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Arbeit rund um die Uhr Otto in Sachsen-Anhalt: Mitarbeiter-Ärger im Versandzentrum

Von Steffen Höhne 30.10.2017, 05:00
Im Hermes-Versandzentrum in Haldensleben werden in zwei 30 Meter hohen  Hochregallagern  die Kartons mit den Waren gestapelt.
Im Hermes-Versandzentrum in Haldensleben werden in zwei 30 Meter hohen  Hochregallagern  die Kartons mit den Waren gestapelt. Hermes Fulfilment

Haldensleben - Auf der Internetseite von Otto einkaufen und am nächsten Tag das Päckchen in Empfang nehmen: Was für die Kunden bequem ist, wird für den Online-Händler zunehmend zur Herausforderung und für die Beschäftigten eine Last.

„Aufgrund des steigenden Auftragseingangs und der von den Händlern geforderten schnelleren Lieferzeiten wollen wir an bestimmten Tagen in der Woche eine Nachtschicht einführen“, sagte Andreas Hennig, Leiter des Hermes Fulfilment Versandzentrums in Haldensleben (Börde), der MZ.

Das zum Otto-Konzern gehörende Unternehmen kann aktuell bis zu 680.000 Artikel pro Tag versenden, verzeichnet an einzelnen Tagen aber mehr als 900.000 Auftragseingänge.

Die Geschäftsführung verhandelt nun mit dem Betriebsrat über die Ausweitung der Arbeitszeiten. „Viele Beschäftigte arbeiten bereits am Limit. Eine Nachtschicht wäre eine weitere starke Belastung“, warnt Torsten Furgol, Handelssekretär der Gewerkschaft Verdi in Sachsen-Anhalt.

Das Versandzentrum wurde bereits 1994 in Betrieb genommen und schon vier Mal ausgebaut. Es ist mit 3 500 Mitarbeitern eines der größten Logistikzentren Deutschlands. Die Nutzfläche erstreckt sich auf umgerechnet 26 Fußballfelder.

Versandzentrum in Haldensleben: Textilien für Otto und andere Unternehmen werden verschickt

Von Haldensleben aus werden vor allem Textilien für Otto und die zahlreichen Tochterfirmen wie „About-You“ versendet. In drei Schichten von 5.30 Uhr bis ein Uhr nachts wird gearbeitet. Doch das reicht laut Hermes Fulfilment nicht mehr. Der Online-Handel wächst bei vielen Gesellschaften im Otto-Konzern zweistellig.

Vor allem steigt aber der Anspruch der Kunden. Nach Auftragseingang in Haldensleben werden bisher 70 Prozent aller Sendungen innerhalb von 48 Stunden zugestellt. Im kommenden Jahr wird eine Quote von 95 Prozent gefordert.

Otto reagiert damit auf die Konkurrenz von Amazon. Der Marktführer bietet in Ballungsräumen wie Berlin, München und auch Leipzig/Halle sogar eine Lieferung noch am Bestelltag an. Für das Weihnachtsgeschäft stellt Amazon am Standort Leipzig erneut 1 800 Saisonkräfte zusätzlich ein.

„Dieser Wettbewerb um Schnelligkeit wird auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen“, sagt Verdi-Sekretär Furgol. Es sei erwiesen, dass Nachtarbeit die Gesundheit schädigt.

Um der Skepsis der Mitarbeiter zu begegnen, versucht Hermes, den betroffenen Beschäftigten ein attraktives Angebot zu machen. Das Unternehmen zahlt - anders als Amazon - den Einzelhandelstarif von mindestens elf Euro die Stunde.

„Der Nachtzuschlag wird bei mindestens 20 Prozent liegen“, so Standort-Chef Hennig. In einem Teil des Versandzentrums läuft seit Oktober ein Probelauf mit 180 Mitarbeitern. Im Hauptlager werden 400 bis 500 Mitarbeiter für die Nachtschicht benötigt. „Wir wollen versuchen, das auf freiwilliger Basis zu regeln“, sagt Hennig.

Das dürfte nicht einfach werden. Es wird für Hermes zunehmend schwieriger, neue Mitarbeiter zu finden. Laut Gewerkschaft sind zuletzt auch Beschäftigte zum ortsansässigen Autozulieferer IFA abgewandert. Die Arbeitslosenquote in der Börde ist mit sechs Prozent die niedrigste in Sachsen-Anhalt. (mz)