Immobilien Sorgen um Evergrande: Angst vor einer neuen Immobilienkrise
Dem chinesischen Immobiliengiganten Evergrande droht der Kollaps. Experten fürchten, dass auch andere chinesische Konzerne in Schieflage geraten könnten. Vergleiche zur Finanzkrise 2008 gehen ihnen aber zu weit.
Peking/Frankfurt - Evergrande ist der zweitgrößte Immobilienentwickler Chinas und hat Schulden von umgerechnet mehr als 300 Milliarden Dollar (256 Mrd Euro) angehäuft. Anleger befürchten einen Zahlungsausfall.
Der angeschlagene Konzern muss Geld auftreiben, um Banken, Zulieferer und Anleihengläubiger fristgerecht zu bezahlen. Der Konzern ist so groß, dass einige Experten eine „Ansteckungsgefahr“ für die chinesische Wirtschaft und darüber hinaus befürchten. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie konnte es dazu kommen?
Konzerne wie Evergrande wuchsen in den vergangenen zehn Jahren rasant, weil die Immobilienpreise in China kräftig gestiegen sind und es einen Bauboom gab. Peking war es jedoch ein Dorn im Auge, dass die Verschuldung der Branche immer neue Dimensionen annahm. Nun setzt die Regierung strenge Regeln durch. Peking hat den Konzernen „drei rote Linien“ aufgezeigt. So darf das Verhältnis von Verbindlichkeiten zu Vermögenswerten nicht mehr als 70 Prozent betragen. Hinzukommt, dass der Nettoverschuldungsgrad nicht bei mehr als 100 Prozent liegen soll. Die dritte „rote Linie“ betrifft das Verhältnis von liquiden Mitteln zu kurzfristigen Verbindlichkeiten der Unternehmen, die über dem Faktor eins liegen muss.
Warum trifft es ausgerechnet Evergrande so schwer?
Der Konzern trat auf dem Markt besonders offensiv auf. Landkäufe wurden mit Krediten finanziert, neue Wohnungen mit geringen Margen verkauft, um den Umsatz in die Höhe zu treiben. Evergrande baute nicht nur Häuser, sondern kaufte 2010 einen Fußballclub, investierte in andere Branchen von Mineralwasser über Babymilch bis hin zu Elektroautos. Sein Messestand auf der internationalen Autoshow im April in Shanghai gehörte zu den größten, obwohl das Unternehmen noch nicht einmal richtig angefangen hat, Autos zu bauen. Im ersten Halbjahr verbuchte die E-Auto-Sparte allein einen Verlust von umgerechnet 630 Millionen Euro.
Wird die chinesische Regierung zur Hilfe eilen?
Gebannt warten Investoren, wie sich Peking positionieren wird. Drohten große Pleiten in der Wirtschaft, eilte die Regierung früher in der Regel zur Hilfe, um Verwerfungen zu verhindern. Im Falle von Evergrande ist die Lage jedoch anders. Schließlich will die chinesische Führung mit den neuen Regeln für Ordnung sorgen. An Evergrande könnte also ein Exempel statuiert werden. Die Ratingagentur Standard & Poor's warnte in einer Mitteilung am Montag davor, dass nicht von einer Rettung des Konzerns durch die Regierung ausgegangen werden könne. Peking wäre demnach nur dann zum Eingreifen gezwungen, „wenn es zu einer weitreichenden Ansteckung käme, die den Zusammenbruch mehrerer großer Bauunternehmen zur Folge hätte und systemische Risiken für die Wirtschaft darstellen würde“, so die Agentur.
Wie reagieren die Börsen?
