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Arbeitsmarkt Ostdeutschland zeigt auf: Fachkräftemangel immer schlimmer

In den ostdeutschen Flächenländern ist der Fachkräftemangel schon jetzt viel größer als im Westen. BA-Chefin Andrea Nahles befürchtet: Die alten könnten den neuen Ländern folgen.

Von Michael Donhauser, dpa 30.08.2024, 09:55
Die ostdeutschen Flächenländer könnten bezüglich des Mangels an Fachkräften auf negative Weise zum Modell für das gesamte Land werden (Archivbild).
Die ostdeutschen Flächenländer könnten bezüglich des Mangels an Fachkräften auf negative Weise zum Modell für das gesamte Land werden (Archivbild). Daniel Löb/dpa

Nürnberg - Eigentlich hat die Bundesagentur für Arbeit schon vor langer Zeit aufgehört, in ihrer Statistik zwischen Ost- und Westdeutschland zu unterscheiden. Die Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles hat nun doch noch einmal die Unterschiede zwischen den Arbeitsmärkten in neuen und alten Bundesländern herausgearbeitet. Denn: Der Osten ist auf eine bedrohliche Art und Weise zur Modellregion für den Westen geworden. Der Mangel an Fachkräften zwischen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ist dort schon jetzt viel größer als im Westen. 

Bevölkerung im Osten überdurchschnittlich alt

„Der demografische Wandel schreitet in den ostdeutschen Flächenländern schneller und deutlich stärker voran als im Westen Deutschlands“, sagte Nahles, die von einer Reise durch die neuen Länder zurückgekehrt war. Wesentlicher Grund sei die große Abwanderungswelle junger Menschen nach der Wiedervereinigung. Somit sei die verbliebene Bevölkerung in Ostdeutschland überdurchschnittlich alt. In den kommenden Jahren gingen viele weitere Ältere in den Ruhestand, der Fachkräftenachwuchs fehle. Während die Beschäftigung in Westdeutschland noch wachse, sinke sie im Osten bereits. „Ostdeutschland zeigt jetzt schon demografisch, wo das gesamte Land in wenigen Jahren stehen könnte“, sagte Nahles. 

Zuzug von Ausländern hilft der Wirtschaft

Dabei offenbart die Statistik nicht nur ein Kuriosum. Die Wirtschaft im Freistaat Thüringen profitiere überdurchschnittlich vom Zuzug ausländischer Arbeitskräfte, schilderte Nahles. Bereits seit 2017 ist dort der Aufwuchs der Beschäftigung ausschließlich auf Menschen zurückzuführen, die keinen deutschen Pass haben. In Gesamtdeutschland ist dies erst seit 2023 so. „Natürlich auch mit Blick auf die Wahlen am Sonntag der Hinweis, dass wir gerade in diesen Ländern attraktiv bleiben müssen, für Menschen, die aus anderen Ländern zuwandern und deswegen auch eine Kultur der Offenheit und der Vielfalt und des Willkommens sehr wichtig ist“, sagte Nahles. In Thüringen und Sachsen wird am Sonntag ein neuer Landtag gewählt, die Umfragen sehen starke Ergebnisse für die AfD voraus, die den Zuzug von Ausländern eindämmen will.

Ein weiteres Kuriosum wird bereits seit Monaten beobachtet: Ungeachtet des fortschreitenden Mangels an Fachkräften steigt die Arbeitslosigkeit weiter. „Nichts deutet daraufhin momentan, dass sich dieser stetige Anstieg zurzeit irgendwo ausbremst oder sogar revidiert wird“, sagte Nahles. Auch die Chefvolkswirtin der staatlichen Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib betonte: „Langsam macht sich die wirtschaftliche Stagnation auch am Arbeitsmarkt bemerkbar.“

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland stieg im August im Vergleich zum Juli saisonbedingt um 63.000 auf 2,872 Millionen. Im Vergleich zum August des Vorjahres liegt die Zahl damit um 176.000 höher. Die Arbeitslosenquote stieg gegenüber Juli um 0,1 Punkte auf 6,1 Prozent, die Zahl der offenen Stellen sank im Jahresvergleich um 72.000 auf 699.000. Die Bundesagentur griff für ihre Statistik auf Zahlen zurück, die bis zum 14. August vorlagen.

„Die gedämpfte Tendenz der Vormonate setzt sich am Arbeitsmarkt fort“, sagte Staatssekretärin Lilian Tschan vom Bundesarbeitsministerium. Als gute Nachricht wertete sie, dass immer mehr Ukraine-Flüchtlinge den Weg in neue Jobs fänden. Im Juni 2024 seien 207.000 ukrainische Staatsangehörige in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gewesen. Weitere 52.000 hatten Minijobs. 

Ausbildungsmarkt in Bewegung

Günstiger sieht es auf dem Ausbildungsmarkt aus. Von Oktober 2023 bis August 2024 meldeten sich 418.000 junge Leute als Bewerber für eine Ausbildungsstelle. Das waren 10.000 mehr als im Vorjahreszeitraum. Im August hatten noch 82.000 weder einen Ausbildungsplatz noch eine Alternative gefunden. Gleichzeitig waren von den insgesamt 502.000 Lehrstellen 158.000 bisher nicht besetzt. Die Zahl der unvermittelten Bewerber und die der offenen Ausbildungsstellen werde sich bis Ende September noch deutlich verringern, der Markt sei weiter in Bewegung, hieß es von der Bundesagentur.

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte angesichts der großen Zahl von noch unbesetzten Lehrstellen, das Übel des Fachkräftemangels an der Wurzel zu packen. Deutschland brauche dringend eine Verbesserung der Bildungsqualität und eine praxisorientierte Berufsorientierung. Mehr als ein Drittel der Ausbildungsplätze sei im vergangenen Jahr unbesetzt gebliebenen, bei kleinen Betrieben seien es sogar fast zwei von drei gewesen. „Diese Lücke ist wie ein schwarzes Loch, das unsere Zukunftsperspektiven aufsaugt, wenn wir nicht handeln“, sagte Dulger.