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Grüne Woche Verbände rechnen mit weiter steigenden Lebensmittelpreisen

Die Verbraucher reagieren sensibel auf steigende Lebensmittelpreise, gleichzeitig ächzt die Industrie unter höheren Kosten. Die Grüne Woche steht für Genuss und ein schönes Leben und startet am Freitag.

Von Von Fabian Nitschmann, Matthias Arnold und Sascha Meyer, dpa Aktualisiert: 19.01.2023, 10:53
Blick in die noch unfertige Halle des Landwirtschaftsministeriums: Die Grüne Woche beginnt am Freitag.
Blick in die noch unfertige Halle des Landwirtschaftsministeriums: Die Grüne Woche beginnt am Freitag. Fabian Sommer/dpa

Berlin - Unter dem Eindruck der hohen Inflation wird bei der Internationalen Grünen Woche in Berlin vor allem über steigende Preise und die angespannte Lage auf dem Lebensmittelmarkt diskutiert. Herausforderungen seien noch nie so groß gewesen wie 2022 und 2023, sagte Christian von Boetticher, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, am Mittwoch vor der Eröffnung der Agrarmesse an diesem Freitag nach zwei Jahren Corona-Pause. Vor allem hohe Energiepreise „zwingen die Industrie langsam in die Knie“. Für dieses Jahr erwartet die Branche weiter steigende Lebensmittelpreise.

Im vergangenen Jahr gingen die Preise für Nahrungsmittel bereits um 13,4 Prozent nach oben. Für Gemüse meldete das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Mittwoch einen Preisanstieg um 10,7 Prozent, bei Obst um 3,0 Prozent. „2022 war noch eine Mischkalkulation mit alten 2021er-Preisen. Die Spitzen der Preise 2022 machen sich auch 2023 noch bemerkbar und schlagen durch“, warnte von Boetticher.

Verbraucher greifen auf Günstiges zurück

Problematisch für die Industrie sei, dass nicht alle Kostensteigerungen im Produktionsprozess tatsächlich an die Verbraucher weitergegeben werden könnten - bei bestimmten Preisschwellen würden die Produkte dann nämlich schlicht nicht mehr gekauft. „Es ist also nicht so, dass der Produzent mit gefüllten Taschen rumläuft“, meinte von Boetticher.

In einigen Statistiken ließ sich zuletzt bereits ablesen, dass die Verbraucher unter dem Eindruck der Inflation verstärkt auf günstigere Produkte zurückgreifen. So erhielt zum Beispiel das Geschäft mit Bio-Lebensmitteln einen ungewohnten Dämpfer: Der Markt schrumpfte zum ersten Mal in seiner Geschichte, vor allem Reformhäuser und reine Bio-Märkte bekamen das zu spüren. Bio-Lebensmittel wurden stattdessen eher im Discounter gekauft - oder gar nicht.

Cem Özdemir: Ziele Schritt für Schritt erreichen

Die Branche appellierte auch mit Blick auf den vorgesehenen Wandel zu mehr Tier- und Naturschutz an die Konsumenten, im Einkaufsverhalten die Richtung vorzugeben. „Wenn die Weiterentwicklung der deutschen Landwirtschaft gelingen soll, dann muss auch weiterhin der Griff ganz gezielt zu höherwertigen Produkten erfolgen“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) verteidigte die Pläne zum Umbau der Tierhaltung gegen Kritik und sagte gesicherte Bedingungen zu. „Es geht hier nicht um Revolution und Disruption“, sagte der Grünen-Politiker in einem aufgezeichneten Grußwort bei einer Veranstaltung des Bauernverbands. Sein Credo sei, Ziele Schritt für Schritt zu erreichen. Es brauche Planbarkeit und Verlässlichkeit.

Özdemir betonte: „Ich möchte, dass wir in Deutschland unter hohen qualitativen Standards Fleisch erzeugen und unsere Bäuerinnen und Bauern damit wirtschaftlich erfolgreich sein können.“ Er will ein verpflichtendes Tierhaltungslogo mit fünf Stufen vom gesetzlichen Mindeststandard bis Bio an den Start bringen - im ersten Schritt für Schweinefleisch im Handel. Ein Programm mit einer Milliarde Euro bis 2026 soll Neu- und Umbauten von Schweineställen und laufende Mehrkosten einer besseren Haltung fördern. Der Bauernverband hat scharf gegen Bedingungen etwa zu maximalen Tierzahlen protestiert.

