Urban Street Style statt Brauerkluft Urban Street Style statt Brauerkluft: Mikro-Brauerei mit Discokugel

Berlin - Aus der Ferne sieht es aus wie ein überdimensional großer, schwarzer Überseecontainer. Wer genauer hinsieht, erkennt, dass dieser aus insgesamt 38 Stück besteht, die schwarz angestrichen sind. Hier und da sind Fenster sowie Glastüren eingebaut. In weißer Schrift und großen Lettern steht das kaum auszusprechende alt-slavische Wort „BRLO“ – zu Deutsch: Berlin.
Dieser innovative Containerbau am Berliner Gleisdreieck ist das „BRLO BRWHOUSE“ – nein, da fehlt kein Buchstabe. Auch bei dieser Namensgebung wurde mit dem der ursprünglichen slawischen Bezeichnung gespielt. Neben einem Restaurant befindet sich darin auch eine Mikro-Brauerei. Das ist der Arbeitsplatz von Maverick Dräger.
Der 25-Jährige sieht nicht aus, wie ein typischer Bierbrauer. Eher Urban Street Style statt Brauerkluft: Schwarze Stiefel, blaue Jeans, die Hosenbeine sind an den Waden hochgekrempelt, schwarzer Kapuzenpullover und schwarze Wollmütze mit weißem Firmenlogo.
Bierbrauen als Berufsfeld wird oft romantisiert
„Man muss sich von der romantischen Vorstellung verabschieden, dass ein Bierbrauer mit Lederschürze den ganzen Tag an einem riesigen Braukessel über einer Feuerstelle steht und die Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe mit einem großen Holzlöffel zusammenrührt“, sagt Maverick, als er die Brauerei betritt.
Vieles werde in der Brauerei mittlerweile durch Computertechnik gesteuert, aber auch die müsse er akribisch einstellen, damit Sorte, Geschmack, Aroma und Alkoholgehalt für das jeweilige zu brauende Bier wie geplant stimmen.
Biologie, Chemie und Physik in Verbindung mit Bier sei "viel spannender"
Dafür sind auch grundlegende Kenntnisse in Biologie, Chemie und Physik notwendig. Obwohl er diese drei naturwissenschaftlichen Fächer ab der 10. Klasse abgewählt hatte, sei das in der Ausbildung kein Problem gewesen: „Ich hatte ja ein gewisses Grundverständnis und den Rest habe ich dann an der Berufsschule gelernt.“ In Verbindung mit Bier sei das alles auch viel spannender gewesen, lacht er herzlich und zuppelt an seiner Mütze.
Laut Maverick müssen Menschen sich auch von einer weiteren Vorstellung verabschieden, nämlich der, dass ein Brauer nur ein Mann sein könne. „Ja, die Bierbranche ist immer noch männerdominiert. Aber das ändert sich immer mehr, besonders bei modernen Brauereien. In unserem gesamten Unternehmen arbeiten viele Frauen. Eine davon ist unsere Gründerin und Geschäftsführerin.“
Im Büro liegt der Frauenanteil bei 40,63 Prozent und in der Gastronomie bei 32,69. In den beiden Brauereien arbeiten aktuell 21 Mitarbeiter*innen. Sechs davon sind Frauen. „Das ist immer noch besser als bei meiner Ausbildung.“ Da waren an der Schule in Dresden nur drei Frauen von insgesamt 40 Auszubildenden in seiner Klasse. In dem Betrieb, in dem er gelernt habe, gab es gar keine.
Mikro-Brauerei im Vergleich zu einer Großbrauerei
Nachdem Maverick sein Betriebswirtschaftslehre (BWL)-Studium abgebrochen hatte, machte er 2015 bis 2018 eine duale Ausbildung zum Brauer und Mälzer in einer mittelständischen Brauerei in Brandenburg. Danach zog es ihn in die Großstadt und dort zu einer Berliner Mikro-Brauerei.
