Giftmüll Styropor als Giftmüll: Entsorgung wird kompliziert

Merseburg/Halle (Saale) - Seit Jahrzehnten gilt Styropor als Allzweckwaffe gegen den Wärmeverlust. An Millionen Hausfassaden kleben die Kunststoffplatten als Dämmschicht. Doch jetzt wird das Material zum akuten Problem für die Bauwirtschaft und private Hausbesitzer.
Grund ist das Flammschutzmittel HBCD. Es soll verhindern, dass sich Hausbrände rasend schnell ausbreiten können und wurde deshalb dem Kunststoff beigemischt. Allerdings gilt HBCD seit 1. Oktober nach einer EU-Verordnung in Deutschland als giftiger Sondermüll. Mit fatalen Folgen: Baubetriebe werden altes Styropor nicht mehr los - oder nur zu hohen Preisen.
Preise für die Entsorgung von Styropor explodieren
Der Vorsitzende der Dachdeckerinnung Sachsen-Anhalt, Andreas Schmidt, nennt die Situation kritisch: „Einige Betriebe müssen die Arbeit auf den Baustellen einstellen, weil die Entsorgung ungeklärt ist.“ Andere Dachdecker würden alte Dämmplatten auf dem eigenen Hof stapeln.
„Uns sind die enormen Schwierigkeiten bewusst, die durch die Neuregelung verursacht werden“, sagt Denise Vopel, Sprecherin im Landesverwaltungsamt in Halle. Und so habe man nach einer Sonderregelung gesucht, „denn irgendwo muss das Material ja hin“.
Der Kompromiss sieht so aus: Ist Styropor in Baumischabfällen nur bis maximal 20 Volumenprozent enthalten, gilt das Verhältnis als unbedenklich und kann in Müllöfen verbrannt werden. Davon gibt es vier in Sachsen-Anhalt: in Magdeburg, Staßfurt, Bitterfeld und Leuna. Immerhin ist das Land einen Schritt weiter als andere Bundesländer, in denen Firmen auf ihren Styropor-Bergen sitzenbleiben.
Doch für Schmidt ist das noch keine praktikable Lösung: „Wo soll eine Dachdeckerfirma den Anteil von 80 Prozent anderer Bauabfälle hernehmen?“ Zudem seien die Kosten mit dem Beginn der Verordnung explodiert. Musste man bis zum 30. September noch etwa 250 Euro pro Tonne für die Entsorgung berappen, „zahlen Kunden jetzt das Fünf- bis Zehnfache für die gleiche Menge“, erklärt Johannes Kremer, Chef eines Recyclingunternehmens in Köthen.
Kremer darf das Styropor mit Hausmüll vermischen, bis die behördlich festgelegte Quote erreicht ist. „Wir machen das mit Bagger und Radlader. Das geht nur nach dem Augenschein“, sagt er.
Komplizierter ist da schon der elektronische Nachweis, der für jede Styropor-Anlieferung geführt werden muss. Allerdings stößt auch Kremer an Grenzen. „Ich habe einen Kunden, der einen Plattenbau abgerissen hat. Die ungeheure Menge an Styropor, die da angefallen ist, kann auch ich nicht verarbeiten.“
Angesichts der Schwierigkeiten suchen sich Firmen offenbar andere Wege der Entsorgung. In einem Wäldchen bei Merseburg wurden jetzt mehrere Lkw-Ladungen gebrauchter Styropor-Platten gefunden, die in ein Landschaftsschutzgebiet gekippt wurden.
Der Verursacher konnte ermittelt werden - es handelte sich um eine Firma, die auf einer Baustelle in Halle arbeitet. Gegen das Unternehmen ermitteln nun das Umweltamt des Saalekreises und die Polizei. Wird aber kein Schuldiger gefunden, bleiben die Kommunen auf den Entsorgungskosten sitzen. Angesichts der hohen Entsorgungskosten kann das teuer werden.
Entsorgung des Giftmülls Styropor: Niemand trägt Verantwortung
Zumal das Styropor-Problem gerade erst beginnt. „Viele Häuser wurden nach der Wende gebaut oder saniert und mit Polysterol zur Wärmedämmung beklebt. An vielen Fassaden wird jetzt wieder gearbeitet“, sagt Volker Huth, Geschäftsführer des Entsorgungsbetriebs MEG in Merseburg. „Niemand hält im Moment das Chaos auf“, sagt der auf Umweltrecht spezialisierte Anwalt der Kanzlei KWAG, Andreas Erren.
Bei der Neuregelung der Styropor-Entsorgung würden sich Bund und Länder gegenseitig die Verantwortung für die unhaltbare Situation zuschieben. HBCD sei quasi über Nacht zu „gefährlichem Abfall“ gemacht worden.
Die Bauunternehmen setzen nun ihre Hoffnungen in ein Treffen der Umweltminister der Länder in der nächsten Woche. Dann soll der Umgang mit dem HBCD behandelten Styropor auf der Tagesordnung stehen. (mz)