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Kommentar zum Autokartell-Skandal Kommentar zum Autokartell-Skandal: Angst um wirtschaftliche Schäden lähmt die Politik

Von Daniela Vates 28.07.2017, 17:05
Die Politik ist gelähmt von der panischen Angst um Arbeitsplätze in der deutschen Vorzeigebranche.
Die Politik ist gelähmt von der panischen Angst um Arbeitsplätze in der deutschen Vorzeigebranche. Kraus Ghendler Ruvinskij

Tscheyenne, sagte der Minister, wieder und wieder. Tscheyenne, Tscheyenne. Es klang, als wäre er gerade vom Lesen eines Karl-May-Romans aufgeschreckt und vielleicht war das wirklich so. Tagelang war Alexander Dobrindt schließlich abgetaucht, nachdem sich der Diesel-Skandal zum Kartell-Skandal weitete.

Warum diese Skandale auch immer zur Ferienzeit auftauchen? Zum Ende der Woche fiel Dobrindt doch wieder ein, als Verkehrsminister zuständig sein zu können für die Autoindustrie. Vielleicht hatte er sich auch daran erinnert, noch Minister zu sein und nicht schon CSU-Landesgruppenchef, weil die Bundestagswahl ja nur gelaufen scheint aber eben noch nicht gelaufen ist. Möglicherweise ist auch jemandem aufgefallen, dass Skandale sicher geglaubte Wahlausgänge durchaus verändern können.

Dobrinft gibt sich entschlossen und schlagkräftig

Jedenfalls stellte sich Dobrindt zum Ende der Woche kurzfristig in seinem Ministerium auf und verkündete lauter Ausrufezeichen. Rückruf. Zulassungsstopp. Amtlich. Verpflichtend. Da war er, der entschlossene Kämpfer gegen Lügner und Betrüger in den Autokonzernen. So zumindest war die PR-Strategie, vorbereitet durch frühe Information der Bild-Zeitung.  Und auch wenn es um eher schlecht verkäufliche Luxus-Geländewagen ging: Der Minister hatte seine Schlagzeilen, zum Porsche Cayenne. So weit, so taktisch raffiniert.

Aber das Bild des Jammers wird dadurch schlecht kaschiert. Es ist ein Bild, in dem noch ein paar mehr herumstehen, Regierungs- wie Oppositionsvertreter. Wie der Verkehrsminister ist auch Sigmar Gabriel abgetaucht, der den größten Teil der Wahlperiode nicht Außen-, sondern Wirtschaftsminister war. Seine Nachfolgerin Brigitte Zypries verlangt allen Ernstes, Dobrindt möge doch bitte endlich durchgreifen – statt sich auf die eigene Verantwortung für Kartellabsprachen zu konzentrieren.

Kanzlerkandidat Martin Schulz sucht zwar ein Wahlkampf- oder überhaupt ein Thema, stößt dabei aber erstmal nicht auf die Auto-Betrüger, sondern auf die Flüchtlinge – und das obwohl, oder weil seine Partei einen Regierungschef stellte, dem der Titel „Autokanzler“ gefiel. Selbst die Grünen, die nicht mehr den Atomausstieg fordern können und nicht mehr die Ehe für alle, lassen ihre Chance verstreichen und eiern herum zwischen Verbrennungsmotorverbot und öffentlichem Leiden am Fahrverbot für die Feinstaub-Hauptstadt Stuttgart. Das Regieren im Mercedes-Land Baden-Württemberg hinterlässt seine Spuren, so wie das im VW-Land Niedersachsen und im BMW-Bayern.

Regierung verpasst erneut die Möglichkeit zum sanften industriellen Strukturwandel

Nach dem Niedergang von Kohle und Stahl, nach dem Scheitern der nur vordergründig sauberen, weil auf Jahrhunderte riskant bleibenden Kernenergie, verpasst die Republik erneut, den Strukturwandel einer zentralen Industriebranche frühzeitig und damit möglichst sanft einzuleiten. Die Unternehmen haben sich eingerichtet in ihren Gewinnen und ihrer Behäbigkeit.

Bei der Mobilität wird vieles mit dem Weg von der Kutsche zum Automobil verglichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das erkannt und beklagt. Mehrfach hat sie ihre Skepsis über die Entwicklung der Autobranche zur Kenntnis geben. Sie hat an den letzten deutschen Kaiser Wilhelm II.  erinnert, der auf Pferde setzte und das Auto als „vorübergehende Erscheinung“ bezeichnete. Sie hat gesagt, es sei nicht klar, ob die Autokonzerne lern- und entwicklungsfähiger sind als die Kutschenbauer des 19. Jahrhunderts, von denen ja kaum einer überlebt habe.

Gerade angesichts solcher Zweifel liegt ein Strategiewechsel auf der Hand. Aber Merkels Autogipfel vom vergangenen Jahr brachte der Industrie Milliardensubventionen für die Entwicklung von Elektromotoren – und keine Aufklärung bei der Abgaswert-Manipulation. Beim nächsten Gipfel am kommenden Mittwoch ist die Kanzlerin nicht einmal mehr dabei. Ein Skandal als Chefsache? Kurz vor der Wahl lieber nicht.

Angst um millionen Arbeitsplätze lähmt die Handlungsfähigkeit der Politik

Die Politik ist gelähmt von der panischen Angst um Arbeitsplätze in der deutschen Vorzeigebranche. Schließlich sind eine Million Jobs, jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland direkt oder über die Zulieferbetreibe verbunden mit VW, BMW und Konsorten. Also wird abgepolstert, werden Grenzwerte hochgesetzt, Rekordgehälter toleriert bis die Kofinanzierung des privaten Koi-Karpfen-Teichs auffliegt. Parteienvertreter sichern mit einem Sitz im VW-Aufsichtsrat vermeintliche Mitspracherechte, lassen sich faktisch aber die Unabhängigkeit abkaufen. Und trotz dicken Sündenkontos wird mit Verpflichtungen gespart. Dabei ist es ja gerade andersherum: Das Hätscheln trägt dazu bei, dass die Branche meint, sich nicht weiterentwickeln zu müssen. Es sichert nicht, es gefährdet Arbeitsplätze.

„Wer betrügt, der fliegt“, hat die CSU mal gefordert, sie war reichlich stolz auf diesen Einfall. Es ging um den möglichen Sozialbetrug von Bulgaren und Rumänen. Nun betrügen milliardenschwere Autokonzerne und zwar nicht nur möglicherweise. Ihren Spruch hat die CSU noch nicht wiederholt. Wäre etwas für den nächsten Auftritt von Dobrindt. Er wäre dann um ein vielfaches glaubwürdiger.