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Prozellan aus dem Kreis Wittenberg Prozellan aus dem Kreis Wittenberg: Erste Interessenten für insolvente Traditionsfirma Annaburg

Von Steffen Höhne 05.06.2015, 18:31
In Annaburg wird vor allem Porzellan für Hotels und Gaststätten hergestellt.
In Annaburg wird vor allem Porzellan für Hotels und Gaststätten hergestellt. Andreas Stedtler Lizenz

Halle (Saale) - Wer eine Kreuzfahrt auf einem Aida-Schiff unternimmt, der sollte sich auch das Tisch-Porzellan einmal genau anschauen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass unter der Tasse oder dem Teller „Annaburg“ steht. Das Porzellanwerk im Kreis Wittenberg hat die Gastronomie für sich als Nische entdeckt. Nicht nur Kreuzfahrtschiffe, auch Mövenpick-Hotels oder der Back-Discounter „Back-Factory“ wurden ausgestattet. Die Nachricht der Insolvenz des Unternehmens in der vergangenen Woche kam daher - zumindest für Außenstehende - überraschend.

Die wirtschaftliche Schieflage der Annaburg Porzellan GmbH reiht sich in eine lange Liste von Pleiten in der Porzellan-Industrie in den vergangenen Jahren ein. Bereits Anfang der 90er Jahre gab es eine Strukturkrise. Als erstes erwischte es viele ostdeutsche Hersteller, denen der Marktzugang und häufig eine bekannte Marke fehlte. 90 Prozent der Betriebe in den neuen Ländern sind damals verschwunden, darunter auch namhafte Hersteller wie Stadtlengsfeld, Triptis oder Graf von Hennenberg. Als große Marken behaupteten sich nach Worten von René Holler, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Keramischen Industrie, nur Kahla aus Thüringen und Meissen aus Sachsen.

Arbeitsintensive Produktion

Dass sich auch das 1874 gegründete Annaburger Werk bis jetzt behauptet, ist der Familie Ploss zu verdanken. Der Bayer Peter Ploss übernahm die Fabrik Anfang der 90er und stellte sie von dem zu DDR-Zeiten bekannten Grundstoff Sintolan auf Porzellan um. Auch sein Sohn Michael stieg in das Geschäft mit ein. Ziel war es, Annaburg stärker bekanntzumachen. Zudem wurde auf Innovationen wie neue, sehr hitzebeständige Werkstoffe gesetzt. Zu den Gründen der Insolvenz will sich die Geschäftsführung derzeit nicht äußern. Der hallesche Insolvenzverwalter Lucas Flöther verschafft sich nun einen Überblick in der Firma, die noch 60 Mitarbeiter beschäftigt. Vorerst läuft die Produktion weiter.

In Annaburg werden unter anderem Kleinserien von 250 bis 1 000 Teilen produziert. Die Herstellung ist aufwendig, ein Produkt wechselt „30 bis 35 Mal die Hände“, bevor es fertig ist. Nach vorläufiger Einschätzung des Insolvenzverwalters sind die Produktionskosten zu hoch gewesen, um im harten Wettbewerb nachhaltig profitabel zu arbeiten.

In der deutschen Keramikindustrie gab es 2013 knapp 160 Unternehmen (mit mehr als 50 Beschäftigten), die rund 3,8 Milliarden Euro erwirtschafteten. Insgesamt beschäftigen die Firmen rund 27 100 Mitarbeiter. Laut des Branchenreports der Sparkassen-Finanzgruppe sind die meisten Betriebe in den Sparten Keramische Baumaterialien (Fliesen, Ziegel, Badkeramik) und technische Keramik (Automobilbau, Gesundheitswesen) tätig. Diese Sparten verzeichneten in den vergangenen Jahren mitunter deutliche Zuwächse.

Im Bereich der Porzellan-Hersteller (keramische Haushaltswaren) gibt es nur noch etwa 25 eigenständige Unternehmen mit einem Gesamtumsatz von 430 Millionen Euro im Jahr 2014. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren es noch 580 Millionen Euro. Die Zahl der Beschäftigten sank zuletzt deutlich.

Diese Probleme hat nicht nur Annaburg. Nach der Jahrtausendwende gerieten auch namhafte westdeutsche Traditionsunternehmen wie Rosenthal ins Trudeln. Zwei wesentlich Gründe führt Verbandschef Holler an: Die starke Konkurrenz durch asiatische Hersteller und ein verändertes Verbraucherverhalten. Inzwischen wird mehr als die Hälfte des deutschen Porzellans aus Asien importiert. Gerade große Möbelhäuser wie Ikea lassen dort fertigen. Eingeführte EU-Strafzölle auf Dumpingwaren aus China milderte die Situation für deutsche Hersteller zuletzt aber ab. Diese verkaufen ihre Waren vor allem im Fach-Einzelhandel und in Kaufhäusern. Die Krise von Karstadt trifft daher auch die Porzellanfirmen.

Zudem greifen die Verbraucher laut Holler nicht mehr so oft zu wie früher: Die Kunden kaufen eher sechs- statt zwölfteilige Sets. „Die Familien werden tendenziell kleiner, das wirkt sich aus.“

In der Branche führte dies in den vergangenen Jahren zu einem erneuten Aderlass. Die Zahl der Porzellan-Hersteller ging drastisch zurück. Heute gibt es laut Verband noch 25  Produzenten. Doch sieht Holler die Branche nun über den Berg: „Die Firmen, die es bis jetzt geschafft haben, besitzen gute Zukunftsaussichten.“ Sichtbares Zeichen: Der Branchenumsatz stieg im vergangenen Jahr um sechs Prozent auf 340 Millionen Euro.

Neuer Investor gesucht

Die Unternehmen sind nicht untätig geblieben. Viele haben die Produktion modernisiert. Neue Öfen wurden angeschafft und die Arbeitsschritte effizienter gestaltet. Als Musterschüler gilt Kahla Porzellan. Das Unternehmen setzt auf moderne Formen. Seit der Neugründung 1994 heimsten die Thüringer laut Firmenchef Holger Raithel 91 Designpreise ein. Bei den Verbrauchern kommt das Dekor an. Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz - auch durch Sonderaktionen des Handels - um 36 Prozent auf 30,2 Millionen Euro. Die älteste deutsche Porzellan-Manufaktur, Meissen, setzt dagegen auf Luxus. Der sächsische Staatsbetrieb eröffnete Läden in Peking und Shanghai (beide China) und verkauft neben Porzellan nun auch Mode, Schmuck und Möbel.

Und wie sind die Aussichten für Annaburg? Insolvenzverwalter Flöther rettete zuletzt bereits den Fahrrad-Hersteller Mifa aus Sangerhausen. Der MZ sagte Flöther, dass die Investorensuche für Annaburg angelaufen sei. „Es gibt auch bereits Interessenten.“ Bei den potenziellen Investoren seien auch welche aus der Branche dabei. Ob diese bereit sind, nicht nur die Marke, sondern auch die Produktion in Annaburg zu übernehmen, werden die nächsten Wochen zeigen. (mz)