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Hintergrund zum Abgang des VW-Chefs Hintergrund zum Abgang des VW-Chefs: Der Rücktritt von Martin Winterkorn und die Folgen

Von Frank-Thomas Wenzel 23.09.2015, 16:49
Martin Winterkorn ist nicht länger VW-Chef
Martin Winterkorn ist nicht länger VW-Chef REUTERS Lizenz

Wolfsburg - „Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen Konzern möglich waren.“ Mit diesen Worten verabschiedet sich Martin Winterkorn.

Der VW-Chef tritt zurück. „Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin“, fügte er hinzu. Mutmaßlich kam der Abgang nicht ganz freiwillig. Aber im Zuge des Abgasskandals war der Druck auf ihn und die Aufsichtsräte zu groß geworden. Doch wie es in solchen Fällen üblich ist wird die Form gewahrt.

Mit großem Respekt habe man das Angebot zur Kenntnis genommen, um die Aufhebung des Vertrages zu bitten, teilte das Präsidium des Kontrollgremiums nach einer Sondersitzung am Mittwoch mit. Wer Nachfolger wird ist offen. Bis Freitag sollen „Vorschläge“ vorliegen.

Rücktrittsforderungen hatte es bereits in den vergangenen Tagen massenweise gegeben. Umweltschützer, und Automobilwissenschaftler, Funktionäre von Verkehrsclubs, Grünen-Politiker und einige mehr haben verlangt, dass Winterkorn gefeuert wird. Der Tenor: Volkswagen braucht einen personellen Neuanfang. Und dabei ging es eben doch immer wieder darum, wie viel Winterkorn von manipulierten Abgaswerten wusste. Der kritische Punkt sei, dass dem Top-Manager die Tricksereien bekannt seien, berichtet die Finanznachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf informierte Kreise.

Aktie geht in den Keller

Seit Jahren operiert VW bei Dieselfahrzeugen mit einer Bordcomputer-Software, die bei offiziellen Abgastests den Ausstoß von Stickoxiden bremst. Im Normalbetrieb liegen die Emissionen aber um ein Vielfaches höher. Bis zu elf Millionen Fahrzeuge sind davon weltweit betroffen. Winterkorn hatte schon vor seinem Rücktritt eingeräumt, dass in den USA die Schummeleien bis ins Jahr 2009 zurückreichen.

Die Abgas-Affäre hat dazu geführt, dass die VW-Aktie seit Anfang der Woche fast 40 Prozent ihres Werts verlor. Nahezu 30 Milliarden Euro an Buchwerten wurden vernichtet. Allein diese Zahlen waren Einschätzung von Analysten Grund genug für einen Abgang.

Winterkorn hatte am Dienstag noch versucht, seinen Willen zur Aufklärung der Affäre glaubhaft zu machen. In einer Videobotschaft entschuldigte er sich bei Kunden, Politikern und Behörden für die Manipulationen und versprach künftig die Dinge mit der „nötigen Transparenz und Offenheit“ anzugehen. Da war von einem Rücktritt noch keine Rede.

Auf der nächsten Seite: Mögliche Nachfolger

Wer wird Nachfolger?

Indes kursieren bereits Namen für mögliche Nachfolger. Zuerst wurde Matthias Müller genannt. Er ist ein klassisches Eigengewächs des VW-Konzerns: Werkzeugmacherlehre bei der VW-Marke Audi, Informatikstudium und Rückkehr zu Audi. Danach war er viele Jahre ein Vertrauter des damaligen Audi-Chefs Martin Winterkorn.

Seit 2010 steht er an der Spitze der Sportwagentochter Porsche. Genau diese Vergangenheit könnte aber auch zum Problem für Müller werden. Mit ihm an der Spitze des Konzerns ließe sich die Story vom Neuanfang nur schwer verkaufen. Deshalb wird Herbert Diess unter Experten als einer der Favoriten für den Vorstandsvorsitz gehandelt.

Er hat sich über Jahre viele Meriten bei BMW verdient. Vor allem ist es ihm gelungen, die Effizienz in der Fertigung zu steigern. Wegen dieses Knowhows wurde er von VW abgeworben. Er ist erst seit dem Sommer bei den Wolfsburgern als Chef der Marke VW aktiv, ist also völlig unbelastet von Vergangenem und deshalb für die Rolle des Aufräumers bei VW prädestiniert.

Mit dem Rücktritt des 68-Jährigen Winterkorn geht eine Ära bei Volkswagen zu Ende. Er kam 1993 zu Volkswagen, war im Auftrag des damaligen Konzernchefs Ferdinand Piech zunächst für die Qualitätssicherung zuständig. Piech und Winterkorn führten den Konzern aus einer tiefen Krise. Der Konzern expandierte. Als Piech 2007 in den Aufsichtsrat wechselte übernahm Winterkorn übernahm den Posten des Vorstandschefs. Heute hat das Unternehmen zwölf Marken. Erst vor wenigen Wochen löste Volkswagen Toyota als größten Autobauer der Welt ab.

Abgas-Affäre zieht immer weiter Kreise

Derweil zieht die Abgasaffäre immer weitere Kreise. Inzwischen prüft auch die Staatsanwaltschaft in Braunschweig, ob sie ein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche von Volkswagen einleiten soll. Dies geschehe inzwischen auch aufgrund von mehreren Strafanzeigen von Bürgern, teilte die Ermittlungsbehörde mit.

Das US-Justizministerium hat Insidern zufolge strafrechtliche Ermittlungen bereits aufgenommen. Auch die Generalstaatsanwaltschaft des US-Bundesstaates New York recherchiert. „Keinem Unternehmen sollte es erlaubt werden, unsere Umweltgesetze zu umgehen oder Verbraucher zu täuschen“, erklärte Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman. Er strebt an, „in dieser Angelegenheit mit Generalstaatsanwälten im ganzen Land zusammenzuarbeiten“. Allein in den USA drohen Volkswagen, Bußgelder und Schadenersatzklagen in Höhe mehrerer Milliarden Dollar.

Selbst Haftstrafen für verantwortliche Manager sind nicht mehr auszuschließen. Hohe Kosten für Rückrufe und Umrüstungen dürften für weitere finanzielle Belastungen des Konzern sorgen. VW hat deshalb schon einmal vorsorglich 6,5 Milliarden Euro zur Seite gelegt.
Nach Einschätzung von Analyst Tim Rokossa von der Deutschen Bank dürfte diese Summer aber nicht ausreichen.

„Die Geschichte der Fahrzeug-Rückrufe lehrt uns, dass die erste Beichte selten die letzte ist“, schreibt Rokossa in einem Kommentar. Sein Kollege Adam Hull von der Berenberg Bank warnt zusätzlich vor den langfristigen Folgen, wie einem geringeren Absatz. Außerdem müssten die Motoren voraussichtlich aufwendiger konstruiert werden, damit sie die Abgas-Grenzwerte auch im normalen Betrieb einhalten.

Nach Ansicht von Kristina Church von der Barclays Bank müssen aber auch die VW-Konkurrenten mit zusätzlichen Belastungen rechnen. Die geplante Verschärfung der Emissions- und Test-Richtlinien könnte schneller umgesetzt werden als bislang geplant.