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"Handwerk blutet aus" "Handwerk blutet aus": Kritik an der schulischen Bildung von Jugendlichen

Von Steffen Höhne 22.03.2018, 10:00
Jens Aschenbach arbeitet an einer Werkbank in seinem Betrieb in Halle.
Jens Aschenbach arbeitet an einer Werkbank in seinem Betrieb in Halle. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Aus seiner Schreibtisch-Schublade zieht Jens Aschenbach eine Skizze hervor: „So soll der neue Tresen im Händel-Haus in Halle aussehen“, sagt der Firmenchef. Fein säuberlich sind Bar und Rückwand eingezeichnet. Für die kleine Tischlerei Oertel im Ostteil Halles ist die Fertigung ein Großauftrag.

Aktuell wird in der Werkstatt noch ein Tresen für ein Autohaus gebaut. „Über fehlende Aufträge kann ich mich nicht beklagen“, sagt Aschenbach. Eine Aussage, die ihn mit vielen anderen Handwerkern derzeit verbindet.

Viele Handwerker in Sachsen-Anhalt suchen Nachfolger

Erst zu Jahresbeginn hat Aschenbach die traditionsreiche Tischlerei Oertel übernommen. „Selbst etwas Schaffen, dass auch Bestand hat“, nennt er seine Motivation. Vor allem Möbel fertigt die Firma mit zwei Angestellten und einer Halbtagskraft.

Der 45-Jährige gehört damit zu den Männern und Frauen, die im Handwerk in Sachsen-Anhalt so dringend gesucht werden. Denn viele Handwerker, die sich nach der Wende selbstständig gemacht haben, gehen nun in Rente und suchen einen Nachfolger. „In Halle sieht man deutlich, wie die Zahl der Tischlereien von Jahr zu Jahr sinkt“, sagt Aschenbach.

Die Statistiken der Handwerkskammer Halle belegen das für alle Gewerke. 2011 gab es im Kammerbezirk noch 15.263 Betriebe, sechs Jahre später waren es nur noch 13.896 - ein Rückgang von knapp zehn Prozent. Das Minus fällt in eine Zeit, in der es wirtschaftlich in vielen Handwerksbereichen nur bergauf ging. Wie passt das zusammen?

Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Halle, Dirk Neumann, nennt eine Vielzahl von Gründen für den Fachkräfte- und Nachwuchsmangel: zu allererst die demografische Entwicklung. Es gibt schlicht immer weniger junge Menschen. Die Zahl der Auszubildenden im Handwerk im südlichen Sachsen-Anhalt ging von 7.064 im Jahr 2008 auf 3.413 im vergangenen Jahr zurück - mehr als eine Halbierung.

Die vorhandenen Jugendlichen haben zudem immer weniger Interesse, Tischler oder Maurer zu werden. „Jahrelang wurde den Jugendlichen von der Politik vermittelt, dass ihre Jobchancen vor allem mit einem Studium steigen“, sagt Neumann. Doch der Blick auf den Arbeitsmarkt zeige, dass Handwerker häufig beste Berufsaussichten hätten.

Obwohl sich Aschenbach gerade selbstständig gemacht hat, warnt er vor einem „Ausbluten des Handwerks“. Jahrelang ist er als Ausbilder bei einem Bildungsträger tätig gewesen. „Viele junge Leute, die sich heute für einen Handwerksberuf entscheiden, sind damit überfordert.“

Kompetenzen beim Rechnen, Schreiben und in der handwerklichen Geschicklichkeit fehlen

Es fehlten Kompetenzen beim Rechnen, Schreiben und in der handwerklichen Geschicklichkeit. Dafür macht Aschenbach nicht die Jugendlichen verantwortlich, die nicht anders seien als vor zehn oder 20 Jahren. „Doch nur noch an den Gymnasien wird erreicht, dass die Schüler auch Zusammenhänge verstehen“, ist Aschenbachs Erfahrung. Er sei gerne Ausbilder gewesen, doch in den vergangenen Jahren habe es immer weniger Spaß gemacht. Im Handwerk würde das Niveau in den Ausbildungsprüfungen abgesenkt, weil die Lehrlinge komplexe Aufgaben immer öfter nicht bewältigen könnten.

Verbandsgeschäftsführer Neumann kennt solche Klagen. Die Handwerkskammer versucht daher, noch gezielter Jugendliche mit guten schulischen Leistungen anzusprechen. „Wir haben zwei zusätzliche Ausbildungsberater eingestellt, die in die Schulen gehen“, sagt Neumann. Über Schülerpraktika und Schul-Projekte werde seit Jahren versucht, Jugendliche frühzeitig an die Berufe heranzuführen.

Zudem verweist Neumann darauf, dass sich die „Einkommen spürbar verbessern“. Bei den Firmen stiegen die Gewinne, das wirke sich auch auf die Löhne aus. Natürlich gebe es im Friseurhandwerk noch Nettoeinkommen von 1.000 Euro im Monat. Es gebe aber auch Gewerke, bei denen die Beschäftigten 2.000 oder 3.000 Euro am Ende raus bekämen. „Da tut sich derzeit viel.“ (mz)