Urteil Urteil: HRE soll halbe Milliarde Schadenersatz zahlen

München - Anlegeranwalt Andreas Tilp jubelt. „Wir haben einen rechtshistorischen Sieg errungen“, sagt der Jurist nach dem Musterentscheid durch Richter Guido Kotschy vom Oberlandesgericht München in Sachen Hypo Real Estate (HRE). Dessen Spruch hatte es in der Tat in sich.
Die HRE habe zum Schaden von Anlegern während der Finanzkrise 2007 ihre Bilanz manipuliert, eine falsche Pressemitteilung und einen in wesentlichen Punkten unrichtigen Börsenprospekt veröffentlicht sowie über Monate hinweg eine warnende Adhoc-Mitteilung unterlassen. Das begründet Schadenersatzpflicht, die Tilp nach erster Einschätzung auf „deutlich über eine halbe Milliarde Euro“ beziffert.
Nur bestimmte Aktionäre haben nach dem Entscheid des OLG München gute Regresschancen. Dafür entscheidend ist, wann genau sie ihre jeweiligen HRE-Aktien gekauft haben.
Schadenersatzpflichtig gemacht hat sich die Bank laut Urteil ab dem 3. August 2007. Am 15. Januar 2008 endet nach Ansicht der Richter die Schadenersatzpflicht der HRE. (tmh)
Auf eine ähnliche Summe kommt Aktionärsschützerin Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Vor allem die von Kotschy im Musterprozess festgestellte Haftung für einen falschen Börsenprospekt gebe eine ausgezeichnete Anspruchsgrundlage für nun folgende Schadenersatzprozesse. „Die Prospekthaftung ist das schärfste Schwert im Anlegerrecht“, stellte Tilp klar. Die unterlegenen HRE-Anwälte waren wortkarger. Sie kündigten allerdings noch im Gerichtssaal den Gang vor den Bundesgerichtshof (BGH) als nächste Instanz an.
Sollte Kotschys Spruch dort Bestand haben, muss der Steuerzahler für den Schaden aufkommen. Die HRE musste zu ihrer Rettung zwangsverstaatlicht werden, sodass nun der Bund für Regressforderungen geradestehen muss. „Das ist der Preis für den Rechtsstaat“, meinte Bergdolt.
Zahlungen erst in einigen Jahren
Auch für sie ist der Entscheid von Richter Kotschy wegweisend und ein Fingerzeig für einen wohl 2015 in München startenden Strafprozess gegen die frühere HRE-Führungsriege unter deren Ex-Chef Georg Funke. Gegen ihn und seine früheren Vorstandskollegen hat die Staatsanwaltschaft vor kurzem Anklage erhoben.
Kotschy befand, die HRE habe Belastungen durch toxische US-Wertpapiere im Sommer 2007 im Umfang von 131 Millionen Euro in ihrer Bilanz versteckt, wohl in der irrigen Annahme, es werde schon nicht mehr schlimmer kommen. Sie hätte die Summe aber wertberichtigen müssen.
Über fünf Monate hinweg habe die Bank zudem jede Belastung aus der US-Wertpapierkrise abgestritten und sich öffentlich sogar als deren Gewinner dargestellt. Das hat viele Anleger auf der Suche nach einem sicheren Hafen in die HRE-Aktie getrieben.
Gut 250 Prozesse, in denen Geschädigte Schadenersatz fordern, sind derzeit anhängig. Mit den Ergebnissen aus dem Musterverfahren haben die Kläger theoretisch leichtes Spiel – wenn der BGH das Urteil bestätigt. Doch auch ihre Schadenersatzklagen können sich über Instanzen erstrecken. Bis Geld an Geschädigte fließt, vergehen im günstigsten Fall sechs Jahre, schätzt Bergdolt. Dazu kommt: Wer nicht von Anfang an geklagt hat, geht leer aus. Denn erst jetzt nachgereichte Ansprüche gelten juristisch als mittlerweile verjährt, sagen die Rechtsexperten.