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Lebensmittel-Händler Lebensmittel-Händler: Die Supermarkt-Macht

Von Stefan Sauer 31.03.2015, 16:51
Ein Einkaufswagen mit Lebensmitteln in einem Edeka-Supermarkt.
Ein Einkaufswagen mit Lebensmitteln in einem Edeka-Supermarkt. dpa Lizenz

Berlin - Irgendwann bringt der sprichwörtliche Tropfen das Fass zum Überlaufen. Dann reicht ein kleines Quäntchen, um eine eben noch erträgliche in eine nicht mehr hinnehmbare Situation zu verwandeln. Im deutschen Lebensmittel-Einzelhandel droht nach Ansicht des Bundeskartellamts ein solches Umkippen: Die Edeka-Gruppe will sich einige hundert Filialen des Konkurrenzen Kaiser’s Tengelmann einverleiben.

Dadurch, fürchten die Bonner Wettbewerbshüter, würde Edeka seine ohnehin starke Marktstellung weiter ausbauen. Voraussichtlich an diesem Mittwoch werden die Kartellwächter ihre Entscheidung zur geplanten Übernahme bekannt geben. Die Aussichten auf eine Genehmigung des Deals, an dessen Gelingen nach Aussage der beteiligten Unternehmen tausende Arbeitsplätze hängen, sind eher zweifelhaft.

Anfänge: „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“ hieß der Nukleus, aus dem der heutige Marktführer im deutschen Lebensmitteleinzelhandel entstand. Die Genossenschaft wurde 1898 gegründet, sie kürzte sich E.d.K. ab, woraus später Edeka wurde. Genossenschaftlich organisiert ist das Unternehmen bis heute. Rund 4000 selbständige Kaufleute betreiben die Märkte.

Firmensitz: Hamburg

Umsatz im Lebensmittelhandel 2014: 47,0 Milliarden Euro

Beschäftigte in Deutschland: 329.418

Filialen: 11 684, darunter mehr als 4100 Netto-Märkte

Vorstand: Markus Mosa

Anfänge: Auch Rewe wurde als Genossenschaft gegründet, aber später als die Edeka. 1926 beschlossen 17 Einkaufsgenossenschaften ihre Gründung, 1927 nimmt die Zentrale in Köln ihre Arbeit auf. Der Name leitet sich von „Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften“ ab. Der Discounter Penny wurde 1973 gegründet. Zur Rewe-Gruppe gehören auch die mehr als 300 toom-Baumärkte und und Touristik-Unternehmen wie ITS, Jahn Reisen, Tjaereborg, Dertour und Meyer’s Weltreisen.

Umsatz im Lebensmittelhandel 2014: 27,6 Milliarden Euro

Beschäftigte in Deutschland: 228 124 bei Rewe, 27 000 bei Penny

Filialen: 10.121 von Rewe, 2 169 von Penny

Vorstand: Alain Caparros

Anfänge: Schon 1858 gab es in Heilbronn eine Südfrüchte-Handlung A. Lidl. Josef Schwarz legt 1930 zwei Firmen zusammen und baut eine Großhandlung für Lebensmittel auf. 1973 öffnet der erste Lidl-Discounter. Die Rechte am Namen Lidl soll sich Dieter Schwarz für 1000 D-Mark von einem pensionierten Berufsschullehrer gesichert haben. Einen „Schwarz-Markt“ sollte es nicht geben.

Firmensitz: Neckarsulm

Umsatz im Lebensmittelhandel 2014: 27,7 Milliarden Euro

Beschäftigte in Deutschland: 98.821 bei Lidl, 67.591 bei Kaufland

Filialen: 3200 Lidl und 580 Kaufland

Leitung: Klaus Gehrig, Schwarz Unternehmenstreuhand

Anfänge: Der Bäckergeselle Karl Albrecht sen. nimmt am 10. April 1913 den Handel mit Backwaren auf. 1914 eröffnet seine Frau Anna Albrecht in Essen den ersten Laden. Die Brüder Karl und Theo übernehmen 1945 den Betrieb. Seit 1962 gibt es den Albrecht-Discount Aldi.

Firmensitz: Essen (Aldi Nord)
Mülheim an der Ruhr (Aldi Süd)

Umsatz im Lebensmittelhandel 2014: 22,6 Milliarden Euro

Beschäftigte in Deutschland:
23.021 (Aldi Nord), 36.200 (Aldi Süd)

Filialen: 2450 im Norden und Osten, 1.830 im Süden und Westen

Vorstand: Marc Heußinger (Aldi Nord), Norbert Podschlapp (Aldi Süd)

Anfänge: Der Handelskonzern Real entstand nach 1992 aus dem Zusammenschluss diverser Marktketten – wie Massa, Divi, Basar, Huma, Suma, Meister, später kamen dann unter anderem die Warenhäuser der Allkaufgruppe dazu. Die Einzelhandelskette hat ihren Verwaltungssitz in der rheinhessischen Nibelungenstadt Alzey, denn dort befand sich die Zentrale der 1965 gegründeten Massa-Märkte. Seit 1996 gehört Real zum Metro-Konzern.

