Lieken, Müller Brot und co. Lieken, Müller Brot und co.: Großbäcker verschlafen Trend

Halle (Saale) - Seit 1977 beherbergt Weißenfels auch eine Großbäckerei: Zehntausende Laib- und Kastenbrote sowie Toasties verlassen jeden Tag den Betrieb, der zu Lieken, einer der größten Bäckereien Deutschlands, gehört. Nach der Wende wurde das Werk mit heute 250 Mitarbeitern für Millionen von Euro modernisiert. Die Herstellung von Kuchen am Standort soll aber offenbar auslaufen. Auf MZ-Anfrage bestätigt eine Lieken-Sprecherin die geplante Schließung der Fertigungslinie. Die 40 Mitarbeiter in dem Bereich stehen vor einer ungewissen beruflichen Zukunft.
Der Großbäcker Lieken befindet sich mitten in einem radikalen Umbau, Weißenfels ist dabei vergleichsweise milde betroffen. Gleich fünf von zwölf deutschen Standorten will das Unternehmen in den nächsten Jahren schließen. Zugleich soll jedoch ein neues Werk im Rhein-Main-Gebiet errichtet und das Toast- und Sandwich-Werk in Sandersdorf-Brehna (Anhalt-Bitterfeld) für einen zweistelligen Millionenbetrag ausgebaut werden. Insgesamt lässt sich der tschechische Lieken-Eigner Agrofert die Umstrukturierung rund 400 Millionen Euro kosten.
Die Lieken-Führung stellt das Unternehmen auf neue Markt- und Konsumgewohnheiten ein, damit es nicht wie einige Konkurrenten in Schieflage gerät. Die Liste der großen Pleiten füllt sich: Bereits 2012 meldete die bayerische Müller Brot Insolvenz an. Es folgte die Leipziger Löwenbäckerei. 2014 erwischte es die Stauffenberg Bäckerei aus Nordrhein-Westfalen gleich zweimal, im Januar 2015 ging der Stuttgarter Großbäcker Max Lang insolvent.
Backstationen in Supermärkten
Nun gab es zwischen den betroffenen Unternehmen teilweise geschäftliche und gesellschaftsrechtliche Beziehungen, die die Talfahrt beschleunigten. Dennoch: Gerieten seit Beginn der 90er Jahren vor allem die kleinen Bäckereien unter wirtschaftlichen Druck, so erwischt es nun auch viele Großbäckereien.
„Im Bäckereimarkt gibt es Überkapazitäten“, sagt Lena Bökamp von der „Lebensmittelzeitung“. Die großen Backwaren-Hersteller seien jahrelang mit ihren Abnehmern, das sind vor allem die Lebensmittel-Ketten, gewachsen. Doch zunehmend würden diese wie etwa Lidl und Rewe eigene Brotfabriken betreiben. Das führe zu einem Preisdruck.
Warum der Trend zu ofenfrischen Backwaren entscheidend ist, lesen Sie auf Seite 2.
Noch entscheidender ist für Bökamp jedoch der Trend zu ofenfrischen Backwaren. Immer mehr Supermärkte bieten eigene Backstationen an, in den zugelieferte halbfertige Brötchen und Brote fertiggebacken werden. „Diese sogenannten Bake-off-Produkte boomen seit geraumer Zeit“, so Bökamp. Von dem Trend hat etwa der Tiefkühl-Backwaren-Hersteller Klemme in Eisleben (Mansfeld-Südharz) in den vergangenen Jahren kräftig profitiert. Nicht wenige der alteingesessenen Großbäcker haben die Neuerung aber teilweise verschlafen. Sie setzten zu lange noch auf abgepackte Brotwaren.
Die kleine Gruppe von fünf Großbäckereien, die mehr als 250 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaften, konnte ihren Marktanteil vom Jahr 2000 an von 9,6 auf 15,3 Prozent ausweiten. Sie profitieren von der Massenproduktion. „80 Prozent der Herstellungskosten entfallen bei der Brot- und Brötchen-Herstellung auf die Energie“, sagt Backwaren-Experte Jürgen Brümmer. Durch die Fertigung rund um die Uhr müssten die Bäckereien nicht die Öfen teuer hoch- und runterfahren. Da die Zutaten von den Lieferanten laut Brümmer nahezu identisch sind, wird der Wettbewerb vor allem über den Preis geführt. Geht nun der Absatz in einem Segment zurück, kommt es offenbar schnell zum Preiskampf zwischen den Anbietern.
Mittelständler holen auf
Die mittelständischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz zwischen zehn bis 50 Millionen Euro haben dagegen zuletzt wieder Boden gut gemacht. Sie betreiben meist mehrere Filialen, die gleichzeitig als Café fungieren. „Im Café-Geschäft sind die Gewinnspannen sehr viel höher“, erläutert Lebensmittel-Expertin Bökamp. Davon profitiere am Ende auch das Bäckereigeschäft. Gerade belegte Brötchen und Brote seien bei den Kunden als kleines Frühstück beliebt. Kleine Handwerksbetriebe können nach Einschätzung von Brümmer vor allem mit der Qualität punkten. „Wer die Einheitskost aus dem Tiefkühllager nicht möchte, kann oft nur noch zum kleinen Einzel-Bäcker gehen“, sagt er.
Für einige der Großbäcker bedeutete die Insolvenz das endgültige Aus. Die Löwenbäckerei aus Leipzig mit 300 Jahren Tradition verschwand komplett vom Markt. Ähnliches droht jetzt auch Stauffenberg. Insolvenzverwalter Rolf Weidmann informierte vor drei Tagen die noch verbliebenen 230 Mitarbeiter, dass das Unternehmen abgewickelt wird. Die letzten Investoren seien abgesprungen. Für den Handel ist dies nicht ganz unproblematisch, wird im Werk in Daun doch ein Drittel aller „Berliner“ hergestellt, die auf dem deutschen Markt zu kaufen sind. (mz)