukunft Erdgas“ waren Anfang 2016 in Deutschland 97 997 Erdgas-Fahrzeuge zugelassen. Das waren 1,8 Prozent weniger als zwölf Monate zuvor. Im Jahr 2015 standen 6 250 Neuanmeldungen 8 071 Abmeldungen gegenüber. Die Zahlen basieren auf Angaben des Kraftfahrtbundesamtes.
Für diese Entwicklung macht Michael Schaarschmidt von der Erdgas-Initiative vor allem die Autobauer und die Politik verantwortlich. „Die Fahrzeug-Hersteller haben zwar eine Reihe von interessanten Modellen entwickelt, doch es besteht keine Bereitschaft diese offensiv zu vermarkten“, so Schaarschmidt. In Deutschland würden derzeit insgesamt 24 Modelle von verschiedenen Herstellern angeboten, die breiteste Palette biete der VW-Konzern an. „Beworben werden diese aber kaum“, so Schaarschmidt.
Ähnlich sieht es Dudenhöffer: „Bei den Händlern sind die Erdgasautos Standuhren.“ Die Fahrzeugbauer würden sich bei neuen Antriebstechnologien derzeit vor allem auf Elektro-Autos konzentrieren.
Darum trennt sich der Leipziger Gaskonzern VNG von Erdgastankstellen
Beim Verband der Automobilindustrie (VDA) glaubt man auch weiter an Erdgas als Kraftstoff - so zumindest die öffentlichen Aussagen. „Der ermäßigte Energiesteuersatz ist ein wichtiger Anreiz zum Kauf von Erdgasfahrzeugen“, so Peter Mair vom VDA. Es gebe eine ähnlich hohe Modellauswahl wie bei Elektro-Autos.
An Bekenntnissen zum Erdgas fehlt es auch in der Politik nicht. Laut Bundesregierung soll sich der Anteil von Erdgas am Kraftstoffmix im Straßenverkehr bis 2020 verzehnfachen - von 0,4 auf vier Prozent. „Doch es gibt keine Anreize, damit das ambitionierte Ziel erreicht werden kann“, klagt Schaarschmidt von der Erdgas-Initiative. Vielmehr droht das Gegenteil.
Negativer Trend
Das wichtigste Pfund für Erdgasautos war bislang ein deutschlandweites Tankstellen-Netz. Doch dort zeigen sich Erosionsprozesse. Anfang 2016 gab es 911 Erdgas-Tankstellen. Im Jahr 2015 wurden laut „Zukunft Erdgas“ 16 Tankstellen geschlossen und nur sechs neue errichtet. Mit den schon angekündigten Schließungen für dieses Jahr dürfte sich der negative Trend noch verstärken. Zum Vergleich: Es gibt landesweit rund 15 000 Benzin- und Dieseltankstellen.
Erdgas-Fahrzeuge kosten im Schnitt rund 2 500 Euro mehr als die Benzin-Variante und haben eine kürzere Reichweite. Dafür sind die Kraftstoffkosten - auch dank einer steuerlichen Vergünstigung - wesentlich niedriger. Auch durch die zuletzt deutlich gesunkenen Benzin- und Dieselpreise hat sich dies nicht grundlegend verändert. Die Ersparnis liegt gegenüber Benzinern bei rund 50 Prozent. Derzeitige Erdgas-Pkw verursachen zudem 20 Prozent weniger klimaschädliches CO2 als Benzin-Pkw. Werden die Autos mit Bio-Gas (Biomethan) angetrieben, ist die Bilanz noch besser. Anders als Diesel-Fahrzeuge emittieren die Fahrzeuge kaum Feinstaub und Stickoxide.
Ende vergangener Woche hatte der Leipziger Gaskonzern VNG bekanntgegeben, elf Erdgastankstellen in Mitteldeutschland an die deutsche Tochter des russischen Gasriesen Gazprom veräußert zu haben. „Die wesentliche Gründe dafür sind die geringen Zulassungszahlen für Erdgasfahrzeuge, die fehlende Kontinuität für dieses Thema bei den Automobilherstellern und bei der Politik“, teile VNG auf MZ-Anfrage mit.
Stadtwerke betreiben Stationen
Gazprom sieht in den Tankstellen einen neuen Absatzkanal für russisches Erdgas. In den vergangenen zwei Jahren erwarb die deutsche Tochter bereits Stationen von Bayerngas, EnBW und Mitgas (RWE). Aktuell betreibt Gazprom knapp 50 Erdgas-Tankstellen in Deutschland. „Viele sind froh, dass Gazprom ihnen die Stationen noch abkauft“, sagt Heiko Lohmann vom Fachmagazin Energate Gasmarkt.
Rund die Hälfte aller Gas-Tankstellen gehört Stadtwerken, die häufig jeweils nur eine oder zwei Anlagen betreiben. Diese versorgen teilweise auch städtische Busse. Rentabel arbeiten die Stationen vielerorts aber nicht. Werden diese aufgegeben, gibt es für die Halter von gasbetriebenen Pkw gerade in ländlichen Regionen oft keine Tank-Alternative mehr. Die Zahl der Tankstellen hat eine unmittelbare Auswirkung auf den Fahrzeugbestand. Es droht eine unheilvolle Spirale nach unten.
Gazprom Germania glaubt nicht, dass es dazu kommt. „Erdgas wird künftig eine bedeutsame Rolle im Verkehrssektor spielen“, sagte zuletzt Timo Vehrs, Direktor Geschäftsentwicklung der Gazprom Germania. Es ist eine Wette auf die Zukunft. (mz)