Nach der Pleite Nach Schlecker-Pleite: Das neue Leben einer Schlecker-Frau

Karsdorf - Dieses Geräusch vergisst Gudrun Neugebauer wohl nie. Als bei Schlecker das Licht ausging und sie 2012 die Filiale in Karsdorf (Burgenlandkreis) verschloss, quietschte mit einem Mal die Ladentür. „Bis dahin ging das immer lautlos, eben wie gut geölt.“
Die Nachricht vom Ausgang des Schlecker-Prozesses am Montag rief genau diese Erinnerung wieder wach. Sie habe lange darüber nachgedacht und es schließlich als Zeichen verstanden.
„Mir war klar, die schöne Zeit mit Schlecker ist vorbei - endgültig.“ Sie habe das damals wie eine Scheidung empfunden, so Neugebauer. „Und es tat verdammt weh“, sagt die Frau, die nach eigenen Worten „nicht nah am Wasser gebaut ist“.
22 Jahre bei Schlecker: Pleite der Drogerie-Kette traf Gudrun Neugebauer mit voller Wucht
Aber soviel Schmerz ist kein Wunder, nach 22 Jahren. Ihr gesamtes Leben, sagt sie durchaus mit Stolz in der Stimme, sei lange Zeit nur auf Schlecker ausgerichtet gewesen. Arbeit nach dem Mauerfall - ein Glücksfall. Immer unter Leuten, genau das, was ihr gefällt. Ein tolles Sortiment. Sie habe geholfen, die Kette mit neuen Geschäften zu erweitern. 16 Jahre als Chefin eines Ladens, den sie führen durfte, als wäre es ihr eigener. „Nein, da gab es im Großen und im Ganzen nichts zu bereuen.“
Die Formulierung ist offenbar nicht ganz zufällig so gewählt. Im Großen und im Ganzen, das schließt eine durchaus gravierende Einschränkung ein. Neugebauer meint damit die letzten Jahre der Drogeriekette, als deren Gründer Anton Schlecker seine beiden Kinder ans Ruder ließ. Ihre Gier habe das Unternehmen in den Ruin geführt.
Schlecker-Gier führte Drogerie-Kette in die Pleite: Wut bei Angestellten
Das habe sie schon unmittelbar nach der Pleite gesagt und dabei bleibe sie auch. „Die Schlecker-Kinder wollten in einem Jahr soviel Gewinn machen wie der Alte in fünf Jahren.“ Gudrun Neugebauer kommt bei dem Thema rasch in Fahrt, als würde sie selbst eine Anklage verlesen:
Man habe Modernisierung „auf Teufel komm raus“ betrieben, ein im ländlichen Raum konkurrenzloses Erfolgsmodell aufgegeben, mit Bilanzen jongliert... Dann ist die Wut, die durch Schlecker trotz alledem immer noch bei ihr brodelt, aber wirklich raus.
Fazit: „Als ich von dem Urteil hörte, dachte ich: Es gibt doch noch so etwas wie Gerechtigkeit.“
Dazu gehört aus ihrer Sicht auch eine Frage, die das Gericht nicht klären konnte: die ihr versprochene Abfindung. „Es geht immerhin um 40.000 Euro.“ Der Briefwechsel mit dem Insolvenzverwalter ist fein säuberlich abheftet.
Das Problem: „Seit 2015 herrscht Funkstille.“ Aber Neugebauer glaubt und hofft, das müsse nichts bedeuten.
Noch liege keine Absage auf dem Tisch. Und solange das so sei, wolle sie nicht klein beigeben, immer wieder auf ihren Anspruch pochen. Beredtes Beispiel, das ihr Mut macht: die legendäre Quelle-Pleite.
Späte Genugtuung für Schleckerfrauen?
„Ein Bekannter bekam dort seine Abfindung zehn Jahre nach seiner Entlassung, aber er bekam sie.“ So könnte es auch eine späte Genugtuung für die Schlecker-Frauen geben, von denen viele durch den Ruin der Kette aus der Bahn geworfen wurden.