Mikro, weil hier geringe Mengen Bier hergestellt werden. In den elf vorhandenen Gär- und Lagertanks passen insgesamt bis zu 440 Hektoliter. Das sind 44.000 Liter. Damit können 88.000 herkömmliche Bierflaschen (0,5 Liter) befüllt werden. In den größten Tank passen 100 Hektoliter (20.000 Flaschen) und in den kleinsten 25 Hektoliter (5.000 Flaschen).
Zum Vergleich: In einer Großbrauerei werden bis zu 800 Hektoliter pro Anlage gebraut. Während es dort gleich mehrere Anlagen gibt, in der gleichzeitig verschiedene Biere gebraut werden können, gibt es in der Mikro-Brauerei nur eine Anlage, bestehend aus zwei Braukesseln, einem Würzkühler und dem sogenannten Whirlpool. Das ist ein Tank, in dem durch einen Strudel die Flüssigkeit von Festbestandteilen der sogenannten Würze getrennt werden.
Darum gibt es eine Disco-Kugel in der Mikro-Brauerei
Die Mikro-Brauerei umfasst in etwa eine Fläche von vier mal drei Überseecontainern. Der Raum ist drei Container hoch. Es wirkt industriell, aber auch steril. Die Tanks und Kessel aus Edelstahl weisen keine Fettfingerflecken auf und glänzen genauso wie die Discokugel oben an der Decke. „Ja, man kann den Raum auch für Partys mieten und Führungen buchen“, erwähnt Maverick beiläufig, als wäre das in jeder Brauerei so üblich.
Auch wenn technische Geräte heutzutage viel Arbeit beim Brauen und Reinigen abnehmen, „es ist trotzdem noch ein Handwerk und körperliche Arbeit!“. Ein*e Brauer*in müsse körperlich fit sein, um beispielsweise einen der 25 Kilogramm schwere Malzsäcke zur Mühle zu schleppen, aber auch für das stundenlange und gründliche Putzen.
Bierbrauen: Handwerk und körperliche Arbeit trotz vieler technischer Geräte
„Kreativität ist auch wichtig!“, ergänzt der etwa 1,70 Meter große Kerl. „Ich liebe es, wenn ich neue Bierkreationen entwickeln und brauen darf“, schwärmt der 25-Jährige und lächelt von einem Ohr zum anderen, auch wenn diese unter der Mütze kaum zu sehen sind.
Apropos Bier brauen: „Freitags ist kein Brautag“, sagt er und zuckt mit den Schultern, „Sonst würde ich auch eine Latzhose und ordentliche Arbeitsschuhe tragen.“ Trotzdem sei viel zu tun: Putzen, putzen, putzen und Organisatorisches.
Maverick öffnet seinen Laptop, der auf einem Metalltisch mitten im Raum steht – normalerweise ist das nicht sein Büro. Das hängt als Container über der Brauerei– mitten in der Luft. Zu diesem Büro führt eine große Metalltreppe mit Steg.
Maverick zeigt auf den Bildschirm: „Das ist unser Release-Kalender.“ Bunt gefärbte Spalten markieren einen Zeitstrahl in einer Excel-Tabelle. Das heißt, er kann genau sehen, was für ein Bier momentan in welchem Tank wie lange gärt.
"Einhornblut 2.0" neben Standardbieren wie Pils, Helles und Weizen
In der Zeile für Tank Nummer drei steht „Einhornblut 2.0“. „Eine Berliner Weisse mit Hibiskus und einem Alkoholgehalt von 10,5 Prozent“, erklärt der 25-Jährige, „das war ein echter Renner.“ Normalerweise werden neue Bierkreationen nur einmal gebraut. Wenn aber eine besonders hohe Nachfrage bestünde, werde auch eine zweite Version gebraut.
In seiner Tabelle sieht er aber auch, welche weiteren Bierkreationen neben den Standardbieren wie Pils, Helles oder Weizen in Zukunft kommen sollen. „Wir planen circa vier Wochen im Voraus“, sagt Maverick konzentriert und scrollt von links nach rechts durch die Tabelle. Daran gemessen muss er nun Bestellungen aufgeben, damit keine Lieferengpässe entstehen, und vergisst dabei nicht, welches Bier bald fertig ist. „Ein Bier gärt bei uns in der Regel 21 bis 28 Tage – je nach Bierstil“, erklärt er.
