Solar Valley in Thalheim Solar Valley in Thalheim: Es geht wieder bergauf

Thalheim/MZ - Andreas Konieczny sitzt in der letzten verbliebenen Sitzecke der früheren Q-Cells-Kantine. Durch eine Glasfront fällt helles Licht auf den Laminat-Fußboden. „Hier soll demnächst der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie mit einer Werkstatt einziehen“, sagt der Hauswart. Die Küche habe die Stadt Bitterfeld-Wolfen übernommen und bereits abtransportiert. Konieczny zückt den Schlüssel und führt durch den Q-Park. Die Produktionshalle der Linie 1 übernahm die hallesche Firma Feha Lasertec, in Halle 2 hat sich das Folienwerk Wolfen eingemietet und in Halle 4 stapelt ein Logistik-Unternehmen Konservendosen. „Die Fertigungshallen sind schon wieder belegt, nur viele Büroräume stehen noch immer leer“, sagt er. „Doch daran wird gearbeitet.“ Dennoch: Einst arbeiteten 1 000 Mitarbeiter in der ehemaligen Q-Cells-Zentrale in der Guardienstraße - heute sind es bei mehreren Firmen insgesamt gut 50.
Aufstieg miterlebt
Der ehemalige Q-Cells-Schichtleiter hat den Aufstieg und Fall des Solar Valley hautnah miterlebt. Als 47. Mitarbeiter wurde er bei Q-Cells eingestellt. Noch heute bewahrt der 58-Jährige in seinem Portemonnaie den längst verfallenen Q-Cells-Ausweis auf. Zur Jahrtausendwende kamen die Berliner Unternehmer Reiner Lemoine und Anton Milner nach Thalheim, um eine kleine Solarzellenfabrik zu bauen. Konieczny, der in der DDR 26 Jahre als Ausbilder bei der Reichsbahn tätig war, hörte davon und fragte bei Milner direkt nach, ob er nicht auch einen Job für ihn habe. Milner hatte. Mit einer kleinen Mannschaft von etwa 50 Leuten wurden 2001 die ersten Solarzellen produziert. „Nach der Schicht blieben viele Mitarbeiter noch auf ein Bier und diskutierten mit den Managern über Erfolge und Misserfolge“, erzählt Konieczny. Neun Jahre und acht Monate habe er bei Q-Cells gearbeitet. „Es waren sehr gute Jahre.“
Vom kleinen Start-up wuchs Q-Cells in kurzer Zeit zum weltgrößten Solarzellen-Hersteller heran. Zeitweise arbeiten an dem Standort bei dem Unternehmen und seinen Töchtern mehr als 3 000 Mitarbeiter. Milners Vision waren 10 000 Beschäftigte. So schnell es bergauf ging, so schnell ging es aber auch bergab. Traumrenditen von 25 Prozent und mehr lockten asiatische Unternehmen in die Solarbranche, die europäische Anbieter binnen kürzester Zeit durch Billigprodukte verdrängten. Kurz vor Ostern 2012 musste Q-Cells Insolvenz anmelden. Nur drei - Q-Cells, Calyxo und Solibro - von ehemals sechs Photovoltaik-Unternehmen sind am Standort noch tätig. Diese beschäftigen zusammen noch etwa 1 300 Mitarbeiter. Das Solar Valley muss sich nun neu erfinden. Doch wohin geht die Reise?
Wie es mit Solar Valley weitergehen soll, erfahren Sie auf Seite 2.
Der frühere Q-Cells-Forschungsvorstand Florian Holzapfel leitet seit einigen Jahren die Geschicke der Solarfirma Calyxo. Vier Jahre forschte das Unternehmen mit 150 Mitarbeitern an einem neuen Verfahren, um Dünnschicht-Module kostengünstig herzustellen. 2013 gab Holzapfel den Durchbruch bekannt. „Wir haben die Produktionskosten soweit gesenkt, dass wir mit jeden anderen Anbieter auf der Welt konkurrieren können.“ Im Dezember 2013 nahm eine zweite Produktionslinie offiziell den Betrieb auf. Eine Expansion am Standort ist dennoch nicht geplant. „Potenzielle Geldgeber halten sich zurück. Zu viele haben sich an der Solarbranche die Finger verbrannt“, so Holzapfel. Calyxo will nun die Technologie in anderen Teilen der Welt vermarkten.
Seit Übernahme geht es bergauf
Der Solarriese Q-Cells wurde nach der Pleite vom koreanischen Konzern Hanwha aufgefangen. Die Koreaner übernahmen 750 Mitarbeiter und die neu gebauten Produktions- und Forschungseinrichtungen. Seither geht es mit Hanwha Q-Cells bergauf. Seit Anfang 2014 ist Q-Cells wieder das größte Solar-Unternehmen Europas. In Thalheim sitzt der Vertrieb, dort werden neue Produkte entwickelt und getestet. Produziert wird der überwiegende Teil der Solarzellen und Module aber in Malaysia, China und Polen. Dass sich daran in den nächsten Jahren etwas ändert, ist nicht zu erwarten. Solarzellen sind nach Worten des Branchenexperten Henning Wicht vom Beratungsunternehmen IHS zu einem Massenprodukt geworden. Die vergleichsweise hohen Personal- und Energiekosten machen eine Fertigung in Deutschland zwar nicht unmöglich - aber schwierig.