Sorgen vor einer Ausweitung der Krise belasten die Stimmung an den Aktienmärkten rund um den Globus. Zu Wochenbeginn ging es teilweise deutlich abwärts. Der deutsche Leitindex Dax fiel zwischenzeitlich auf das tiefste Niveau seit Mai. „Die Angst vor einer nächsten Immobilienkrise ist zurzeit groß“, beschreibt Marktexperte Christian Henke vom Handelshaus IG die Lage. Die chinesische Regierung scheine nicht bereit zu sein, Evergrande zu helfen. „Die Sorge ist nun, dass weitere Konzerne aus diesem Sektor in die Tiefe gerissen werden und sich daraus möglicherweise eine neue Immobilienkrise entwickelt. Erinnerungen an die Pleite der US-Bank Lehman Brothers im Jahr 2008 werden wach.“
Welche Folgen hatte die Lehman-Pleite?
Damals war in den USA die auf Pump finanzierte Immobilienblase geplatzt. Von Finanzjongleuren zu undurchschaubaren Wertpapieren gebündelte Schrottkredite entpuppten sich als weitgehend wertlos. Wegen der weltweiten Vernetzung der Finanzmärkte wuchs sich das zunächst auf die USA begrenzte Problem spätestens mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 zu einer weltweiten Bankenkrise aus. Geldhäuser mussten Milliardenverluste verkraften, das Vertrauen in Geschäftspartner erodierte, etliche Institute wurden mit Steuermilliarden vor dem Kollaps gerettet. Die Verwerfungen im Finanzsystem stürzten nahezu alle Volkswirtschaften 2009 in eine Rezession.
Ist die Lage von Evergrande mit Lehman vergleichbar?
Sollte ein Koloss wie Evergrande in die Pleite rutschen, müssten Gläubiger mit Ausfällen rechnen. „Die Schwierigkeit ist ja immer das systemische Risiko“, sagte China-Experte Horst Löchel von der Frankfurt School of Finance and Management der Deutschen Welle. „Dadurch können Banken in Schwierigkeiten kommen, und so entsteht dann im schlechtesten Fall ein negatives Schneeballsystem. Wenn das passieren würde, wären die Verwerfungen natürlich enorm.“
Den Vergleich von Lehman und Evergrande allerdings hält Mirko Wormuth vom deutsch-chinesischen Fonds Awesome Capital für „überhaupt nicht angebracht“. So habe Evergrande 90 Prozent seines Geschäfts in China und sei damit „ein national begrenztes Kreditrisiko“, sagte Wormuth dem Wirtschaftsmagazin „Capital“. Für die meisten mittelgroßen bis großen Banken machten die Darlehen insgesamt keinen großen Bestandteil aus. Die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS verweist darauf, dass „das direkte Engagement ausländischer Anleiheinhaber bei Evergrande relativ bescheiden zu sein scheint“.
Was erwarten Experten für den chinesischen Bankensektor?
Experten der Landesbank Helaba schließen einen „Lehman-Effekt“ in China nicht aus. Nach Einschätzung der DWS sollte allerdings selbst unter den chinesischen Banken „das Engagement ziemlich breit gestreut sein, und die hohe Verschuldung dürfte bereits zu hohen Abschreibungen geführt haben, was weitere Schieflagen vielleicht begrenzen könnte“. Allerdings seien chinesische Banken und Finanzinstitute auch stark bei den Zulieferern von Evergrande engagiert, so dass Dominoeffekte nicht ausgeschlossen werden könnten, schreibt die DWS.
Standard & Poor's glaubt, dass der chinesische Bankensektor einen möglichen Zusammenbruch des Immobiliengiganten ohne größere Turbulenzen verdauen könnte. Nach S&P-Berechnungen hatten chinesische Banken Ende Juni etwa 400 Milliarden Yuan (52,6 Mrd Euro) bei dem Unternehmen im Feuer. „Ein Zusammenbruch Evergrandes als solcher würde das Bankensystem nicht destabilisieren“, heißt es in der Einschätzung der Agentur. Sollten allerdings in der Folge weitere hoch verschuldete große Immobilienentwickler in Turbulenzen geraten, könnte sich daraus eine „herausfordernde Situation entwickeln“.