Nicht jede fand die Kraft wie Gudrun Neugebauer „sich neu zu erfinden“. Der erste Versuch scheiterte freilich sang- und klanglos. „Eigentlich wollte ich mit einer Kollegin den Laden irgendwie weiterführen, aber das klappte nicht.“
Rechtliche und finanzielle Hürden, so sieht sie es, waren nicht zu überwinden. „Mir war das Risiko einfach zu hoch.“ Trotzdem steht das Geschäft nicht mehr leer. Inzwischen ist dort eine Kleiderkammer für Bedürftige eingerichtet. Nicht die schlechtestes Lösung, wie Neugebauer meint.
1975 eröffnet Anton Schlecker in Kirchheim/Teck (Baden-Württemberg) seine erste Drogerie. Zwei Jahre später sind es schon 100 Filialen.
1987 expandiert Schlecker ins Ausland - zuerst nach Österreich. Nach dem Fall der Berliner Mauer öffnen schnell Märkte in den neuen Bundesländern.
1994 betreibt Schlecker nach eigenen Angaben rund 5 000 Läden. Gewerkschafter kritisieren, Mitarbeiter würden schikaniert und schlecht bezahlt. Schlecker spricht von Einzelfällen.
2007 ist Schlecker nach eigenen Angaben mit mehr als 14 000 Märkten in 13 Ländern europäischer Marktführer in der Drogeriebranche. Über Jahre gibt es aber Kritik an Dumpinglöhnen und Leiharbeit.
2011 beginnt nach Jahren in den roten Zahlen ein radikaler Umbau des Filialnetzes.
2012 meldet Schlecker Insolvenz an. Im Sommer werden die letzten Filialen geschlossen, zehntausende Mitarbeiter in Deutschland verlieren ihre Jobs. Die Gläubiger fordern mehr als eine Milliarde Euro.
2013 zahlt die Familie Schlecker dem Insolvenzverwalter im Streit um übertragenes Firmenvermögen 10,1 Millionen Euro. Anton Schlecker hatte vor der Insolvenz unter anderem seine Villa im Wert von zwei Millionen Euro an seine Frau übertragen. Später zahlt die Familie weitere vier Millionen Euro. (mz)
Was blieb übrig nach der Pleite? Die heute 61-Jährige bot sich ohne langes Zögern auf dem Arbeitsmarkt an - und fand eine neue Perspektive, wenn auch in einem beruflich völlig neuem Umfeld.
Mit einer leitenden Position hatten und haben ihre Jobs nicht mehr viel zu tun. Inzwischen arbeitet sie als Nachtwache in einem Altenheim. Reich werden kann man dabei nicht. Es reicht aber, dass sie klug wirtschaftend ihr Auskommen hat. Dazu kommt das Geld, das sie zusätzlich verdient. „Ich fahre schichtweise Taxi in Merseburg, auf 450-Euro-Basis.“
Als sie noch bei Schlecker war, sei sie eine Frühaufsteherin gewesen. Lange vor der Öffnung war sie im Laden, um penibel alles vorzubereiten. Es sei ihr aber nicht wirklich schwer gefallen. Man war ja jünger, so Neugebauer.
Und „der Alte“, Anton Schlecker, habe für seine Verhältnisse gar nicht so schlecht gezahlt. Verklärung hin oder her: Im Vergleich dazu habe sie heutzutage weniger zum Ausgeben. Aber daran könne man sich gewöhnen.
Hartes Leben nach der Schlecker-Pleite: Zwei Jobs zum Überleben
Nichts ist unmöglich. Früher hätte sie sich auch nicht vorstellen können, dass sie auf ihre alten Tage noch ein „Nachtmensch“ werden könnte. Nachtwache und Nachttaxi - das bedeutet zu Bett gehen, wenn die meisten anderen Leute aufstehen.
Frühstück gibt es - jetzt Ende November -, sobald die Sonne untergeht. Richtig hell ist es auf der Arbeit nur, wenn sie das Taxi am Bahnhof genau unter einer Laterne parkt.
Bekannte und Verwandte, die oftmals um Jahre jünger sind, äußern mitunter ihr Erstaunen, wie Gudrun Neugebauer ihr Leben nach Schlecker meistert. „Genauso wie vorher, ich lasse mir nicht die Butter vom Brot nehmen.“ (mz)