Firmensitz: Düsseldorf

Umsatz im Lebensmittelhandel 2014: 10,8 Milliarden Euro

Beschäftigte in Deutschland: 37.193

Filialen: 307

Vorstand: Olaf Koch

Anfänge: Josef Kaiser übernahm 1880 im Alter von 18 Jahren das Kolonialwarengeschäft seiner Eltern in Viersen. Damals wurden grüne Kaffeebohnen auf der Straße von einem einachsigen Karren verkauft. Im Jüdischen Adressbuch für Gross-Berlin von 1931 feiert Kaiser’s in einer Anzeige das 50-jährige Bestehen. Das Unternehmen zählt damals 1 000 Filialen. Anfang der 90er-Jahre übernahm Kaiser’s Filialen der DDR-Handelskette HO.

Firmensitz: Mülheim an der Ruhr

Umsatz im Lebensmittelhandel 2014: 2,0 Milliarden Euro

Beschäftigte in Deutschland: 16.541

Filialen: 451

Vorstand: Karl-Erivan Haub

Erzeuger sind abhängig von den Großen

Zwar ist Kaiser’s Tengelmann mit seinen 451?Filialen im Vergleich zu Edeka ein Zwerg. Die Edeka-Gruppe, zu der auch der Discounter Netto zählt, betreibt fast 12?000 Märkte und verbuchte 2013 gut ein Viertel des Branchenumsatzes. Man unterhält eigene Fleischwerke und Bäckereien, regionale Reisebüros, Elektrofachmärkte und Mineralbrunnen, ein Blumen- und Fruchtkontor, mehrere Weinkellereien sowie eine eigene Bank, einen Verlag und sogar einen Energieversorger. Edeka ist mithin auch ohne Kaiser’s Tengelmann schon mächtig.

Nach Erkenntnissen des Kartellamts verfügt der Konzern über eine mehr als doppelt so hohe Gesamtverkaufsfläche und Filialdichte wie der nächstgrößte Konkurrent Rewe. Es ist aber nicht allein die schiere Größe der Edeka-Gruppe, die die Skepsis der Kartellwächter hervorruft. Hinzu kommt die regional starke Marktstellung von Kaiser’s Tengelmann. Das Unternehmen ist nämlich, obgleich national von übersichtlicher Bedeutung, in vielen Städten an Rhein und Ruhr sowie rund um Berlin und München sehr präsent. Im Falle einer Übernahme würde der Marktanteil von Edeka in den genannten Regionen „im Regelfall um weit über 10?Prozent“ wachsen, wie es in einer vorläufigen Einschätzung des Kartellamts vom 17.?Februar heißt. In vielen Stadtbezirken und einigen ländlichen Räumen blieben dann nur noch zwei „Nahversorger“ übrig: die Edeka- und Netto-Märkte sowie Filialen des zweitgrößten Einzelhändlers Rewe mit dem Discounter Penny.

Dies verweist auf den aus wettbewerbsrechtlicher Sicht ebenfalls problematischen Umstand, dass sich der Lebensmitteleinzelhandel hierzulande in Händen weniger großer Unternehmen befindet, die zusammen über einen Marktanteil von 85 Prozent verfügen: Neben Edeka und Rewe sind dies die Schwarzgruppe mit Lidl und Kaufland sowie Aldi und, mit einigem Abstand, Metro.

Angst vor Qualitätseinbußen

Eine marktbeherrschende Stellung der großen Vier ergibt sich aber nicht allein in Richtung der Verbraucher, denen möglicherweise höhere Preise drohen, sondern mehr noch gegenüber den Herstellern. Edeka, Aldi und Co. können wegen ihrer enormen Abnahmemengen von Erzeugern, der verarbeitenden Industrie und anderen Lieferanten besonders günstige Preise verlangen – und andernfalls mit Abwanderung zur Konkurrenz drohen. Das verbilligt zwar auch das Angebot in den Geschäften, kann laut Kartellamt aber dauerhaft auf Kosten der Qualität gehen.

Dabei ist die Abhängigkeit der Erzeuger von den Handelsketten sehr viel größer als umgekehrt. Denn die großen Ketten bilden mit anderen, teils ausländischen Unternehmen Einkaufskooperationen. Dadurch steigt nicht nur die Nachfragemacht ein weiteres Mal. Von der Zusammenarbeit profitieren laut Kartellamt wiederum die großen Ketten mehr als die kleinen. Denn sie bestimmen maßgeblich das nachgefragte Sortiment und erhalten zudem Einblick in die Zulieferbedingungen ihrer kleinen Partner, die zugleich ja Konkurrenten sind.

Dass die Neigung des Kartellamts, dem Übernahmevorhaben zuzustimmen, ziemlich gering, weiß natürlich auch Edeka. Daher hat der Konzern sein Angebot wettbewerbsrechtlich zu entschärfen versucht und angeboten, nur rund 350 der 451 Kaiser’s Tengelmann Filialen integrieren zu wollen. Die übrigen Läden könnten andere Interessenten übernehmen.

Ähnliches hatte sich 2008 bei der Übernahme des Discounters Plus vollzogen. Damals war Rewe gern eingesprungen, hatte 378 der 2900 Plus-Filialen übernommen. Diesmal wird der Branchenzweite allerdings nicht mitspielen. Rewe-Chef Alain Caparros macht unlängst deutlich, dass sein Unternehmen nicht nochmals den „Ausputzer“ geben werde, um Edeka beim Marktmachtzuwachs behilflich zu sein.

Wollen unter ein Dach: Kaisers’s Tengelmann und Edeka.
Wollen unter ein Dach: Kaisers’s Tengelmann und Edeka.
dpa Lizenz