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Kult-Tretautos von Kettler Kult-Tretautos von Kettler: Kettcar-Hersteller meldet Insolvenz an

Von Stephan Kaufmann 04.06.2015, 12:58
Der Kettcar-Hersteller Kettler hat Insolvenz angemeldet.
Der Kettcar-Hersteller Kettler hat Insolvenz angemeldet. dpa Lizenz

Kettcar – bei diesem Wort kriegen viele Männer glänzende Augen. Die einen, weil sie als Kind eines der begehrten Tretautos hatten, die anderen, weil sie es sich zumindest mal ausleihen durften. Für die stolzen Besitzer war es das erste Auto ihres Lebens, ohne Ablagefläche, ohne Scheibenwischer, ohne Getränkehalter, ohne Motor, angetrieben nur durch Muskelkraft, ausgestattet mit einer Handbremse, die spektakuläre Manöver ermöglichte. „Ein Stück Freiheit auf Vollgummireifen“, nannte der Rennfahrer Michael Schumacher das Kettcar – andere sagen: den Kettcar. 1962 kam das Gefährt erstmals auf den Markt. Nun ist der Hersteller Kettler insolvent.

Das Statussymbol der Kindheit

Vor der Erfindung von Smartphones und Tablets war das Kettcar das Statussymbol der Kindheit. Die Marke wurde zum Gattungsnamen für Tretautos schlechthin, so wie „Tempo“ für Taschentücher steht. In den letzten 53 Jahren wurde es weltweit 15 Millionen Mal verkauft, eine Sehnsuchtsmaschine zumeist für Jungs, mit der man nicht nur fahren, sondern auch prima angeben kann – so lange, bis man merkt, dass Fahrradfahren schneller ist, erwachsener und damit cooler.

Der Name Kettcar verbindet den Nachnahmen des Erfinders Heinz Kettler mit dem englischen Wort für „Auto“. Seit den frühen Modellen mit klingenden Namen wie „Monza“, „Kulti“, „Avus“ oder „Monte Carlo“ hat sich das Tretauto wenig verändert: Vier Räder, zwei Pedale, ein Sitz, eine Handbremse. Allerdings sind die Reifen heute mit Luft gefüllt, es gibt Kettcars mit Drei-Gang-Schaltung und die Kette hat einen Freilauf – zuvor drehten sich die Pedale automatisch mit, wenn man nicht mehr trat. Verletzungsträchtig! Ein Modell mit Elektro-Antrieb, das 1989 entwickelt wurde, setzte sich allerdings nicht durch. Kettcars wollen getreten werden.

Umfassendes Sortiment

Heinz Kettler gründete sein Unternehmen 1949 im sauerländischen Ense und verkaufte anschließend nicht nur Tretautos. 1977 brachte Kettler das erste Aluminium-Fahrrad auf den Markt, auch die erste wetterfeste Tischtennisplatte soll aus dem Hause stammen. Heute gehören Gartenmöbel, Fitnessgeräte und E-Bikes zum Sortiment. Kettcars waren noch in den 90ern besonders beliebt, damals wurden pro Jahr 500.000 Stück abgesetzt.

Doch mit der Krankheit des Firmengründers ab 2004 kamen die Probleme. Dass Kettler in Deutschland und nicht in Asien produzierte, bescherte dem Unternehmen Kostennachteile. Auch das große Sortiment soll die Bilanzen belastet haben, heißt es. 2005 übernahm die Tochter Karin Kettler das Kommando, mitten in der Weltwirtschaftskrise 2009 zog man ein Restrukturierungsprogramm durch und entließ hunderte von Mitarbeitern. Doch das brachte nicht die Wende. Auf der Suche nach Geldgebern wandte sich Kettler an Beteiligungsfirmen, allerdings ohne Ergebnis.

Noch nicht das Ende

Nun hat das Unternehmen Insolvenz beantragt. Das bedeutet jedoch nicht das Ende von Kettler und Kettcar, sondern ist eher eine Schutzmaßnahme. Denn es handelt sich um eine so genannte Insolvenz in Eigenverwaltung. Die Geschäftsleitung bleibt dabei im Amt, bekommt allerdings einen Aufseher zur Seite gestellt, einen so genannten Sachwalter.

Gemeinsam bilden sie den Restrukturierungsvorstand, der einen Sanierungsplan entwirft, den das Amtsgericht genehmigen muss. Gleichzeitig ist Kettler durch die Insolvenz vor dem Zugriff seiner Gläubiger geschützt. Hierbei könnte es sich um den Finanzinvestor Carlyle handeln: Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert Finanzkreise, nach denen Carlyle einen Teil der Schulden von Kettler aufgekauft hat. Diesen Hebel könnte der Investor einsetzen, um das Kettler zu übernehmen.

Kind und Kettcar in den 1960er Jahren: Für viele gehörten die Fahrzeuge zur Kindheit wie der klassische Anorak im Bild.
Kind und Kettcar in den 1960er Jahren: Für viele gehörten die Fahrzeuge zur Kindheit wie der klassische Anorak im Bild.
dpa Lizenz
Nostalgie pur: Kettcars der Firma Kettler aus den 1960er Jahren
Nostalgie pur: Kettcars der Firma Kettler aus den 1960er Jahren
dpa Lizenz