Monsanto-Skandal Monsanto-Skandal: Wie gefährlich ist Glyphosat?

Berlin - Ob man in der Leverkusener Bayer-Zentrale mittlerweile an der Weisheit der 63 Milliarden US-Dollar schweren Monsanto-Übernahme zweifelt, ist unbekannt. Bekannt ist, wie die Börsen auf ein US-Urteil gegen Monsanto vom Freitag regierten: mit beinahe panikartigen Verkäufen. Die Bayer-Aktie brach am Montagmorgen um bis zu 13 Prozent ein, nach dem ein kalifornisches Gericht am Freitag Monsanto zur Zahlung von 289 Millionen Dollar Schmerzensgeld an einen krebskranken Hausmeister verurteilt hatte.
Dabei handelt es sich um die erste Gerichtsentscheidung überhaupt, in der das Monsanto-Herbizid Glyphosat für den Ausbruch einer Krebserkrankung verantwortlich gemacht wird. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Ist Glyphosat ungefährlich?
Bayer-Monsanto und andere Hersteller beantworten diese Frage erwartungsgemäß mit Ja. Folgerichtig hat Monsanto gegen das Urteil Berufung eingelegt und verweist auf mehr als 800 wissenschaftliche Studien, die eine Krebsgefahr durch Glyphosat verneinten. Die Untersuchungen belegten, dass Gesundheitsgefahren durch Glyphosat bei vorschriftsmäßiger Anwendung nicht zu befürchten seien. Auch nationale und internationale Zulassungsbehörden hätten keine Anhaltspunkte für erhöhte Krebsrisiken festgestellt.
Dazu zählen das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) sowie staatliche Bewertungsbehörden in Australien, Japan, Kanada und Neuseeland. Dass das US-Urteil gleichwohl für so große Unruhe sorgt, hat einen Grund: In den USA sind noch zahlreiche weitere Verfahren gegen Monsanto wegen Glyphosat anhängig Sollte das aktuelle Urteil in höheren Instanzen Bestand haben, könnte es zum Präzedenzfall werden. Für Bayer würde es richtig teuer.
Was spricht für ein Krebsrisiko?
Die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation, IARC, stufte die Chemikalie im Frühjahr 2015 Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ ein. In Brasilien und anderen südamerikanischen Ländern, wo das Pflanzengift per Flugzeug weiträumig über Anbaukulturen mit genveränderten Glyphosat-resistenten Pflanzen ausgebracht wird, sind dramatische Gesundheitsfolgen belegt. Nach Angaben des Umweltinstituts München stieg die Krebsrate in den betroffenen Gebieten zwischen 2000 und 2009 um 300 Prozent, die der Fehlgeburten und Missbildungen sogar um fast das Vierfache.
Glyphosat-Gegner ziehen zudem die wissenschaftliche Grundlage vieler Untersuchungen in Zweifel. Die Stellungnahme des BfR etwa enthalte wortgleich ganze Passagen aus Herstellerstudien und sei daher nicht neutral (was das BfR wiederum vehement bestreitet). Dabei bietet das Einhalten hiesiger Grenzwerte aus Sicht des Umweltinstituts keine Sicherheit, zumal in den vergangenen zehn Jahren die zulässigen Glyphosat-Grenzwerte für Zuckerrüben um das zehn-, für Zuckermais um das 20- und für Linsen um das 100-fache anhoben worden seien.
Wie verbreitet ist Glyphosat?
Es handelt sich um das meistverwendete Pflanzengift der Welt, und das gilt auch für Deutschland. Bei uns sind 37 Glyphosat-haltige Substanzen unter mehr als 100 Handelsnamen erhältlich. Nach Angaben des Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen (Julius-Kühn-Institut) wird Glyphosat auf 37 Prozent der deutschen Ackerfläche ausgebracht, hinzukommen Parks, Privatgärten, Grünstreifen und Bahngelände.
Mit rund 5000 Tonnen pro Jahr decken die Glyphosat-Produkte etwa 30 Prozent des gesamten deutschen Herbizid-Marktes ab. Rückstände der Substanz wurden bereits in zahlreichen Lebensmitteln nachgewiesen. Ungeachtet dessen wurde Glyphosat nach mehrjähriger Debatte Ende 2017 EU-weit um weitere fünf Jahre zugelassen. Eine Neubewertung dieser Entscheidung, die EXx-Agrarminister Christian Schmidt (CSU) herbei geführt hatte, schloss die EU-Kommission am Montag aus.
Wie wirkt Glyphosat auf die Natur?
Die Substanz unterbricht den Stoffwechsel sämtlicher Grünpflanzen mit Ausnahme gentechnisch veränderter Sorten, die – wie einst Glyphosat - ebenfalls von Monsanto entwickelt wurden. Doch dabei bleibt es nicht: Dier Artenvielfalt insgesamt geht auf den Anwendungsflächen zurück, betroffen sind unter anderem Würmer, Insekten, Spinnen und Vögel. Besonders betroffen sind zudem Amphibien und Fische, da sich Glyphosat und seine Abbauprodukte in Oberflächengewässern anreichern. In nordamerikanischen Teichen wurden schon bis zu 1700 Mikrogramm pro Liter nachgewiesen. Zum Vergleich: Der EU-Grenzwert für Trinkwasser liegt bei 0,1 Mikrogramm.
Gibt es Alternativen?
Der Öko-Anbau zeigt, dass Pflanzenschutz auch ohne Glyphosat und Co. möglich ist: mit geeigneten Fruchtfolgen, unkrautabwehrenden Mischkulturen, Behandlungen mit Wasserdampf, biologisch abbaubaren Pflanzenschutzmitteln wie Essigsäure und vermehrtem Umpflügen. Das staatliche Julius-Kühn-Forschungsinstitut für Agrarpflanzen kam 2017 in einer Stellungnahme zu dem Ergebnis, „dass vielfach auf Glyphosat-Anwendungen verzichtet werden kann“. Daher seien vor der Entscheidung, ein Glyphosat-haltiges Herbizid einzusetzen, alternative Verfahren zu prüfen.
Allerdings hat auch der Verzicht auf Glyphosat seinen Preis: Zum einen macht auch häufiges Umpflügen gegen Unkrautbefall vielen Bodenorganismen den Garaus. Zum zweiten könnten konventionelle Betriebe auf Herbizide wie Dicamba zurückgreifen, die Glyphosat an Toxizität nicht nachstehen. Das hieße, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Drittens ermöglicht die hochtechnisierte Landwirtschaft in der Tat höhere Hektarerträge als der Ökolandbau – ein Muss angesichts wachsender Weltbevölkerung, behauptet die Agrarindustrie.
Die Frage ist allerdings, wie lange Toperträge möglich sein werden: Monokulturen, Pestizide, und Kunstdünger beeinträchtigen auf Jahrzehnte die Qualität der Böden und Gewässer. Zudem hat manch unliebsame Ackerpflanze mittlerweile eine Glyphosat-Resistenz entwickelt. Laut Münchner Umweltinstitut sind in den USA 21 Unkräuter registriert, denen das Gift nichts mehr anhaben kann. Was tun? Die Antwort vieler Betriebe lautet: mehr Gift.