Landwirtschaft Landwirtschaft: Landwirte aus Sachsen-Anhalt exportieren Rinder bis nach Dubai

Halle (Saale) - Gebe es für Rinder eine Art „Germany Next Top-Model“, dann würde die TV-Show vielleicht in der kleinen Altmark-Stadt Bismark stattfinden: Dort stehen derzeit im Stall der Rinder-Allianz 120 schwarz-weiß gescheckte Kühe, die wohl zu den schönsten in Deutschland gehören.
Die Daten: Jede wiegt mehr als 500 Kilogramm, das Muttertier gibt mehr als 8.000 Liter Milch im Jahr, sie hat ein gesundes Euter, gesunde Füße und wurde nach dem 1. Mai 2014 geboren. „30 Tage stehen die Tiere bei uns in Quarantäne“, sagt Rolf Netzband, Vermarktungschef bei der Rinder-Allianz. Im Oktober sollen sie per Lkw nach Russland exportiert werden und als Zuchttiere dienen.
In der Öffentlichkeit wird viel darüber berichtet, dass Deutschland Schweinefleisch und Babymilch-Pulver bis nach China exportiert. Wenig bekannt ist dagegen, dass die Landwirte aus Sachsen-Anhalt auch in größerem Umfang Zuchtrinder in alle Welt verkaufen. Die wichtigsten Märkte sind Osteuropa und der Mittelmeerraum. Tiere werden aber auch in die Golfstaaten wie Dubai und Kuwait sowie nach Kasachstan geliefert. Nach Angaben von Netzband werden jährlich rund 8.000 Tiere ins Ausland verkauft.
Klima-Anlage für Tiere
Die Rinder-Allianz spielt dabei eine zentrale Rolle. Die 2014 gegründete Organisation ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Rinderzuchtverbände Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Die Verbände führen über jedes Tier, das in den Betrieben steht, genau Buch. Die rund 76.000 Kühe im Land, die im Herdbuch verzeichnet sind, werden von rund 30 bis 40 Bullen des Verbandes besamt. „Durch gezielte Züchtungen und Ernährung ist es seit der Wende gelungen, die Milchleistung je Kuh von 4.500 Liter auf nun über 9.000 Liter pro Jahr zu erhöhen“, erklärt Netzband. Zudem seien die Tiere gesund, da es in der Region keine Seuchen gibt.
Der 59-jährige Landwirt hat eine von der Sonne gebräunte Haut. Man sieht ihm an, dass er häufig im Freien arbeitet. Zusammen mit Händlern besucht Netzband regelmäßig die verschiedenen Rinderzuchtbetriebe, um Rinder zu erwerben. Im Stall schaut er den Tieren unter anderem in die Augen. Ist die Umgebung sauber und trocken, dann ist das ein Zeichen, dass das Rind gesund ist.
Der Viehgroßhändler Youssef Farhat aus dem sächsischen Löbau hat die tragenden Rinder für den kommenden Russland-Export gekauft, in der Vergangenheit aber auch Exporte nach Dubai und Kuwait organisiert. „Die Tiere aus Deutschland sind leistungsstärker und leben auch länger als Züchtungen am Persischen Golf“, sagt Firmenchef Farhat. Er wickelt seit mehr als 20 Jahren Tierexporte ab und zählt zu den größten Händlern in Ostdeutschland.
Werden die Tiere für europäische Abnehmer in der Regel mit dem Lkw transportiert, wird für weite Strecken das Flugzeug genutzt. Der Airport Leipzig/Halle besitzt dafür ein eigenes „Animal Export Center“. Auf einer 1.300 Quadratmeter großen Anlieferzone haben die Tiere Auslauf. In eine Fracht-Boeing 747 passen 165 Rinder, die in mit Stroh ausgelegten Holzkisten zu je fünf Tieren stehen. „Natürlich bedeutet dss Stress für die Tiere. Doch wir versuchen, den zu minimieren“, sagt Farhat. Schließlich habe der Kunde ein großes Interesse daran, dass die Tiere gesund bei ihm ankommen. Doch fühlt sich ein Rind der Rasse Holstein in der Wüste wohl? Kühe mögen eher eine kühle Witterung von zehn Grad Celsius.
