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Interview mit dem Hersteller der Carrera-Bahn Interview mit dem Hersteller der Carrera-Bahn: "Aufgeregte Männer vor Carrera-Regalen"

Von Frank-Thomas Wenzel 19.12.2014, 14:13
Verbindet nach eigener Aussage das Kind im Manne mit dem harten Geschäft: Carrera-Bahn-Hersteller Andreas Stadlbauer
Verbindet nach eigener Aussage das Kind im Manne mit dem harten Geschäft: Carrera-Bahn-Hersteller Andreas Stadlbauer Carrera Lizenz

Berlin - Hier werden Kinderträume wahr, hier ist die Heimat der Carrera-Bahn. In Puch bei Salzburg hat die Firma Stadlbauer ihren Showroom eingerichtet, präsentiert die komplette Modellpalette. Auch mehrere Rundkurse sind hier aufgebaut – mit neuester Digitaltechnik, die Spurwechsel und Tankstopps erlaubt. Bei einer Probefahrt wird klar, dass Geschäftsführer Andreas Stadlbauer deutlich schneller als der Interviewer ist.

Herr Stadlbauer, Weihnachten und Carrera-Rennbahn gehörten früher für viele Jungs zusammen. Ist das immer noch so?

In den drei bis vier Wochen vor Weihnachten macht die Spielwarenbranche bis 60 Prozent ihres Jahresumsatzes. Wir haben vor Weihnachten sehr, sehr viele Anfragen.

Wie meinen Sie das?

Sie glauben gar nicht, wie viele Ehefrauen vor Weihnachten bei uns anrufen. Die Kinder sind aus dem Haus. Der Mann hat sich einen Hobbyraum eingerichtet und will jetzt eine Carrera-Rennbahn haben. Sie will wissen, was Sie ihm schenken soll. Vor Weihnachten sieht man auch in Spielwarenläden aufgeregte Männer vor Carrera-Regalen. Ich spreche die dann schon mal an.

Was sagen Sie dann?

„Kann ich Ihnen helfen?“ „Ich suche eine Carrera-Rennbahn für meinen Sohn.“ „Wie alt ist denn der Sohn?“ „So knapp drei Jahre alt.“ Dann wird schon mal die Kinderbahn Carrera Go gekauft, und der Vater belohnt sich dann mit einer größeren. Ist ja auch sinnvoll.

Weil es Ihnen doppelten Umsatz bringt?

Nein, der Grund ist, dass Fahrzeuge im Maßstab 1:32 größer und detailgenauer sind. Bei kleineren Kindern fliegt schon einmal ein Auto von der Strecke. Das würde dem Papa wehtun.

Noch mal zurück zu Weihnachten. In den 60er und den frühen 70er Jahren wurde in Westdeutschland jedes Jahr zum Fest technisches Spielzeug aufgebaut – als eine Art Symbol fürs Wirtschaftswunder. Entweder Modelleisenbahn oder Autorennbahn...

Das hat sich grundlegend geändert – zugunsten der Autorennbahn. Jedes Jahr werden in Deutschland 330.000 Jungen geboren. Das ist genau die Zahl an Packungen, die wir jedes Jahr in Deutschland verkaufen. Rechnerisch ist in jedem Haushalt mit einem Jungen auch eine Carrera-Rennbahn. Die wird weitergegeben. Der Sohn übernimmt die Streckenteile vom Vater oder vom Onkel.

Die Bahn durfte früher nur in den Weihnachtsferien aufgebaut werden, bekam dafür sogar Platz im Wohnzimmer. Ein großes Privileg, oder?

Ich habe meine erste Bahn auch zu Weihnachten bekommen; in Form einer Acht. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich meine ersten Rennen quasi unter dem Weihnachtsbaum gefahren bin. Da hat sich in vielen Familien fast nichts geändert. Aber interessant ist: Erwachsene, die nicht genug Platz, jedoch größere Rennbahnen haben, mieten auch schon einmal Lagerschuppen oder Garagen. Oder Dachböden werden ausgeräumt, um die Rennbahn aufzubauen.

Haben Sie Angst vor Computerspielen? Im Cyberspace kann man doch viel spektakulärere Rennen als mit der Carrera-Bahn fahren.

Die ganze Spielwarenindustrie lebt von der Sehnsucht nach dem Haptischen. Ein Rennauto auf der Rennbahn fährt wirklich, macht ein besonderes Geräusch.

