Arbeit Mehr Frauen und Quereinsteiger im Winzer-Handwerk
Der Winzerberuf zieht in Deutschland immer mehr Frauen an. Und es gibt mehr Wein-Hersteller, die nicht aus einem Familienbetrieb kommen und das Handwerk ganz neu lernen. Was treibt sie an?
Mainz - Das nach dem Abitur geplante Praktikum im Hotelfach musste wegen der Corona-Pandemie ausfallen. Hanna Nunkesser orientierte sich neu und fing eine Ausbildung zur Winzerin an. „Es war das reine Interesse an etwas, was ich überhaupt nicht kannte“, sagt die 22-Jährige aus Oberursel bei Frankfurt.
Um sicher zu sein, dass es das Richtige ist, absolvierte sie vor der Ausbildung Praktika im italienischen Piemont, in Franken, Rheinhessen und in der Steiermark. „Ich habe immer Leute kennengelernt, die mich weiterempfohlen haben.“ Immer mehr Frauen in Deutschland entscheiden sich, wie Nunkesser, Winzerin zu werden.
„Die Branche ist unglaublich offen für Frauen“, sagt der Präsident des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), Steffen Christmann. Sein Weingut in der Pfalz übernimmt seine Tochter Sophie, die älteste seiner vier Kinder.
„Die Weinbranche ist grundsätzlich extrem traditionell“
Für die jüngere Generation spiele das Geschlecht überhaupt keine Rolle mehr, sagt Winzerin Andrea Wirsching aus Franken. Das sei nicht immer so gewesen: „Die Weinbranche ist grundsätzlich extrem traditionell“, sagt die 60-Jährige und erzählt, sie habe das Familienweingut übernehmen können, weil ihre drei Brüder nicht wollten. Wirsching beschäftigt aktuell vier Azubis, alle weiblich und zwischen 17 und 40 Jahre alt.
Nach einer Auswertung des Deutschen Weininstituts (DWI) ist der Anteil von Frauen an den Auszubildenden innerhalb der vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen. Zwischen 2014 und 2018 war demnach gut jeder fünfte Azubi (22,5 Prozent) weiblich. Im Zeitraum von 2019 bis 2023 war schon fast jede dritte Ausbildungsstelle von Frauen (30 Prozent) besetzt. Damit haben seit 2019 jedes Jahr im Durchschnitt 86 Frauen eine Winzerausbildung begonnen.
Weniger Auszubildende
Zugleich gibt es dem DWI zufolge aber auch in dieser wie in vielen anderen Branchen insgesamt weniger Auszubildende. Wurden zwischen 2014 und 2018 noch durchschnittlich 347 Verträge pro Jahr abgeschlossen, so waren es zwischen 2019 und 2023 nur noch 288 im Jahresdurchschnitt.
„Ich dachte man sei etwas Besonderes, mittlerweile gibt es aber echt viele Frauen“, sagt auch Nunkesser. In ihrer Berufsschulklasse sei es etwa die Hälfte. Sie fühle sich in dem Job auch nicht benachteiligt, nur manchmal ein wenig bevormundet, wenn Männer sie körperliche Arbeiten nicht einmal versuchen ließen. Und: „Wenn man als Frau mit dem Schlepper rumfährt, dreht sich der ein oder andere Kerl schon mal länger um.“
Das Deutsche Weininstitut hat noch einen anderen Trend ausgemacht: Der Anteil der Azubis, die nicht aus einer Winzerfamilie kommen, ist auf rund die Hälfte gestiegen. Das „gute Image des Berufsbildes“ sieht das DWI als Grund. Kaum ein Lehrberuf sei so vielseitig wie der des Winzers. „Schließlich bestimmt der Winzer oder die Winzerin jeden einzelnen Schritt, den ein Wein vom Rebstock bis ins Glas durchläuft“, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher.
Natur, Weinproduktion und Vermarktung
Wirsching erklärt es so: „Im Weinbau hat man die Möglichkeiten, Entscheidungen zu treffen und ein Produkt zu beeinflussen. Das ist ein extrem attraktiver Beruf mit einem sehr guten Image.“ Und das Spektrum des Berufs sei breit: die Auseinandersetzung mit der Natur, die Weinproduktion und die Vermarktung. Es gehe aber auch um Kontakt mit Menschen, um Essen und Trinken und um Weintourismus.
Nunkesser, deren Eltern in der Medizinbranche arbeiten, schätzt vor allem die Gemeinschaft bei der Lese und der Weinproduktion sowie die Arbeit in der wechselnden Natur. „Es ist nie derselbe Weinberg, derselbe Rebstock, dasselbe Wetter und dieselbe Jahreszeit.“ Und: „Es ist ein Handwerk, aber auch eine Art von Kreativität, die man da ausleben kann.“ Sie hebt auch die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten in der Branche hervor: Forschung, Marketing sowie Sensorik nennt sie als Beispiele.
Noch Mitte der 90er Jahre seien mehr als 90 Prozent der Auszubildenden aus Winzerfamilien gekommen, sagt auch VDP-Präsident Christmann. „Heute sind es noch etwa 50 Prozent.“ Einen Grund sieht er in der Akademisierung der Ausbildung. Die Hochschule Geisenheim im Rheingau und der Weincampus in Neustadt an der Weinstraße etwa berichten von mehr Studierenden und einem wachsenden Frauenanteil.
Christmann gibt aber zu bedenken: „Letztlich ist es ein praktischer Beruf mit vielen nicht akademischen Tätigkeiten.“ Und Wirsching sagt mit Blick auf die zuzeit schwierige Situation im Weinbau: „Wer den Job heute nicht mit Leidenschaft macht, hat keine Chance. Aber wenn Du es kannst, brauchst Du nicht einmal eigene Weinberge.“
Nach zwei Jahren Ausbildung, zuletzt auf dem Weingut Gies-Düppel bei Landau in der Pfalz, will Hanna Nunkesser sich noch zur Weintechnikerin fortbilden. „Als Gesellin verdient man zu wenig.“ Bevor die angehende Winzerin diesen Schritt geht, will sie aber noch mehr Erfahrung in der Welt und der Branche sammeln, „um zu gucken, was es alles gibt“. Nach dem Abschluss ihrer Lehre im Sommer will sie bei der Lese in England helfen, weil sie die Sektherstellung dort interessiert. Und ab Februar geht es wahrscheinlich nach Australien. „Dann geht die Lese auf der Südhalbkugel los.“