Industrie Was den Osten für TSMC und Co. so attraktiv macht
Ostdeutschland hat zwar kein Dax-Unternehmen, kann aber immer wieder mit Großansiedlungen punkten. Anfangs ging es vor allem um Jobs. Inzwischen geht es um mehr.
Dresden/Grünheide - Als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) den Ostdeutschen 1990 „blühende Landschaften“ versprach, hatte er selbst wohl nur vage Vorstellungen vom Zeitpunkt. Erst einmal brach die Wirtschaft im Osten ein, die Menschen wanderten massenhaft in Richtung Westen ab und die Freude über die D-Mark wich schon bald Arbeitslosigkeit und Zukunftsängsten. Auch mehr als drei Jahrzehnte später klafft eine Lohnlücke zwischen Ost und West. Doch der Osten zieht an. Das zeigen die Rieseninvestitionen bei Tesla in Brandenburg, die Pläne von Intel in Magdeburg und jetzt TSMC in Dresden.
Für Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) sind das Erfolgsgeschichten. Und die hingen nicht einfach damit zusammen, dass der Bund für die Ansiedlungen Milliarden-Beträge auf den Tisch lege. Damit kontert er kritische Stimmen zu Subventionen, die im Falle des taiwanischen Chipherstellers TSMC die Hälfte der Investitionssumme von gut zehn Milliarden Euro ausmachen sollen. Kretschmer spricht von einem kontinuierlichen Prozess, man habe systematisch in Wissenschaft und vor allem in Köpfe investiert. Das zahle sich nun aus. „Wenn wir die digitale Souveränität haben wollen, müssen wir die Produktion hier haben“, sagt er mit Blick auf die Halbleiter-Produktion.
Experte: Es geht um mehr als Arbeitsplätze
Seit der deutschen Wiedervereinigung ging es nach Worten des Dresdner Wirtschaftswissenschaftlers Joachim Ragnitz bei Großinvestitionen in Ostdeutschland vor allem darum, Arbeitsplätze zu schaffen. Das sei auch gelungen. Allerdings seien es nicht immer die am besten bezahlten Jobs gewesen. Und entlegenen Regionen Ostdeutschlands hätten die Großansiedlungen nicht viel gebracht. „Die ganz großen Ansiedlungen fanden fast allen in den urbanen Zentren statt.“ Deshalb seien die wirtschaftlichen Effekte auf die Großräume begrenzt.
Dennoch kann eine Investitionsentscheidung viel auslösen. „Was wirklich eine Rolle spielt, ist die Signalwirkung“, sagt Martin Gornig, Experte für Industriepolitik beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Zunächst der Ankündigungseffekt bewirkt, dass die Region als positiv und aufstrebend wahrgenommen wird. Anschließend hat das Auswirkungen auf die Forschungslandschaft, wenn es um ein technologisch anspruchsvolles Feld geht. Dann können Zulieferer kommen und weitere indirekte Effekte.“
Solche Erwartungen knüpften sich auch an die „Gigafactory“ des US-Autokonzerns Tesla in Brandenburg, die im Gegensatz zu den angekündigten Investitionen von Intel und TSMC bereits Realität ist. Die Riesenfabrik südöstlich von Berlin liefert seit etwa eineinhalb Jahren Elektroautos aus. Und wenn man den Bürgermeister der zuständigen Gemeinde Grünheide mit rund 9300 Menschen hört, dann haben sich viele Hoffnungen erfüllt.
Vom Produktionsarbeiter bis zur Bürokraft
„Ich habe damals gesagt, die Entscheidung von Tesla für Grünheide ist ein Lottogewinn, und dabei bleibe ich auch“, sagt Bürgermeister Arne Christiani. „Das bezieht sich weniger auf das Finanzielle. Es gibt unserer Gemeinde einfach eine Perspektive und jungen Leuten eine Alternative zum Wegzug aus der Region.“
Inzwischen arbeiten in der Fabrik etwa 11.000 Menschen. Das Arbeitsamt Frankfurt an der Oder hat nach eigenen Angaben gut 1500 Arbeitslose in unbefristete Job bei der Autofabrik vermittelt - vom Produktionsarbeiter bis zur Bürokraft. Etwa die Hälfte waren demnach zuvor langzeitarbeitslos.
Die Mehrzahl der Tesla-Leute pendelt in die Fabrik, aber auch da sieht Bürgermeister Christiani das Positive. Die Regionalbahn ist nun viel enger getaktet - darauf habe man zuvor jahrelang gehofft. Und es gebe jetzt in der Nähe des Werks eine Rettungsstation mit Feuerwehr und einsatzbereitem Notarzt an 365 Tagen im Jahr. Umweltverbände haben weiter große Bedenken wegen des Wasserverbrauchs der Tesla-Anlagen. Doch der Bürgermeister ist sicher: „Es ist eine Erfolgsgeschichte, und die Mehrheit der Bevölkerung sieht das auch so.“
Für Ostdeutschland ist diese Euphorie ungewohnt. „Die Wirtschaft in Ostdeutschland ist nach der Wiedervereinigung weitgehend zusammengebrochen“, weiß Gunther Schnabl, Professor an der Universität Leipzig. Doch hält er heute die Standortbedingungen im Osten für vergleichsweise gut. „Es gibt eine hoch qualifizierte Arbeitnehmerschaft, die Immobilienpreise sind im Vergleich zum Westen günstiger und das Lohnniveau ist noch niedriger. Aus dieser Sicht ist Ostdeutschland ein attraktiver Standort.“
Allerdings gebe auch in Ostdeutschland inzwischen einen generellen Arbeitskräftemangel. Mit steigenden Löhnen würden hier Jobs wieder attraktiv, meint Schnabl. „Rückkehrer sind deshalb ein wichtiges Potenzial für den ostdeutschen Arbeitsmarkt.“
Wirtschaftsforscher Ragnitz nennt einen anderen Standortvorteil für Ostdeutschland: die erneuerbaren Energien vor allem in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. In Teilen Ostdeutschlands gebe es zudem eine gute Infrastruktur, beispielsweise in Leipzig mit zwei Autobahn-Anbindungen, Flughafen und Bahn. Dazu kämen mancherorts sehr gute Forschungseinrichtungen und Hochschulen.
Leergefegter Arbeitsmarkt
Unternehmen nähmen bei ihren Standortentscheidungen immer ein Bündel an Faktoren in den Blick. „Da muss alles zusammenpassen.“ Ragnitz verweist auf eine bundesweite Studie des Ifo-Institutes zu Standortbedingungen. Dabei konnten die großen Ballungszentren im Osten mit dem Westen mithalten, nicht aber die peripheren Regionen.
In dem oft beschriebenen schlechten Image Ostdeutschlands als Hochburg der Rechten sieht der Wissenschaftler keinen Hinderungsgrund für weitere Großansiedlungen. „Die Unternehmen schauen sich so etwas genau an. Sie merken schnell, dass das in Medien oft kolportierte Bild vom 'braunen Osten' so nicht stimmt.“ Hinderlich sei vielmehr der Fachkräftemangel. „Der heimische Arbeitsmarkt ist ziemlich leer gefegt.“ Ragnitz rechnet damit, dass die Firmen zunehmend eigene Leute mitbringen oder Mitarbeiter kleiner Betriebe zu den „Großen“ abwandern - mit Nachteilen für den ostdeutschen Mittelstand.