Ein Besuch Lauchhammer: Besuch bei der einzigen Glockengießerei Ostdeutschlands

Lauchhammer - „In Gottes Namen, wir gießen.“ Glockengießer Andreas Noack spricht’s und sogleich ergießt sich ein Lavastrom in einen Zylinder. Es zischt und raucht. Gut eine Minute dauert der Guss der weißlich glühenden Bronze. Dann ist die Lehmform im Inneren des Zylinders voll. Die Spannung fällt von den vier Gießern ab, die zwei massige Tiegel an Eisenstangen geführt haben.
Unwillkürlich denkt man an die Schulzeit zurück, an Friedrich Schillers Glocken-Gedicht: „Festgemauert in der Erden steht die Form aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden, frisch, Gesellen, seid zur Hand! “ Der Dichter hat das 1799 geschrieben.
Der Glockenguss in Lauchhammer sieht mehr als 200 Jahre später nicht viel anders aus. Die südbrandenburgische „Kunst- und Glockengießerei“ ist der einzige Glocken-Hersteller in Ostdeutschland und gehört zu den letzten sechs Produzenten in Deutschland überhaupt. Lauchhammer gibt zumindest im Osten der Republik den Ton an.
1834 wurde am Standort die erste Glocke gegossen. Die Gießerei sitzt heute noch in dem alten Backsteinbau mit hohen Glasfenstern. Im Inneren sind die Decken schwarz verrußt. Noack sagt, der Spruch zu Beginn besitze eine lang zurückreichende Tradition.
Glockenguss sei auch heute noch absolute Handarbeit. Mit forschen Schritten geht er in eine andere Werkhalle, in der Schablonen geschnitten und Formen modelliert werden. Es sieht fast ein wenig aus wie in einem Künstleratelier.
Ostdeutschlands einzige Glockengießerei in Lauchhammer: Jede Glocke ist ein Unikat
Auf gebrannten Steinen steht eine mannshohe Glocke aus Lehm. „Jede Glocke ist ein Unikat“, sagt der 58-Jährige. Als Erstes werde eine Schablone aus Holz mit der Glockenform geschnitten. Mithilfe dieser werde anschließend eine Lehmglocke gefertigt - sie ist eine Art Modell beziehungsweise Gussform.
Diese wird nach Fertigstellung ins Erdreich vergraben und darauf die Glocke gegossen. „Die Bronze besteht zu 78 Prozent aus Kupfer und zu 22 Prozent aus Zinn“, erklärt Noack. Auf rund 1 140 Grad Celsius wird sie vor dem Guss erhitzt. Der Klang der Glocke ist nach seinen Worten im Wesentlichen von drei Dingen abhängig: von der Größe, der Wandstärke und der Materialzusammensetzung.
Vier bis sechs Wochen arbeitet er zusammen mit einem Kollegen an der Fertigung einer Glocke. Für größere sind es auch schon einmal zehn. Von der ersten Zeichnung bis zur polierten Glocke fertigt Noack alles selbst.
Vor dem Einbau prüfen dann Glockensachverständige das Geläut noch einmal sehr genau. Schließlich sind Glocken am Ende Musikinstrumente. Fehler können laut Noack passieren. „Es kommt aber ausgesprochen selten vor, dass wir eine Glocke wieder einschmelzen müssen.“
Gemeindemitglieder beobachten in Ostdeutschlands einziger Glockengießerei in Lauchhammer, wie ihre Bestellung gegossen wird
Vor Weihnachten wurde für die Erzgebirgsgemeinde Pretzschendorf produziert. Drei Glocken haben die Sachsen insgesamt bestellt, zum Guss sind extra Gemeindemitglieder angereist.
In dicken Jacken und mit Pudelmützen verfolgen sie gebannt den Guss ihrer Glocke. „Seit 2012 sammeln wir dafür“, sagt der Vorsitzende des Kirchenvorstands, Steffen Bellmann.
Er selbst ist Tischler, kennt sich im Handwerk also aus. „Es fasziniert mich, wie genau hier gearbeitet wird.“ Jede Gravur in der Glocke werde mitgegossen. Rund 75 000 Euro werden die Pretschendorfer Glocken kosten, 80 Prozent des Geldes ist durch Spenden vor Ort zusammengekommen.
„Auch wenn Bürger nicht mit der Kirche verbunden sind, möchten sie doch, dass die Kirchglocken schlagen“, sagt Bellmann. Diese Erfahrung hat auch Johannes Remenz, Vertriebschef für den Glockenguss, gemacht: „Der Glockenschlag stiftet Identität. Städte oder Gemeinden bekommen eine Stimme. Wenn Glocken läuten, treffen Menschen aus einem Ort zusammen - und das nicht nur zu Weihnachten.“
Werden neue Glocken in Ostdeutschland bestellt, dann kommen sie fast immer aus Lauchhammer. Die bisher größte entstand für den Halberstädter Dom. Im Jahr 1999 wurde die 8,3 Tonnen schwere „Domina“ gegossen.
In Sachsen-Anhalt erhielten zudem unter anderem die Kirchen in Salzwedel, Hasselfelde und Halle ihr Geläut aus der Gießerei. Doch auch Gemeinden aus Indonesien und Chile orderten bereits Glocken.
Der Manufakturbetrieb, der nach einer Unterbrechung in der DDR, 1993 die Herstellung wieder aufgenommen hatte, wird dennoch nicht mit Aufträgen überschwemmt. In den ersten Jahren nach der Wende wurden pro Jahr im Schnitt 50 bis 60 Glocken produziert, dann waren es nur noch rund 30, 2016 immerhin 39.
„Neue Kirchen werden kaum mehr gebaut, eine ordentliche Glocke hält einige hundert Jahre“, sagt Remenz. Vielen Gemeinden fehle zudem das Geld für notwendige Erneuerungen. Daher sind einige deutsche Glockengießereien in den vergangenen Jahren auch vom Markt verschwunden.
12 Mitarbeiter sind in Ostdeutschlands letzter Glockengießerei in Lauchhamer beschäftigt
Die Kunstgießerei beschäftigt noch zwölf Mitarbeiter - in der DDR waren es mal 70. Diese fertigen auch Plastiken aus Bronze und Eisen, Denkmäler sowie historische Gussbeschläge für Fenster, Türen und Tore. Der jüngste Mitarbeiter in der Produktion ist 25 Jahre, die meisten allerdings deutlich über 50. „Wir haben hier schon Lehrlinge ausgebildet“, sagt Noack. „Die haben aber schon wieder das Weite gesucht.“
Warum das so ist? Noack zuckt mit den Schultern: „Die Arbeit ist natürlich körperlich anstrengend.“ Beim Guss im Sommer heizt sich der alte Backsteinbau wie ein Ofen auf.
Der junge Ziselierer Marcus Kerk sagt, manche Bronzefiguren bearbeite er mehrere Wochen bis sie fertig sind. „Dazu braucht es Genauigkeit und Geduld, die man aufbringen muss“, so Kerk. Eine Stelle bei BMW in Leipzig sei für viele da verlockender.
Ihre Arbeit wollen Kerk und Noack aber nicht eintauschen. „Die Produkte, die wir schaffen, werden uns auf jeden Fall überdauern“, sagt Kerk. Er arbeitete etwa an den großen Bronze-Löwen im Schlosspark von Bad Muskau mit. Noack freut sich, wenn er in Ostdeutschland unterwegs ist, und dann eine Glocke hört, „die einmal durch meine Hände gegangen ist“. (mz)