Smart Home Smart Home: "Ausblick" ist das intelligenteste Haus der Welt

Frankfurt - „Ich brauche frische Luft!“ Das ist eigentlich die Formulierung eines eindeutigen Bedürfnisses. Doch Sébastien Chaumiole muss sie dreimal wiederholen, bis das System reagiert. Die Jalousie fährt hoch, die große Schiebetür öffnet sich automatisch. Frische Luft – nach einem heftigen Regenguß - macht sich in dem Raum breit. Noch hakelt es ein wenig mit der Sprachsteuerung der Haustechnik. Aber so soll sich das Wohnen der Zukunft anfühlen. Zumindest aus Sicht der Fertighausfirma Huf, die in ihrem Musterhauspark am Rande des Dorfs Hartenfels im Westerwald das Modell „Ausblick“ gerade aufgebaut hat.
Das Äußere besteht aus Glas und Holz. Im Innern sind überall Sensoren und alle mögliche andere Elektronik verbaut. Dafür waren Sébastien Chaumiole und seine Kollegen von IBM zuständig. Der IT-Riese und der Fertighausbauer bezeichnen „Ausblick“ als das „intelligenteste Haus der Welt“. Künstliche Intelligenz (KI) analysiert die Verhaltensweisen der Bewohner und soll damit die gesamte Haustechnik den Gewohnheiten entsprechend optimieren.
Selbstlernende Häuser werden Megatrend in der Baubranche
Das Gebäude in Hartenfels ist eine avancierte Ausprägung dessen, was unter dem Begriff „Smart Home“ subsummiert wird. Georg Huf, Chef von Huf-Haus, gibt sich sehr selbstbewusst: „Mit unserem selbstlernenden Musterhaus setzen wir einen neuen Megatrend in der gesamten Baubranche.“
Seit mindestens anderthalb Jahrzehnten werben IT- und Telekomunternehmen für die Smart Homes, weil sie ein Riesengeschäft wittern. Auf der Computermesse Cebit wird die Technik für die schlauen Heime in der nächsten Woche wieder eine Hauptrolle spielen.
Der Hightechverband Bitkom spricht gar von der „Wohnform des 21. Jahrhunderts“. Doch die will nicht in die Gänge kommen, obwohl partielles Interesse besteht. So hat eine Bitkom-Umfrage ergeben, dass Verbraucher Anwendungen zur Erkennung unverschlossener Wohnungstüren, angelassener Herde und nicht zugedrehter Wasserhähne gut finden. Laut US-Marktforschungsunternehmens Gartner wächst zwar weltweit die Aufmerksamkeit fürs vernetzte Zuhause, doch Anbieter müssten nun Interesse wecken, das über den Kreis der „Early Adopter“ hinausgehe.
Digitale Assistenten achten auf Wohnkomfort und Energieeffizienz
Doch Manager von IT- und Telekom-Firmen räumen hinter vorgehaltener Hand ein, dass Smart-Home-Anwendungen bislang oft zu teuer, zu kompliziert und von fragwürdigem Nutzen waren.
Inzwischen ruhen viele Hoffnungen auf einer einfachen Sprachsteuerung mittels lernfähiger digitaler Assistenten wie Alexa von Amazon oder Siri (Apple). Oder – wie in „Ausblick“- mit dem KI-System Watson von IBM. Das soll nicht nur mehr Wohnkomfort, sondern vor allem auch in puncto Energieeffizienz einiges bringen. Wetterinformationen und Außertemperatur würden in der IBM-Datencloud gesammelt, damit Watson Verbrauchswerte für Heizung und Strom einschätzen und selbstständig optimieren könne, so der IT-Konzern.
Da lässt sich einiges machen. Vor allem beim Heizen – 70 Prozent des gesamten Energiebudgets eines Durchschnittshaushalts gehen dafür drauf. Nach einer aktuellen Studie des Borderstep-Instituts im Auftrag des Bundes für Umwelt und Naturschutz kann der Energieverbrauch einer Heizung durch intelligente Systeme um bis zu 30 Prozent gedrückt werden. Ein Programm - künftig soll nach IBM-Lesart dies ein lernender Algorithmus sein - sorgt dafür, dass nur dann geheizt wird, wenn jemand im Haus ist. So ließen sich in einer durchschnittlichen Wohnung pro Jahr etwa 2000 Kilowattstunden an thermischer Energie sparen, schreiben die Borderstep-Autoren.