Rukwied und von Boetticher sehen mit Blick auf den Umbau der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelproduktion aber vor allem die Konsumenten in der Pflicht: Sie sollen mit ihrem Einkaufsverhalten die Richtung für Landwirtschaft und Industrie vorgeben. „Wenn die Weiterentwicklung der deutschen Landwirtschaft gelingen soll, dann muss auch weiterhin der Griff ganz gezielt zu höherwertigen Produkten erfolgen“, sagte Rukwied.

Wie steht es mit heimischen Produkten?

Ein Öko-Flächenanteil von 30 Prozent bis 2030 sei ein sehr anspruchsvolles politisches Ziel - eine nachhaltigere Produktion könne aber nur gelingen, wenn die höherwertigen, heimischen Produkte auch gekauft würden. „Wenn die Nachfrage da ist, werden wir deutschen Bauern die Nachfrage auch bedienen“, sagte Rukwied. Von Boetticher warnte, dass der Markt kollabiere, wenn es zwar 30 Prozent Bio-Angebot gebe, aber nicht 30 Prozent Bio-Nachfrage.

Laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Yougov kaufen 28 Prozent der Deutschen angesichts der hohen Inflation weniger Bio-Lebensmittel ein als zuvor. 60 Prozent der Befragten gaben demnach an, dass sie ihr Kaufverhalten nicht angepasst hätten, 5 Prozent kaufen den Angaben zufolge mehr Bio-Lebensmittel ein.

Das Problem für den Bio-Handel war zuletzt das generelle Preisniveau - denn der Preisanstieg fiel im Vergleich zu konventionell erzeugten Lebensmitteln geringer aus. „Bio wirkt als Inflationsbremse“, fasste der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) das Ergebnis einer Untersuchung zusammen, die die Preise von Grundnahrungsmitteln im Herbst 2022 mit denen im Herbst 2021 verglich. Ein Beispiel: Für konventionell erzeugte Butter mussten Kundinnen und Kunden der Studie zufolge im Herbst 2022 im Lebensmittelhandel fast 60 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor. Die Preise für Bio-Butter erhöhten sich dagegen bei den Discountern um 35 Prozent und in Supermärkten um 29 Prozent.

Die Lage der Milchbauern

Verhältnismäßig gut lief es zuletzt für Milchbauern - nach mehreren Jahren der Krise. Ende des vergangenen Jahres verdienten sie dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) zufolge knapp 60 Cent pro Liter Rohmilch - das waren fast 12 Cent mehr als sie der Liter in der Herstellung kostete. In den Jahren davor lagen die Erzeugerpreise zum Teil deutlich über den Kosten. Zahlreiche Betriebe gaben auf.

Einen Grund zur Entwarnung sieht der Verband darin aber nicht. „Wir müssen die Märkte beobachten, wir müssen, wenn es notwendig ist, auch handeln“, sagte Verbandssprecher Hans Foldenauer. Die Abhängigkeit der Milchbauern von den großen Molkereien bestehe weiter, die Nachfrage auf dem für Deutschland und Europa wichtigen Weltmarkt gehe zurück. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich da auch auf Milcherzeugerpreisebene ein deutlicher Rückgang einstellt.“

Die Grüne Woche beginnt am Freitag als Vor-Ort-Event in den Berliner Messehallen - erstmals wieder nach zwei Pandemie-Jahren ohne große Ausstellung. Erwartet werden 1400 Aussteller aus rund 60 Ländern - etwas weniger als vor Corona. Als Höhepunkte bewarb Messe-Chef Dirk Hoffmann die Blumenhalle mit 2200 Quadratmetern Fläche und ein abwechslungsreiches Programm in der Tierhalle. Die Messe hofft bis zum Abschluss am 29. Januar auf rund 300.000 Besucher.