Sinkende Milchpreis Sinkende Milchpreis: 60 Milchbetrieben in Sachsen-Anhalt droht Schließung

Halle (Saale) - Der Blick auf die Molkerei-Abrechnung für Milch ist für Peter Schuchmann zum Graus geworden. Von Monat zu Monat sieht der Landwirt die Erzeugerpreise sinken. „Zuletzt sind wir bei 24 Cent angelangt“, sagt Schuchmann. So viel bekommt sein Betrieb mit 220 Kühen in Schwarzholz (Altmark) für einen Liter Milch von der Molkerei. „Um langfristig mit Gewinn zu arbeiten, benötigen wir aber 45 Cent“.
Schuchmann berichtet, dass das 100 Gramm-Stück Gouda bei einigen Discountern für 38 Cent angeboten wird. Zur Herstellung des Käses sei etwa ein Liter Milch nötig. „Bei diesem Stück Käse sind die Erzeugerkosten des Landwirts, die Kosten der Molkerei, der Transport und der Gewinn es Handels eingerechnet“, sagt er. Milch werde regelrecht verramscht.
Schuchmann, der auch Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter ist, warnte schon vor einem Jahr, als die Preise noch deutlich höher lagen, vor einem ruinösen Wettbewerb und einem Höfesterben. „Viele wollten dies aber nicht wahrhaben“, sagt er.
Düstere Prognose
Der Bauernverband Sachsen-Anhalt stellte am Montag eine düstere Prognose auf. Bis zu zehn Prozent der Milchviehbetriebe in Sachsen-Anhalt könnten in diesem Jahr aufgeben, befürchtet der Verband. „Das wären dreimal mehr als sonst“, sagte der kommissarische Hauptgeschäftsführer Christian Apprecht der Nachrichtenagentur dpa. Von den derzeit 619 Betrieben müssten demzufolge etwa 60 schließen. Im Schnitt erhielten die Landwirte im Monat November 26,5 Cent pro Liter. Apprecht rechnet vor, dass in der derzeitigen Situation ein Landwirt pro Kuh im Jahr etwa 1 000 Euro Verlust macht. Bei 500 Kühen seien dies 500 000 Euro. Einige könnten dies durch Biogas- oder Solaranlagen ausgleichen. „Viele Milchviehhalter könnten jedoch nicht mehr schlafen“, so Apprecht.
Was sind die Gründe für den Preisverfall? „Es gibt Probleme bei der Nachfrage“, sagt Björn Börgermann, Sprecher des Milchindustrieverbandes. Es habe angefangen, als der Export nach Russland durch die Sanktionen ins Stocken geraten sei. Dann habe der chinesische Markt weniger abgenommen als erwartet. Gleichzeitig hätten große Produzenten wie Neuseeland, Australien und die USA zusätzliche Milch-Mengen produziert und Abnehmer auf dem internationalen Markt gebraucht. In der Folge seien die Preise ins Rutschen geraten. „Viele Landwirte reagieren darauf, indem sie noch mehr produzieren“, so Börgermann. Das sei aus Sicht des einzelnen Landwirts verständlich, verschärfe die Situation allerdings. Er gehe nicht davon aus, dass sich die Preis-Situation in den nächsten Monaten spürbar ändert.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass die EU am 1. April 2015 die Milchquote abgeschafft hat, die für jeden einzelnen Betrieb Obergrenzen bei der Produktion setzte. Vor allem die Viehhalter in Irland, und den Niederlanden produzieren nun deutlich mehr Milch. Auch dies bekommen die deutschen Bauern zu spüren. Der Deutsche Bauernverband war damals für die Abschaffung des Quotensystems. Nun sieht der Verband die Politik und den Einzelhandel in der Pflicht. Der Einzelhandel ist laut Apprecht „übermäßig mächtig“. Um die Berg- und Talfahrt bei den Preisen zu unterbinden, könnte ein Festpreis eingeführt werden. „Molkereien und Bauern könnten bei den Vertragsverhandlungen dem Vorbild Großbritannien folgen“, sagt der Verbandsgeschäftsführer.
BDM-Landeschef Schuchmann warnt davor, dass in der Milcherzeugung ein ähnlicher Strukturwandel wie in der Schweinemast einsetzt. Dort seien bundesweit in den vergangenen Jahren 60 Prozent der Betriebe verschwunden. Die Folgen waren eine Konzentration der Tiere auf immer größere Betriebe, eine flächenunabhängige Tierhaltung und massive Probleme bei der Entsorgung von Gülle. Diese Tendenz gibt es mittlerweile auch in der Milchwirtschaft.
Nach Angaben von Schuchmann haben 2015 in Sachsen-Anhalt etwa 30 Betriebe die Milchviehhaltung eingestellt. Die Zahl der Kühe sei mit 126 000 aber relativ konstant geblieben. Der BDM fordert von der Politik daher eine Einführung einer Mengensteuerung - wie es sie mit der abgeschafften Milchquote bereits gab. Laut Schuchmann muss die Produktion der Milch in jedem europäischen Betrieb begrenzt werden, sobald die Preise unter ein bestimmtes Niveau fallen. Nur so lasse sich die Abwärtsspirale aufhalten.
Sachsen-Anhalts Agrarminister Hermann Onko Aeikens (CDU) versucht, den Milchbauern mit einem Programm zu Liquiditätssicherung zu helfen. Es wurde im Herbst vergangenen Jahres aufgelegt und sei bisher von rund 100 Betrieben in Anspruch genommen worden, sagte der Minister.
Für seinen Betrieb hat Schuchmann einen anderen Weg gefunden. Nach einem Umstellungsprozess wird er noch in diesem Jahr beginnen, Biomilch zu produzieren. Die Preise im Öko-Segment liegen laut Schuchmann aktuell 15 bis 20 Cent je Liter über dem Niveau im konventionellen Bereich. Dem stünden Mehrkosten - etwa durch teureres Futter - von zehn Cent je Liter Milch gegenüber. Der Landwirt hofft, mit seinen Kühen so wieder Gewinne zu erwirtschaften. Kommentar Seite 4