Sofatutor-Gründer aus Jessen Sofatutor-Gründer Stephan Bayer: Unternehmer aus Jessen leitet Start-Up.

Jessen - Herr Wabnik gibt sich redlich Mühe. Gerade hat er mich zu einer Mathematik-Lektion begrüßt. Der Hauptsatz der Differentialrechnung steht auf dem Stundenplan. Abiturstoff also, und bei Zwölftklässlern so beliebt wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt.
Doch kein Gymnasiast kann diesem Mathe-Kernthema ausweichen. Im Lehrplan ist es vorgeschrieben. Der Unterricht dazu ist für Schüler jedoch oft so erhellend wie ein Kurzschluss im Lampenladen.
Damit aber dem ein oder anderen beim Differentialrechnen doch noch ein Lichtlein aufgeht, gibt es Martin Wabnik. Er ist Nachhilfelehrer. Mit seinen von der Schwere des Schulstoffs erschlagenen Schützlingen trifft er sich jedoch nicht Woche für Woche in einem Lernzentrum der Republik. Wabnik ist für seine Matheversteher in spe rund um die Uhr verfügbar. Seine Erklärfilme sind immerzu abrufbar bei Sofatutor.com.
Sofatutor: So funktioniert die Nachhilfe im Internet
Die Seite ist die größte deutschsprachigen Lernplattformen für Schüler, aber auch Studierende oder Auszubildende. Tausende Erklärvideos, Übungen sowie Arbeitsblätter für alle Klassenstufen und 13 Schulfächer von Deutsch bis Chemie sind auf dem Internetportal abrufbar.
Sofatutor, das sich über ein Abomodell finanziert, revolutioniert so die deutsche Lernlandschaft. Und das Schlaraffenland für Wissenshungrige ist noch dazu eine Erfindung aus Sachsen-Anhalt.
Der Gründer von Sofatutor heißt Stephan Bayer. Er kommt aus Rehain bei Jessen (Kreis Wittenberg). „Das ist ein winziges Dorf, in dem es wahrscheinlich mehr Katzen als Einwohner gibt“, sagt Bayer.
Dort habe er eine erfüllte Kindheit verlebt, die vor allem draußen stattfand. „Spielekonsolen und Handys waren damals noch nicht allgegenwärtig“, sagt der 35-Jährige. Mit seinen Freunden eroberte er alte Bunkeranlagen und bastelte an Fahrrädern herum. „Dabei lernte ich, dass Selbermachen der charmanteste Weg ist, etwas zu machen.“ Eine Erkenntnis, die ihn begleiteten sollte.
Selbermachen ist bei meinem Selbstversuch hingegen noch nicht angesagt. Denn die Differentialrechnung muss erst verstanden werden. Und davon bin ich so weit entfernt wie ein Erstklässler vom Literaturnobelpreis.
Dabei geht Martin Wabnik sehr schonend vor. Mit seinem schwarzen Kapuzenpulli steht er vor einer Hafenkulisse. Der maritime Schauplatz soll wohl gegen die angstschweißtreibende Wirkung des Mathe-Stoffs helfen.
Auch didaktisch gibt Wabnik alles. Er spricht in kurzen Sätzen, operiert mit bunten Grafiken und erklärt detailliert jeden Schritt. Doch schon die Fachbegriffe überfordern mich: Stammfunktion, Ableitung und Flächenmaßzahl. Wabnik könnte auch mongolische Lyrik des späten Hochmittelalters rezitieren - mein Verständnis wäre ungefähr genauso groß.
Gründer von Sofatutor: So kam Stephan Bayer zu seinem ersten Lernvideo
Die Differentialrechnung spielte auch für Stephan Bayer auf dem Weg zu Sofatutor eine wichtige Rolle. 2007 ist er Student in Berlin. Zuvor hatte er die Welt umrundet, war mit Jugendlichen in einem Nachtzug durch Litauen gefahren und mit einem Musical durch Osteuropa getourt.
Dann studiert er Politik, Soziologie und Betriebswirtschaftslehre - eine Mathe-Klausur steht bevor. Thema: das totale Differential. „Am Tag vor der Prüfung kam jedoch meine neue Kamera mit der Post“, erzählt Bayer.
Die ist natürlich spannender als die hohe Mathematik. Stunden vergehen, das totale Differential bleibt unerforscht. „Irgendwann dachte ich mir: Bevor ich jetzt den ganzen Tag mit der Kamera verspiele, verbinde ich doch einfach beides.“
Das totale Differential wird zum Helden seines ersten Erklärfilms. Bayer stellt ihn online und verschickt den Link an Mitstudenten. „Am nächsten Tag klopften die mir auf die Schulter und sagten: Dein Video hat mir echt geholfen.“
Die Idee für Sofatutor ist geboren. Und sie passt in die Zeit. Das Internet wird 2007 langsam allgegenwärtig. Die Videoplattform Youtube ist gerade zwei Jahre alt.
