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Fracking Fracking: Revolution von unten

Von Steffen Könau 14.02.2015, 14:11
Amerikanische Idylle im tiefsten Texas: Südlich von Midland fördern unzählige Fracking-Anlagen Öl. Zwischen modernen Förderanlagen (weiß) und den traditionellen Nickeseln (grün) grasen Kühe.
Amerikanische Idylle im tiefsten Texas: Südlich von Midland fördern unzählige Fracking-Anlagen Öl. Zwischen modernen Förderanlagen (weiß) und den traditionellen Nickeseln (grün) grasen Kühe. Könau Lizenz

Halle (Saale) - Ein roter Wind weht über den Texas State Highway 349. Staub ist in der Luft, karmesinroter Staub, der alles durchdringt und die Zähne knirschen lässt. Die Nase dagegen erkennt zwischen Midland und Big Lake den Duft einer längst vergangenen Zeit. Es riecht nach Leuna, Buna, Bitterfeld. DDR anno 1985. Schmierig wabert ein öliger Geruch über die endlosen Weiden, auf denen Kühe vor Ölbohrtürmen gleichmütig Gras wiederkäuen.

Willkommen auf der gefährlichsten Straße im Permian Basin, willkommen an dem Ort, an dem seit einigen Jahren die Welt verändert wird. Dass Benzin an Tankstellen in Dessau, Zeitz oder Merseburg derzeit so billig ist wie zuletzt vor fünf Jahren, daran sind die Leute hier in der roten Steppe schuld. Auch, dass das Heizöl mitten im Winter immer günstiger wird, dafür haben sie hier gesorgt.

Aus dem Weltraum betrachtet wirkt das ganze Midland County um seine gleichnamige Hauptstadt und die nahe gelegene Zwillingsgemeinde Odessa, als habe die Erde die Pocken. Punkt an Punkt an Punkt. Endlos zieht sich die Prärie hin, in der Ex-US-Präsident George W. Bush aufwuchs. Und alle paar hundert Meter nickt eine sogenannte Pferdekopfpumpe im immergleichen Rhythmus: Auf, nieder, quietsch, auf, nieder, quietsch.

Verloren auf der endlosen Ebene

Diese gusseisernen Nickesel aber sind die Vergangenheit. Die Zukunft verändert haben die viel weniger malerischen Bohrtürme der Fracking-Anlagen. Kleine Metallgerüste und Container sind das, die weniger nach „Dallas“ und Bobby Ewing als nach Fertiggarage und Baumarktzisterne aussehen. Sie stehen allein und verloren auf der endlosen Ebene. Kein Geräusch, nichts bewegt sich.

José Pacheco weiß, dass das nicht stimmt. Überall zwischen den einsamen Installationen verlaufen Rohrleitungen, sagt der 27-Jährige, der jeden Sonntagabend aus Mexiko herüber nach Texas kommt, um hier Woche für Woche noch mehr Rohre zu noch mehr Fracking-Anlagen zu verlegen. Vom Petroleum-Museum am Stadtrand von Midland sind es keine 200 Meter bis zur ersten Bohrung, die nicht der großen Erdöl-Geschichte von Texas, sondern einem lukrativen neuen Fund gilt.

„Wir haben überall Leitungen hingelegt“, sagt José Pacheco, „dünne führen zu dicken, die dicken zu noch dickeren Rohren.“ Sehr lange liegt keine der Pipelines, denn das Geschäft mit dem gefrackten Öl ist anders als die Förderung früher. „Ein Jahr, anderthalb, höchstens zwei“, sagt José Pacheco, „dann kommt nichts mehr von unten und wir graben die Pipeline wieder aus.“ Bohrtrupps haben derweil an einer anderen Stelle schon neue Löcher gebohrt, aus denen weiter Öl gedrückt werden kann.

USA als Energie-Selbstversorger

Das Ganze dauert eine Woche, höchstens zwei, danach verschwindet das Bohrgerüst, das aussieht wie ein Nachfahre der Türme aus „Dallas“ und alten Indianerfilmen. Es bleiben Fertiggaragen, Baumarktzisternen und unsichtbare Leitungen, durch die Erdöl zu weiteren Pipelines oder Sammelbehältern fließt.

Mehr zum Ölfieber in Texas und warum sich das Fracking-Verfahren in Europa nicht durchgesetzt hat, erfahren Sie auf der nächsten Seite.