Netzband ist daher selbst nach Dubai geflogen, um sich ein Bild zu machen. Sein Urteil: „Den Tieren geht es gut.“ Das Futter werde von den Agrar-Betrieben in den Wüstenstaaten fast komplett zugekauft. Die Ställe verfügten über große Ventilatoren und Wassernebel-Maschinen. Im Sommer würden zudem noch Klimamaschinen zugeschaltet.
„Die Kühe mögen es sogar, sich im Sand das Fell zu reiben“, so Netzband. Gleichwohl machen sich die heißen Temperaturen bemerkbar. Laut Farhat kann sich die Milchleistung um die Hälfte reduzieren. „Frische Milch ist in den Golfstaaten aber auch wesentlich teurer als hierzulande“, so der Händler. Die Betriebsgrößen seien sehr unterschiedlich. Sie reichten von 200 bis zu 15.000 Kühen. Nach MZ-Informationen kostet ein Tier mehr als 1.200 Euro, folglich wird sehr auf die Gesundheit geachtet.
Umstrittene Türkei-Lieferungen
Tierschützer sehen die Exporte dennoch kritisch - vor allem lange Lkw-Transporte. Einer der größten Absatzmärkte, auch für Rinderzüchter aus Sachsen-Anhalt, ist die Türkei geworden. Laut Tierschutz-Verordnung muss während der Lkw-Fahrt nach 14 Stunden der erste Stopp eingelegt werden. Die Tiere müssen dann eine Stunde lang getränkt und gefüttert werden. Der zweite Stopp findet nach weiteren 14 Stunden statt. Dann müssen die 30 Tiere auf jedem Anhänger entladen und 24 Stunden Ruhe und Auslauf erhalten. „Gerade bei Exporten in die Türkei stauen sich aber die Transporte am Grenzübergang von Bulgarien“, sagt Iris Baumgärtner von „Animal Welfare Foundation“. Nach Angaben der Tierschutzorganisation kommt es häufig vor, dass die Tiere mehrere Tage im Anhänger stehen. 70 Prozent der Tiertransporte in die Türkei verliefen nicht ordnungsgemäß.
Im September schaltete sich auch die Bundestierärzte-Kammer ein. In einem Schreiben an die Bundesregierung heißt es: „Sollte ein Drittland nicht in der Lage sein, eine tierschutzkonforme Abfertigung und Versorgung der Tiere an der Grenze zu gewährleisten, sind weitere Lieferungen von lebenden Tieren in oder durch dieses Drittland zu unterbinden.“ Dieser Satz kommt einer Aufforderung zum Lieferstopp nahe.
Auch Russland-Transporte sieht die Tierschützerin Baumgärtner problematisch: „In Russland gibt es gar keine Plätze, wo die Tiere während des Transportes ordnungsgemäß entladen werden können.“ Netzband von der Rinder-Allianz sieht das anders: Bevor die Fahrten stattfinden, muss ein detaillierter Transportplan mit allen Stopps beim hiesigen Veterinäramt eingereicht werden. Die Amtstierärzte könnten die Einhaltung der Fahrtpausen über ein GPS-System überwachen. Verfehlungen von Rinder-Transporten aus Sachsen-Anhalt haben die Tierschützer bisher auch nicht dokumentiert.
Netzband und Farhat gehen davon aus, dass die Rinderexporte weiter zunehmen werden. „In vielen Ländern Osteuropas und im Mittleren Osten steigt der Lebensstandard und damit gleichzeitig der Milchkonsum“, so Netzband. „Der Bedarf an guten Zuchtrindern erhöht sich, die aus Sachsen-Anhalt sind dabei erste Wahl.“ (mz)