LuxLeaks-Skandal LuxLeaks-Skandal: Luxemburgs Regierung spielt auf Zeit

Brüssel - Es war wie immer. Auch in der Vorwoche spielte Luxemburgs Regierung auf Zeit. Der Sonderausschuss des Europaparlaments war eigens ins Großherzogtum gereist, um Dokumente rund um den LuxLeaks-Skandal einzusehen, Steuerrabatte, die das Land Konzernen gewährte - von Amazon, über Fiat bis zur Deutschen Bank. Aber wichtige Unterlagen sind angeblich unauffindbar. „Unsere Arbeit wird systematisch hintergangen“, klagt der Linken-Europaabgeordnete Fabio De Masi.
Seit Frühjahr ermitteln die Abgeordneten des Europaparlaments, aber nur mit beschränkten Befugnissen. Christ- und Sozialdemokraten verhinderten einen Untersuchungsausschuss mit weitreichenden Aufklärungsrechten, stattdessen einigte sie sich auf ein limitiertes Sonderkomitee. Die Großkoalitionäre fürchteten um das Ansehen von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, in dessen Luxemburger Regentschaft die anstößigen Deals fallen.
Linkspolitiker De Masi macht nun Druck, er will Juncker als Zeugen vor den Ausschuss laden. Unterstützung kommt auch von den Liberalen. „Wir haben Fragen an die EU-Finanzminister. Und wenn es Fragen an Kommissionspräsident Juncker gibt, dann laden wir ihn ein“, sagt der FDP-Europaabgeordnete Michael Theurer der FR. Er klagt: „Wir haben kostbare Zeit verloren, auch wegen der Einsprüche von Christ- und Sozialdemokraten. Die angeforderten Dokumente vom Rat der Mitgliedstaaten und von der EU-Kommission wurden dem Parlament bisher noch nicht übermittelt.“
Einmal Steuermenü 2, bitte!
Trauriger Tiefpunkt der Luxemburger Verschleppungstaktik war die geplante Vernehmung des großherzoglichen Beamten Marius Kohl. Der leitete vor seiner Pensionierung 2013 das ominöse Büro „Sociétés 6“ der Luxemburger Steuerbehörden. „Ich konnte „Ja“ oder „Nein“ sagen“, umschrieb Kohl im Wall Street Journal seine Arbeit und fügte hinzu: „Mein Land hat definitiv von meiner Arbeit profitiert, wenn auch möglicherweise nicht in Sachen Ansehen.“ So sieht es auch Luxemburg. Als der Parlamentsausschuss Kohl vernehmen wollte, beschieden die großherzoglichen Behörden, der Mann sei nicht ladungsfähig, es finde sich keine Adresse. „Dabei steht Kohl im Luxemburger Telefonverzeichnis“, klagt der Linken-Politiker De Masi und: „Sollte auch Junckers Anschrift nicht zu ermitteln sein, bin ich gerne behilflich: EU-Kommission, Rue de la Loi 200, Brüssel.“
Der Trick der Konzerne: Über vermeintliche Lizenzabgaben an Tochterfirmen werden Gewinne kleingerechnet. Aber Luxemburg mauert. Und manch Abgeordnetem agiert auch der französische Ausschusschef Alain Lamassoure zu verhalten. „Die Arbeit wird immer wieder durch Interventionen vor allem der beiden großen Fraktionen gebremst. Ich kann nur wiederholen: Der Ausschussvorsitzende Lamassoure und Parlamentspräsident Martin Schulz müssen den maximal möglichen Druck machen“, klagt der Liberale Theurer. „Statt Kavallerie kommt nur Diplomatie. Man gewinnt den Eindruck, die schweren Jungs im Europaparlament schützen das Steuerkartell und Juncker", sagt der Linken-Abgeordnete De Masi der FR.
Der Internethändler Amazon verbucht inzwischen einer Zeitung zufolge seine deutschen Verkäufe nicht mehr in Luxemburg, sondern in Deutschland. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ unter Berufung auf einen Sprecher des US-Unternehmens berichtete, werden damit seit dem 01. Mai erstmals die Gewinne aus Deutschland auch hierzulande versteuert. „Wir überprüfen regelmäßig unsere Firmenstrukturen, um sicherzustellen, dass wir unsere Kunden bestmöglich bedienen können“, zitierte das Blatt den Sprecher.
Ein bisschen Hoffnung auf eine europaweite Initiative gegen die Steuerrabatte gibt es. Diese Woche, so ist zu hören, wollen die Fraktionschefs mit Schulz über eine Verlängerung des auf sechs Monate begrenzten Mandats des Ermittlungsausschusses beraten. Und Junckers EU-Kommission prüft wegen angeblicher Wettbewerbsverzerrungen. Gegen Luxemburg, aber auch gegen andere EU-Staaten wie Irland, die Niederlande oder Belgien. Denn Luxemburg ist überall. „26 der 28 EU-Staaten gewährten Steuerrabatte – auch Deutschland“, sagt der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold der FR. Er wendet sich gegen eine Fokussierung auf Juncker. „Wichtig ist, dass wir von allen Mitgliedstaaten die Dokumente über Steuerdeals bekommen und dass wir das geltende Recht endlich umsetzen. Wir brauchen Steuergerechtigkeit – in ganz Europa“, sagt Giegold.
Blockade-Faktor Großbritannien
Die EU-Kommission hat nun einen Vorstoß zum automatischen Informationsaustausch von Steuerdeals zwischen den Mitgliedstaaten angekündigt. Doch bleiben Zweifel – auch an Deutschland: „Es stellt sich schon die Frage, warum die Bundesregierung und die deutschen Finanzbehörden nicht mehr Druck machen, um mehr zu erfahren über die rund 150 deutschen Firmen, die das Luxemburger Steuersparmodell nutzten“, sagt Giegold. Im Juni will die Kommission ihre Pläne über eine Steuerharmonisierung in der EU vorlegen. Angedacht ist eine gemeinsame Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer. Doch die könnte Großbritannien mit einem Veto-Recht stoppen. Giegold fordert: „Europa braucht bessere Bilanzregeln, die festschreiben, das Unternehmen die Gewinne länderspezifisch ausweisen müssen, sprich: Wer verdient in welchem Land wieviel. Nur so lässt sich die Spur der Scheine verfolgen.“ Eine solche Regelung könnte Großbritannien nicht blockieren, es reicht eine Mehrheit der EU-Staaten.
Luxemburg übernimmt übrigens zum 1. Juli den Ratsvorsitz unter den EU-Staaten, es koordiniert damit für sechs Monate die gesetzgeberische Tätigkeit. Bislang zeigte das Land aber nur einmal Engagement in Sachen LuxLeaks. Es erhob Anklage gegen den Journalisten Edouard Perrin, der die LuxLeaks-Affäre enthüllte. Von einem „Angriff auf die Pressefreiheit“, spricht De Masi. Und Juncker? Der lobte Anfang Mai in einer Rede vor deutschen Verlegern artig den Wert der Pressefreiheit und des investigativen Journalismus. So ist es bei LuxLeaks wie so oft in der EU. Europa redet nur.