Die weltweite Nachfrage nach Solarzellen steigt wieder. Die US-Marktforschungsfirma Solarbuzz rechnet damit, dass in diesem Jahr erstmals Anlagen mit einer Gesamtleistung von 50 Gigawatt (50 000 Megawatt) installiert werden. Rein rechnerisch entspricht dies der Leistung von 50 Atomkraftwerken. Da die Sonne aber nicht immer scheint, liegt die tatsächliche Leistung bei sechs Gigawatt. Der Boom wird durch neue Förderprogramme in den USA, China und Japan ausgelöst. Zudem rechnet sich der Einsatz von Solar-Anlagen immer öfter auch ohne staatliche Förderung.
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr deutlich weniger neue Anlagen aufgebaut. Die installierte Leistung lag bei 3 300 Megawatt. Grund: die Kürzung der Solarförderung. 2014 dürften noch weniger Anlagen ans Netz gehen.
Investoren aus anderen Branchen müssen also im Solar Valley einspringen. Bereits 2011 gab Q-Cells wegen der Solarkrise zunächst die alte Zentrale auf, die Keimzelle des Solar Valley. Noch in der Expansionsphase war ein Neubau errichtet worden. Die Immobilienfirma Aengevelt wurde später mit der Vermarktung des Areals beauftragt. „Wir waren positiv überrascht, dass wir die Produktionshallen schnell wieder vermieten konnten“, sagt Christian Halpick, Leiter des Aengevelt-Kompetenzzentrums Logistik. Q-Cells habe hochwertig gebaut, alle wichtigen Anschlüsse für Wasser, Strom und Internet stünden zur Verfügung. Davon seien potenzielle Investoren angetan. Derzeit verhandelt Halpick mit einem Hersteller von Autochemie, der die neun Millionen teure Q-Cells-Abwasseranlage am alten Standort übernehmen will, die nie in Betrieb ging.
Warum sich die Vermarktung als schwierig gestaltet, erfahren Sie auf Seite 3.
Die Vermarktung des ungleich größeren Produktionsstandortes der insolventen Solarfirma Sovello gestaltet sich da schwieriger. Der hallesche Insolvenzverwalter Lucas Flöther hatte zunächst versucht, einen Investor aus der Solarbranche für das Unternehmen zu finden. Als sich dies als aussichtslos erwies, wurden Inneneinrichtung und Maschinen versteigert. Nun werden das Bürogebäude und die Hallen mit 69 000 Quadratmeter Fläche über Aengevelt angeboten. „Wir stellen einen Interessentenpool zusammen“, sagt Halpick. Der Komplex sei schwer als Ganzes zu vermarkten. Zumal der Sovello-Hauptgläubiger, die Investitionsbank Sachsen-Anhalt, die Immobilie nicht unbedingt verschenken will. Bei der Investorensuche helfen die Wirtschaftsförderer des Landes und der Stadt Sandersdorf-Brehna. „Der Standort liegt mit dem unmittelbaren Anschluss an die A 9 und der Nähe zum Wirtschaftsraum Halle/Leipzig logistisch sehr günstig“, sagt Carlhans Uhle, Chef der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt (IMG). „Wir sprechen derzeit mit mehreren Investoren. Da wird sich was tun“, sagt er.
Und es hat sich auch schon einiges getan. Die Firma Mecotec gehört zu den ersten Neuansiedlungen nach der Solarkrise. Die Firma zog in die ehemaligen Gebäude von Sontor ein. Sie verdient ihr Geld aber nicht mit Sonnenmodulen, sondern mit Kältekammern.
Das baden-württembergische Familienunternehmen HKR Seuffer Automotive hat nebenan einen Produktionsstandort errichtet. Die Firma hatte die Immobilie aus der Insolvenzmasse der CSG Solar AG gekauft und umgebaut. Inzwischen werden dort elektronische Bauteile hergestellt, die in Autos Kühlerlüfter, Ölpumpen oder Klimaanlagen regeln. „Für den Standort haben auch die qualifizierten Fachkräfte gesprochen“, sagte Unternehmenschef Willi Enderle zuletzt. 120 Mitarbeiter wurden eingestellt, die Hälfte davon war laut Arbeitsagentur einst in Solar-Betrieben tätig.
Platz für weitere Firmen
Platz für weitere Ansiedlungen ist vorhanden. „Wir haben 70 Hektar Fläche, die sofort bebaut werden könnte“, sagt Ralf Salomon, Wirtschaftsförderer der Stadt Sandersdorf-Brehna. Weitere 100 Hektar könnten erschlossen werden. Die Entwicklung zeige aber auch, so Salomon, dass High-Tech-Firmen nicht Schlange stehen. Es sei viel Kleinarbeit nötig, um überhaupt Investoren zu gewinnen. Schwierig gestalte sich auch die Suche nach Fachkräften. „85 Prozent der Beschäftigten, die von den Solarfirmen entlassen wurden, haben bereits einen neuen Job“, sagt Salomon unter Hinweis auf die Arbeitsagentur. Viele hätten sich bei BMW und Porsche in Leipzig beworben.
Der ehemalige Q-Cells-Mann Konieczny sieht die Sache nüchtern: „Eine Job-Maschine wie Q-Cells wird es so schnell nicht mehr geben.“ Vieles sei damals überhitzt gewesen, Geld quasi aus dem Fenster geworfen worden. „Und dennoch“, sagt Konieczny. „Die Aufbruchstimmung von damals fehlt heute der Region.“