Mehr noch: Wie eine Art Schaltzentrale fürs ganze Haus können intelligente Stromzähler fungieren, die auch den Verbrauch von Kühl- und Gefrierschränken steuern, und zwar energieeffizient und netzdienlich, wie Fachleute sagen: Steht Energie im Überfluss zur Verfügung – etwa wenn sich nachts Windräder heftig drehen - könnte Gefrorenes auch schon mal bis auf minus 25 Grad heruntergekühlt werden. Ist elektrische Energie ein knappes Gut, steigt das Tiefkühlgerät für mehrere Stunden beim Strombezug aus.
„Wir brauchen intelligente Messgeräte, ansonsten werden unsere Stromnetze kollabieren.“
Über Smart Meter wird ebenfalls seit mindestens anderthalb Jahrzehnten diskutiert. Die EU hat vorgegeben, dass bis 2020 mehr als 195 Millionen Geräte bei 72 Prozent der EU-Bevölkerung installiert sein sollen. Doch die Umsetzung läuft erheblich langsamer – auch in Deutschland. Die Engstelle ist das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Sie dringt auf hohe Standards bei der Datensicherheit (ein weiteres zentrales Thema auf der Cebit). Der Einbau der neuen Zähler darf erst im großen Maßstab beginnen, wenn drei Geräte vom BSI zertifiziert sind. Wann dies der Fall sein werde, könne man nicht sagen, so ein BSI-Sprecher.
Für Helmut Edelmann vom Prüfungs- und Beratungsunternehmen EY, gibt es indes kein Zweifel am segensreichen Wirken der Smart Meter: „Wir brauchen intelligente Messgeräte, ansonsten werden unsere Stromnetze kollabieren.“ Denn es kommen neue Belastungen.
Neue Herausforderungen für Stromnetze
Erstens: die Batterien von Elektroautos, die künftige „Ausblick“-Bewohner nach Feierabend zu Hause aufladen. „So könnte eine neue Lastspitze entstehen“, sagt der EY-Experte. Um sie zu vermeiden, müssten intelligente Zähler dafür sorgen, dass der Ladevorgang kontrolliert abläuft. Dafür brauche es Anreizsysteme. Etwa über flexible Tarife: Wer unbedingt zwischen 18 und 19 Uhr laden will, muss dafür einen höheren Preis pro Kilowattstunde zahlen.
Zweitens: „Neubauten werden künftig vornehmlich mit Wärmepumpen und in Kombination mit Wärmespeichern ausgestattet werden“, sagt Veit Bürger vom Öko-Institut. Das ist auch für das „Ausblick“-Haus vorgesehen. Wärmepumpen werden mit elektrischer Energie angetrieben. Je kälter es draußen wird, umso mehr werden zumindest die heute bevorzugten Luftwärmepumpen zu einer reinen Stromheizung. Netzdienlich sei deshalb, wenn Smart Meter dafür sorgen, dass die Wärme dann erzeugt wird, wenn viel erneuerbarer Strom im Netz ist. Für Edelmann ist es damit nicht getan. Denn künftige Stromversorgungssystem werde noch erheblich komplexer. Etwa durch Batterien in Gebäuden, die Solaranlagen auf dem Dach haben. Hinzu kommt eine forcierte Dezentralisierung, zum Beispiel mit Mikronetzen für Stadtquartiere, wo auch Blockheizkraftwerke zum Einsatz kommen können. Und dann auch noch Blockchain-Anwendungen, die es ermöglichen, dass Nachbarn untereinander über das Internet mit einem sicheren Verfahren Strom kaufen und verkaufen. Das könnte auch für Ausblick-Bewohner eine interessante Sache werden. „Aber dafür brauchen wir dann in jedem Fall Smart Meter, um die erzeugte und verbrauchte Energie zeitlich exakt messen und abrechnen zu können“, sagt Edelmann.