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Freundschaften zerbrechen Freundschaften zerbrechen: Wie der Kohle-Ausstieg eine ostdeutsche Kleinstadt spaltet

Von Anna Ringle 07.01.2019, 11:00
Blick in den Tagebau Welzow-Süd, der Arbeitsplatz für viele Menschen in der Lausitz ist.
Blick in den Tagebau Welzow-Süd, der Arbeitsplatz für viele Menschen in der Lausitz ist. DPA

Welzow - Der Weg zu seinem Arbeitsplatz ist für Stefan Gaebel holprig. Mit Kollegen sitzt er zu Schichtbeginn immer in einem Mannschaftswagen, der über Sandhügel und durch tiefe Spurrillen steuert. Es ruckelt. Nach der Fahrt durch das unwegsame Gelände im Süden Brandenburgs ist er am Ziel: Der 36-Jährige befindet sich in einer Braunkohle-Grube in 45 Metern Tiefe.

Mit seinen Kollegen will Gaebel im Tagebau Welzow-Süd auf das stoßen, was der Region seit mehr als 150 Jahren Arbeitsplätze und Auskommen bringt - Braunkohle. Gaebel arbeitet auf dem Bagger an einer Verladestelle, wo die weggeschaufelte Erde auf ein Förderband fällt. Er fühlt sich wohl: „Ich kann draußen arbeiten, und der Zusammenhalt hier ist sehr groß.“

Welzow nennt sich „Stadt am Tagebau“

Die kleine Stadt Welzow mit rund 3.500 Einwohnern, in der Gaebel seit Kindheitstagen lebt, liegt in direkter Nachbarschaft. „Stadt am Tagebau“ ist auf Schildern an den Ortseingängen zu lesen. Viele Einwohner arbeiten „in der Kohle“, wie sie es selbst bezeichnen. Sie sind stolz auf ihren Beruf. Die Industriejobs sind gut bezahlt.

„Wir sind besonders von der Braunkohle geprägt“, sagt Bürgermeisterin Birgit Zuchold. Vom stärksten Industriezweig in der sonst strukturschwachen Lausitz, dem zweitgrößten Braunkohlerevier Deutschlands, leben nicht nur die Kohlekumpel. Auch Handwerksbetriebe und Dienstleister seien auf die Aufträge des Tagebaubetreibers angewiesen. Doch gerade dass Welzow so stark an dem fossilen Energieträger hängt, bringt seit Jahren zugleich Unsicherheit in die Stadt. Denn die Bundesregierung plant aus Klimaschutzgründen schrittweise aus dem Verstromen von Kohle in Deutschland auszusteigen. Wann genau Schluss sein soll, ist aber noch offen. Der Revierplan des Lausitzer Tagebaubetreibers Leag mit vier Gruben in Brandenburg und Sachsen reicht eigentlich noch bis in die 2040er Jahre. Allerdings erarbeitet gerade eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission einen eigenen Fahrplan. Am 1. Februar soll der Abschlussbericht präsentiert werden. Was würde eine ganz abrupte Abkehr für die Stadt bedeuten? Grubenarbeiter Gaebel antwortet kurz und knapp: „Welzow würde aussterben.“

Spricht man die Bürger der Stadt auf die Kohlekommission an, zeigen sich viele verärgert. Sie haben den Eindruck, dass die Braunkohle ein Prügelknabe sei und in anderen Bereichen - wie dem Verkehr - zu wenig für den Klimaschutz getan werde. Bürgermeisterin Zuchold fordert für den Wandel finanzielle Hilfen für Welzow. „Die Leute brauchen Lebensperspektiven, und die Leute möchten gerne wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten können.“

Die Menschen in der Region haben schon einmal erlebt, was Strukturbruch bedeutet. Zehntausende verloren nach der Wende ihren Job in der Braunkohlenindustrie. Tagebau um Tagebau aus DDR-Zeiten wurde dicht gemacht. Zur Wendezeit im Jahre 1989 gab es im Lausitzer Revier noch fast 80.000 Beschäftigte, wie Daten des Vereins Statistik der Kohlenwirtschaft zeigen. Innerhalb von zehn Jahren sank die Zahl auf unter 10.000. Viele mussten neue Berufe erlernen oder waren arbeitslos. So etwas sitzt tief. Heute arbeiten in den vier Gruben und mehreren Braunkohle-Kraftwerken in der Lausitz noch 8.000 Menschen. In allen deutschen Braunkohlerevieren zusammen gibt es 20.000 direkte Arbeitsplätze.