„Und alle im Studium waren süchtig danach“, sagt Bayer. „Wir haben uns damals vorgenommen, ein Youtube für Lernvideos zu schaffen.“ Mit einem Bekannten gründet er Sofatutor im Februar 2008.
Auch andere begeistert die Idee. Sie bekommen ein Gründungsstipendium und private Geldgeber investieren in ihre Firma. „Das war schon eine verrückte Erfahrung, dass Leute uns ihr Erspartes gaben.“
Mit dem Geld der anderen wächst auch der Druck. Bayer sagt rückblickend, dass sie auch etwas naiv gewesen seien und Fehler machten. „Wir haben allen schon von Sofatutor erzählt, bevor die Seite fertig war.“ Auch hätten sie geglaubt, ihre Plattform selber programmieren zu können. „Das war natürlich ein Trugschluss.“ Das Geld zerrinnt, die Frage, ob man weitermachen soll, steht nach drei Jahren im Raum.
Lernen mit Sofatutor? So soll man schweren Schulstoff mit Videos besser verstehen
Zurück zum Selbstversuch: Bei mir geht das Scheitern deutlich schneller. Fünf Minuten habe ich probiert, Martin Wabnik zu folgen. Nun ist er mir meilenweit entflohen.
Ich muss an eine Mathelehrerin von einst denken. Die rief immer verzweifelt in die fragenden Gesichter meiner Klasse: „Kommen Sie, Sie können das.“ Damals wie heute lautet meine Antwort: „Nein, ich kann das nicht.“
Doch Herr Wabnik hat daran sicher keine Schuld. Mein Matheabitur ist einfach zu fern und Differentialrechnung ist eben kein Allerweltsthema. Wer aber im Stoff drin ist, dem wird Herr Wabnik sicher auf die Sprünge helfen können. Zumal man bei Sofatutor das Erklärte auch in interaktiven Übungen festigen kann.
Diese Übungen waren es auch, die das Portal vor dem Aus bewahrten. „Wir hatten gemerkt, dass unsere Nutzer das erklärte Wissen auch anwenden wollen“, sagt Stephan Bayer.
Anstatt aufzugeben, steckten sie alle Anstrengungen in die Programmierung der Wissenstests. Und die brachten den erhofften Aufschwung, der durch die nächste Neuerung, den Hausaufgaben-Chat, noch fortgesetzt wurde. „Wenn jemand zum Beispiel bei einer Latein-Übersetzung an einem Satz scheitert, kann er den in den Chat schreiben“, erklärt Bayer. In wenigen Minuten bekommt er eine Antwort.
„Wir sagen jedoch nicht die Lösung vor, sondern probieren, mit dem Schüler den Weg dorthin zu finden.“ Für diesen Service arbeitet Sofatutor mit 50 Lehrern zusammen. „Das sind beispielsweise Pädagogen, die nur eine halbe Stelle an einer Schule haben“, erklärt Bayer. Dass die Schüler auf richtige Lehrer treffen, sei ihm wichtig: „Denn wenn wir etwas erklären, wollen wir es auch richtig erklären.“
Videos auf Sofatutor: Mit Cartoons soll Schulstoff vermittelt werden
Dieses Konzept scheint aufzugehen. Zehn Jahre nach der Gründung hat Sofatutor rund 240.000 Kunden im deutschsprachigen Raum. Und auch Investoren zieht das Lernportal weiter an. Im Februar sammelte die Plattform drei Millionen Euro von Geldgebern ein. „Wir könnten jederzeit profitabel sein“, sagt Bayer, „aber wir haben so viele Ideen und wollen die schnell entwickeln.“ Dazu sei der Finanzschub notwendig gewesen.
Für mich gibt es zum Schluss noch einen Matheschub. Ich gehe ein paar Klassenstufen nach unten und lande beim Thema Potenzen. Das zugehörige Video ist ein Cartoon.
Stephan Bayer hat mir von dieser neuesten Form des Erklärvideos bei Sofatutor bereits erzählt. Über eine animierte Geschichte wird ein Problem dargestellt und in der Erzählung dann gelöst. In meinem Fall will ein Maharadscha für seine vielen Goldtaler eine Schatzkammer bauen.
Der Baumeister macht ihm ein verlockendes Angebot. Er errichtet die Kammer in 30 Tagen. Dafür will er am ersten Tag nur zwei Taler. Ein Spottpreis! Allerdings soll sich sein Lohn jeden Tag verdoppeln. Der Maharadscha willigt ein und erkennt zu spät das Problem. Denn am 30. Tag muss er dem Baumeister über eine Milliarde Goldtaler zahlen. Dessen Lohn hatte sich nämlich potenziert. Der Maharadscha hat nun zwar eine Schatzkammer, aber eben keinen Schatz mehr. Diese mathematische Logik verstehe selbst ich. (mz)