Es herrscht Ölfieber in Texas. 9 000 Bohrlizenzen wurden allein im vergangenen Jahr in den USA erteilt, seit 2010 stieg allein die in Texas geförderte Öl-Menge von 800 000 Barrel pro Tag auf mehr als drei Millionen. Die Amerikaner fördern heute ein Drittel mehr Öl als vor 20 Jahren. Sie sind damit zu Energie-Selbstversorgern geworden - ein Ziel, das der damalige Präsident Richard Nixon auf dem Höhepunkt der Ölkrise im November 1973 als „Project Independence“ ausgegeben hatte. Für José Pacheco ist das gut. „Viel Arbeit, viel Geld“, sagt er achselzuckend. Man dürfe halt das Wasser aus dem Hahn in der ganzen Gegend nicht trinken, warnt er. Aber dafür gebe es ja Wasser in Flaschen, sagt der Mexikaner, der von seinem billigen Motelzimmer hinüber auf seinen aktuellen Arbeitsplatz schauen kann. Dort wird Tag und Nacht gearbeitet, unter gleißendem Scheinwerferlicht. Time is money. „Und das meiste, was Leute gegen die Sache sagen, ist Quatsch.“

Nicht in Europa durchgesetzt

Die „Sache“, das ist das Fördern von Öl nach dem „Hydraulic fracking“-Verfahren, bei dem nicht einfach nur ein Loch in eine Ölblase gebohrt und gewartet wird, was hochkommt. Beim Fracking passiert mehr: Von oben wird eine Mischung aus Wasser und Chemikalien unter mehreren hundert Bar Druck bis in 3 000 Meter Tiefe gepresst. Dort unten sorgt sie dafür, dass im Gestein gebundenes Öl und Gas herausgebrochen und nach oben gepresst werden. In Europa hat sich das Verfahren aus den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nie durchsetzen können. Zu viel Angst vor Umweltschäden, zu viel Furcht vor Spätfolgen für Natur und Menschen.

Angst, die sich nur mit Geduld und unendlich vielen Gesprächen ausräumen lässt, wie der Leipziger Bohrspezialist Thomas Schröter weiß, seit er mit seiner Firma Central European Oil in der unberührten Naturidylle am Achterwasser beim Flecken Netzelkow auf Usedom gebohrt hat. „Wir müssen viel Überzeugungsarbeit leisten“, beschreibt Thomas Schröter, dessen Firma nicht einmal frackt. Dabei nutze doch jeder Öl: „Aber lieber soll es von weit weg kommen.“

Mehr über die Probleme der Ölförderung erfahren Sei auf der nächsten Seite.

Weit weg wie hier in der Nähe von McCarney, wo Jeffrey Patterson im Auftrag einer kleinen Firma nach dem Schmierstoff der Weltwirtschaft sucht. Das Problem dabei ist nicht das Finden an sich. Dass das Öl da ist, ist bekannt. Das Problem ist das Fördern, ohne am Ende pleite zu sein. Um die Exploration genannte Erschließung neuer Vorkommen zu finanzieren, lassen sich die Bohrfirmen Geld von Investoren vorstrecken. Deren Sicherheit ist das Öl und sie ist umso größer, je höher der Ölpreis liegt.

Kleine Firmen müssen Konkurs anmelden

Bei mehr als 108 US-Dollar wie vor einem Jahr ist das, was in der Erde liegt, doppelt so viel wert wie bei einem Ölpreis von nur noch 52 Dollar, wo er im Moment steht. Bei manchem Vorkommen ist da sogar die Förderung teurer.

Schlagartig wird es so schwerer, neues Geld für neue Bohrungen aufzutreiben. Das große Öl-Bonanza endet wie ein Tanz um das Goldene Kalb, wenn plötzlich die Musik verstummt: Allein in der vergangenen Woche ist die Zahl der aktiven Öl-Bohrlöcher in den USA um fast hundert auf nur noch 1 223 zurückgegangen. Erste kleine Firmen haben Konkurs anmelden müssen. Und in Texas, einem Land voller Menschen mit unzerstörbarem Optimismus, kursieren Gerüchte über milliardenschwere Kredite, die nicht mehr bedient werden und so eine neue schwere Finanzkrise auslösen könnten.

Mit und ohne diese wirkt alles, was im Präriestaub des Permian Basin vor sich geht, bis nach Halle, Köthen und Naumburg. Ohne neues Geld keine neuen Bohrungen und ohne neue Bohrungen fließt weniger Öl, sobald die aktuell fördernden Löcher ausgebeutet sind. Es passiert dann, was immer passiert: Der Preis steigt, von der Gasstation in der Hugel Avenue in Midland bis zur letzten Tankstelle im Mansfelder Land. Und damit auch der Reiz, neue Löcher zu bohren.

Warnschilder am Eingang zum Feld
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Pferdekopfpumpe oder Nickesel werden die alten Pumpen genannt.
Pferdekopfpumpe oder Nickesel werden die alten Pumpen genannt.
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