Welzow: Bangen um das Zuhause

Wie groß die Kluft zwischen Gegnern und Befürwortern der Braunkohle in Deutschland ist, lässt sich auch in Welzow erleben. Denn längst nicht alle in der Stadt sind für die Kohle. Das hat mit einer zweiten Unsicherheit zu tun, die seit Jahren umgeht.

Im Ortsteil Proschim bangen Einwohner um ihre Häuser. Wenn der angrenzende Tagebau einmal erweitert werden sollte, müsste das Dorf abgebaggert werden und die Menschen müssten umsiedeln. Der Tagebaubetreiber will bis 2020 entscheiden, ob erweitert wird. Im jetzigen Teilabschnitt wird es voraussichtlich Mitte der 2030er Jahre keine Kohle mehr geben. Bis zur Entscheidung hängen die Proschimer in der Luft. Umsiedlungen hat es in deutschen Braunkohlerevieren immer wieder gegeben. Die Bewohner werden in solchen Fällen finanziell entschädigt.

Martin Schröer ist Proschimer. Und er will nicht weg von hier. Der 54-Jährige lebt seit 1995 mit seiner Familie in dem Dorf. Es ist ein sehr gepflegtes Grundstück mit Backsteingebäuden. Im Innenhof stehen alte Bäume, es gibt eine Garage. Hier hat Schröer auch das Büro seiner Heizungs- und Sanitärfirma.

Braunkohle-Mitarbeiter müssen eine Perspektive bekommen

Proschim ist seine Heimat, wie der 54-Jährige sagt. Fast alles bauten sich die Schröers selbst auf. Schröer blickt von seinem Wohnhaus auf ein weites Feld. Den Sonnenuntergang beobachtet er besonders gern. „Da gibt es zahllose Fotos von“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Im Hintergrund sind Windkrafträder zu sehen. Für Schröer ist es ein Unding, dass in Zeiten des Klimawandels noch Braunkohle gefördert wird.

Er sei zugleich froh, dass der Kohleausstieg geplant wird. Allerdings müssten die Braunkohle-Mitarbeiter eine Perspektive bekommen. Ein Enddatum für die Kohleverstromung hält Schröer für wichtig. Auch für sich persönlich: „Die Unsicherheit würde aufhören.“ Gerade erst habe die Familie in die Hausfassade investiert. „Wenn der Bagger käme, wäre das weg.“

Schröer glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass Proschim noch umgesiedelt wird. „Die werden sich dagegen entscheiden. Aber auch wenn sie sich dafür entscheiden, glaube ich, dass das noch nicht das letzte Wort ist.“ Für alle Fälle habe sich die Familie einen Plan B zurechtgelegt. Dann wollen die Eheleute aus der Gegend wegziehen.

Welzow: Sogar Freundschaften zerbrechen

Die Braunkohle ist in dem Ort schon lange ein Streitthema. „Hier sind Freundschaften kaputt gegangen deswegen“, sagt der Heizungsinstallateur. Manche Proschimer sitzen nach seinen Worten quasi auf gepackten Koffern, weil sie sich eine Umsiedlung sogar wünschen. Andere hängen an ihrem Zuhause. Im Dorfkern hängen seit vielen Jahren zwei Plakate neben einem Straßenschild. Dem äußeren Anschein nach ist es jedoch etwas ruhiger geworden. Vor Jahren standen noch in vielen Vorgärten Protestschilder.

Trotz aller Ungewissheit blickt die Stadt nach vorne. Bürgermeisterin Birgit Zuchold sagt: „Ich möchte immer Aufschwungstimmung verbreiten. Es lebt sich hier gut.“ Die Kommune setzt auf neue Impulse in der Wirtschaft. Gewerbeflächen sind erschlossen. Es gebe Anfragen von Investoren. „Wir haben es geschafft, einen Spielgeräte-Hersteller in Welzow zu etablieren.“ Das sei ein erster kleiner Schritt. (mz)

Befürworter und Gegner der Kohle: Stefan Gaebel (Bild links) und Martin Schröer
Befürworter und Gegner der Kohle: Stefan Gaebel (Bild links) und Martin Schröer
 DPA