Früher wurde gesagt, wenn die Videospiele mehr werden, geht es mit den konventionellen Spielwaren zurück.

Das ist schon lange nicht mehr der Fall. Schauen Sie sich Lego oder Playmobil an. Die sind auch sehr erfolgreich. Und für beide Systeme brauchen Sie zum Zusammenbauen auch Geduld. Deshalb teile ich nicht den Kulturpessimismus, der in Kindern nur noch Cyber-Kids sieht. Aber der Rückgang des Spielalters der Kinder macht mir ein wenig Kopfzerbrechen.

Welche Sorgen sind das?

Ich habe als Zwölfjähriger noch viel mit Spielzeug gespielt. Das hört heute viel früher auf. Da drücken andere Produkte rein: Handys und Tablets.

Haben Sie deshalb als Zugeständnis eine Smartphone-App für Carrera entwickelt?

Wir haben ein System entwickelt, das sinnvoll Rennbahn und App verbindet. Sie können Rundenzeiten mit Freunden teilen, können sich während des Rennens Zusatzinfos wie Rundenzeiten einspielen.

Sie wollen noch näher an die richtige Rennerei heran?

Wir suchen ganz bewusst die Nähe zum Rennsport, zumal viele echte Rennfahrer den ersten Zugang zum Sport über die Carrera-Rennbahnen hatten. Gerade jetzt vor Weihnachten haben wir regelmäßig Rennfahrer hier zu Gast, die schauen, ob es etwas Neues gibt.

Carrera war nicht immer so erfolgreich. In den 1990er Jahren sah es zeitweise so aus, als würde die Marke sterben. Woran lag’s?

Das war noch vor unserer Zeit. Vor unserer Übernahme fehlte es an Geld für Innovationen und Produkt-Design. Wir haben hier im Showroom eine Vitrine mit Fahrzeugen von früher – verbunden mit dem Hinweis an unsere Produktentwickler, dass die Autos so nicht mehr aussehen sollten. Damals war aber die Marke noch stark.

Was haben Sie und Ihr Vater nach der Übernahme geändert?

Wir haben sofort in Qualität und Innovation investiert. Es war ein Riesen-Investment nötig. Es gab Mitarbeiter mit viel Erfahrung, denen es aber an den Mitteln zum Umsetzen fehlte. Wir entwickelten eine neue Strategie und Positionierung und setzten diese tatkräftig um.

Sollen heute die Autos so authentisch wie nur irgend möglich sein?

Das stimmt. Das ist eine Riesenaufgabe für unsere Designabteilung. Wenn Sie heute ein Formel-1-Auto originalgetreu auf den Maßstab 1:32 verkleinern wollen, dann ist die Halterung für einen Rückspiegel nur noch ein hauchdünnes Zahnstocherchen. Und die Formel-1-Autos haben sich im hinteren Bereich stark verengt, das muss dann im Designprozess optimiert werden.

Müssen Sie dann das Design mit dem Hersteller des Originals abstimmen?

Das müssen wir sowieso, und zwar bei jedem Auto. Schließlich hat ja Audi, Porsche oder Mercedes das ursprüngliche Design entwickelt. Zugleich bekommen wir von diesen Unternehmen viel Unterstützung beim Prozess der Verkleinerung.

Schließlich machen Sie auch Werbung für Audi und Co.!

Das haben die Autobauer auch so verstanden. Wenn die Autos schön sind, dann prägt sich bei den Kindern schon etwas ein. Ich bin auch immer noch Fan der Autos meiner Kindheit. So können wir in der Autobranche mitspielen. Aber nicht nur unsere Autos, sondern auch unsere Marketingbudgets bewegen sich im Maßstab 1:32.

Wie entwickelt sich der Umsatz?

Dieses Jahr ist das zweitbeste nach 2011, als wir mit den Modellen aus dem Animationsfilm „Cars“ einen großen Erfolg hatten. Sehr erstaunlich waren in diesem Jahr die Tourenwagen, also DTM-Autos, und die Grand-Tourismo-Sportwagen. Die Formel 1 hat heuer nicht das Top-Ergebnis gebracht, das ist ein präzises Abbild der Formel 1, die sich neu definieren muss – kleinere Teams sind pleite, Mercedes fuhr allen davon. Wir spüren sofort, wie attraktiv gerade eine Rennserie ist. Historische Autos sind auch erfolgreich.