Bierbrauen: Vorliebe für Bier in seiner Gänze für diesen Beruf vorteilig
Das Erfinden neuer Biersorten gehört auch zu seinem Job. „Dieser kreative Prozess ist mit das Beste an meinem Beruf“ schwärmt Maverick erneut. Deshalb sei eine Vorliebe für Bier in seiner Gänze für diesen Beruf vorteilig, aber auch weil Bierbrauer*innen das Gebräu stets verkosten müssen.
Er holt ein Glas, befüllt es mit Bier direkt aus dem Tankhahn, den er vorher desinfiziert hat, und schüttet es weg: „In der Leitung steht das Bier ab.“ Nun befüllt er es nochmal mit etwa 100 Milliliter. Was er gleich verkostet, ist ein Bier mit schwachem Alkoholgehalt. Es sieht aus wie trüber Apfelsaft. „PRST“, wie sie hier im Unternehmen sagen – nein, auch hier fehlt kein Buchstabe.
Doch bevor er trinkt, riecht er dran. Es duftet leicht fruchtig, wie ein mit tropischen Früchten gefüllter Obstkorb. Es schmeckt nach Papaya und Grapefruit. Es sei kaum bitter, weil wenig Hopfen enthalten ist. Auf der Zunge fühle es sich samtig an. „Das liegt daran, dass in dem Bier auch Hafermalz steckt und die darin viel enthaltenen Proteine machen das Gebräu so weich“, erklärt Maverick und schmatzt ein bisschen.
Hier bestätigt sich das Klischee, dass Biebrauer*innen während der Arbeit Bier trinken – natürlich nicht zum Vergnügen. Die Kostprobe genießt er jedoch hörbar „Ahhh. Lecker.“
Er verlässt die Mikro-Brauerei mit Discokugel und geht durch eine Tür weiter ins anschließende Restaurant. Hier sind die Container-Innenwände ebenfalls schwarz. Trotz der dunklen, massiven Holztische und -bänke wirkt der Raum wesentlich größer als die Brauerei, auch wenn dem nicht so ist. Großflächige Fenster lassen viel Licht in den Raum. Viele weiße, aber nicht grelle Lampen erhellen den Raum zusätzlich. Im letzten Drittel finden Gäste weitere Sitzmöglichkeiten auf einer Empore. Wer in Blickrichtung zur Bar sitzt, kann durch ein breites Fenster dahinter direkt in die Mikro-Brauerei schauen.
Bierbrauen: „Alkoholismus ist hier natürlich auch ein Thema“
„Zum Feierabend setzen wir uns im Team auch gern mal zusammen und genießen – was auch sonst – ein Bier“, sagt er und presst dann aber seine Lippen zusammen: „Alkoholismus ist hier natürlich auch ein Thema.“
Regelmäßig gebe es Aufklärungsschulungen und Videos mit Präventionsmaßnahmen dazu. „Wir nehmen das sehr ernst, denn wenn du einmal zum Alkoholiker geworden bist, kannst du deinen Job an den Nagel hängen. Selbst wenn du trocken bist. Da reicht nur eine Verkostung, um dich wieder zurück in die Alkoholsucht zu führen!“, erklärt er und schüttelt den Kopf als wolle er sich das gar nicht erst ausmalen.
Im noch für Gäste geschlossenen Restaurant wird es zunehmend wuselig. Mavericks Kolleg*innen heben Holzbänke von den Tischen und verteilen Zettel. Ein großer, stämmiger Mann mit dem gleichen Firmen-Kapuzenpulli stellt einen Laptop auf einen der massiven Holztische.
Feierabend haben Maverick und seine Kolleg*innen an diesem Freitagnachmittag aber noch lange nicht. „Maverick, bist du endlich soweit?“, fragt der große, stämmige Mann und hebt von weitem sichtbar die Augenbrauen. Maverick richtet seine Mütze erneuet und verabschiedet sich. Nun beginnt eine Schulung zu Brandschutzmaßnahmen im überdimensional großen, schwarzen Container – dem BRLO BRWHOUSE. (mz)