Herren mit grauen Schläfen schlagen zu?

Ja, die Zielgruppe Männer. Da wird schon einmal ein Alfa Romeo oder ein Porsche Baujahr 1963 gekauft

Ihr neuestes Modell ist ein Martini-Porsche 918 Spyder.

Wir machen auch Modelle, die betriebswirtschaftlich nicht der große Knaller sind. Zum Beispiel der Ferrari 250 GTO Breadvan. Das Auto fuhr in den 1960er Jahren beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Das ist ein Kombi, der im Kofferraum ein Reserverad hatte. Der Laie denkt nur: Wie hässlich. Dem Autofreak aber sagt das sehr viel. Der schätzt es, wenn wir solche Autos bringen.

Und Ihr Carrera-Lieblingsauto?

Der rot-weiße Porsche 917, Salzburg-Edition, dessen Original in den frühen 70er Jahren in Le Mans dabei war. Ich habe da einiges mitbekommen, weil Porsche-Salzburg seinen Sitz hier um die Ecke hatte und dort auch Rennwagen gebaut wurden. In der Nähe bin ich aufgewachsen. Das Röhren der Motoren bleibt in den Ohren.

Es gibt also eine Carrera-Generation? Männer der Jahrgänge 1960 bis 1970.

Ja, bestimmt. Die Generation 40 plus ist wichtig. Das sind häufig Männer, die Geld und Platz für eine große Rennbahn haben. Die wollen in ihrer Freizeit etwas mit ihren Kumpels erleben. Da ist Carrera für viele ein fixer Bestandteil.

Der erfolgreiche Mann will zurück in die Kindheit?

Der Schriftzug allein schon hat eine große Kraft, bewirkt eine Art Kopfkino bei vielen.

Sind die Autos und die Bahnen technologisch ausgereift? Immer wieder werden Versuche mit Autos gemacht, die nicht mehr in Fahrschlitzen gehalten werden, sondern frei fahren.

Wir haben schon alles Mögliche durchgetestet. Wir prüfen praktisch permanent das spurfreie Fahren, kommen aber immer wieder zu dem Ergebnis, dass die hohen Kurvengeschwindigkeiten ohne Slot nicht möglich sind, dafür sind die Fliehkräfte zu hoch.

Bodenhaftung ist ohnehin ein zentrales Thema für Carrera-Piloten.

Das stimmt. Ein berühmter Sportwagenbauer entwickelt Fahrzeug-Chassis für uns, damit der mechanische Grip stimmt – wie es der Motorsportler formulieren würde.

Da wird es richtig ernst. Wo geht es technologisch sonst noch hin?

Die Geschwindigkeit der Autos reicht aus. Es geht um den Spielspaß, etwa wenn das Auto um die Kurve driftet. Beim Thema Entertainment wird sich was tun. Wir versuchen wie gesagt noch mehr Rennstrecken-Atmosphäre zu erzeugen. Auch ein neuer Streckenplaner wird entwickelt.

Der Streckenbau hat schon manchen Fan in die Verzweiflung getrieben.

Ganz wichtig. Wir entwickeln da gerade eine neue Software. Ziel ist ein kostenloser Streckenplaner, der soll in die App integriert werden.

Und was wünscht sich das Kind im Carrera-Chef an Novitäten?

Ein Wunsch wird mir im nächsten Jahr erfüllt: Die italienische Sportwagenmarke Lamborghini kommt hinzu. Aber wir können nicht unbegrenzt nur unsere Wünsche und Träume erfüllen. Wir haben in Deutschland einen Marktanteil von 96 Prozent. Drum ist es wichtig zu horchen, was der Konsument in Deutschland möchte. Zugleich sind wir international aktiv.

Aufwand und Liebe zum Detail sind enorm. Kann man damit Geld verdienen?

Wir sind ein gesundes und sehr stabiles Familienunternehmen mit sehr guter Eigenkapital-Quote.

Jetzt haben Sie auch noch die Puppenmarke Schildkröt gekauft.

Wir suchen Marken, die in ihrer Nische an der Spitze stehen. Das ist bei Carrera so und soll bei Schildkröt so werden. Die Spielwarenbranche ist vom reinen Geschäft her beinhart. Bei mir kommt aber das Kind im Manne hinzu. Das macht den Spaß am Unternehmen aus.