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Fall Unister filmreif Fall Unister filmreif: "Das ist eher ein Krimi als ein Insolvenzfall"

Von Thilo Streubel 26.07.2016, 18:01
Vier Tage nach dem Unfalltod ihres Chefs stellte Unister den Insolvenzantrag.
Vier Tage nach dem Unfalltod ihres Chefs stellte Unister den Insolvenzantrag. dpa-Zentralbild

Leipzig - Lucas Flöther ist ein gefragter Mann. Im Minutentakt klingelt sein Handy. Journalisten wollen von ihm wissen, wie es bei Unister weitergeht. Wenn man ihn erreicht, hört man Lärm im Hintergrund. Es herrschen Aufregung und Gewusel. Der 42-Jährige verbreitet aber gut sortiert und ruhig Hiobsbotschaften oder Durchhalteparolen. Das gehört zu seinem Job.

Das ist Unister-Insolvenzverwalter Lucas Flöther

Flöther ist Sanierer. Der gebürtige Hallenser übernimmt das Ruder, wenn Unternehmen in Schieflage geraten. Seine Kanzlei Flöther & Wissing gehört zu den am häufigsten bestellten Insolvenzverwaltern Ostdeutschlands. Doch der aktuelle Fall ist anders als die anderen. „Das ist eher ein Krimi als ein klassischer Insolvenzfall“, sagt Flöther. Es geht um Unister. Und das ist nicht nur ein angeschlagenes Unternehmen. Die Zutaten dieses Krimis sind Betrug, Falschgeld, Missgunst zwischen Anteilshabern und ein mysteriöser Flugzeugabsturz.

Das Internetunternehmen aus Leipzig hatte am 18. Juli Insolvenz beantragt. Bekannt ist Unister vor allem für seine Reiseseiten im Internet: ab-in-den-urlaub.de oder fluege.de waren lange die am meisten besuchten Seiten der Reisebranche. Kleine Ironie am Rande: Insolvenzverwalter Flöther musste seinen Urlaub abbrechen, um den Fall zu übernehmen.

Start-Up-Märchen, Venedig-Betrug, Flugzeugabsturz: Unisters Geschichte ist filmreif

Vom Start-Up-Märchen zum Wirtschaftskrimi: Unisters Geschichte ist filmreif. Hauptdarsteller Thomas Wagner, ein gebürtiger Dessauer, steigt zuerst auf zu Leipzigs Internet-König, im Schnelldurchlauf erreicht sein Werk eine gigantische Größe. Dann gerät er ins Trudeln. Unister-Insider wagen den Vergleich zu Ikarus, der sich zu nah an die Sonne wagte und abstürzte. So sollte es buchstäblich kommen. Am 14. Juli sitzt Wagner (38) mit Unister-Mitgesellschafter Oliver Schilling (39) in einer Piper PA 32R, einem Kleinflugzeug, auf dem Weg von Venedig nach Leipzig.

Am Tag zuvor fand im Hotel „Antonys Palace“ in Venedig ein Geschäft statt. Es ging um Millionen, die der Unister-Chef als Kredit benötigte. Sein Unternehmen wankte. Doch das Geschäft platzt. Der vermeintliche Geldgeber, ein israelischer Diamantenhändler, dreht den Leipzigern Falschgeld an und verschwindet mit über einer Million Euro, die er als Sicherheit von Wagner verlangt hatte. Bei dem Treffen sind zwei Finanzberater aus Deutschland anwesend. Sie hatten den Deal vermittelt. Wussten sie vom Betrug?

Einer der beiden, Heinz Horst B. (65) stirbt auch in der Piper. Wagner und Schilling vermuten, dass B. Bescheid wusste. Das sagte später Wagners Freundin aus, die mit Wagner noch am 13. Juli telefonierte. Was passierte im Flugzeug? Kam es zum Streit? Die Geschehnisse werden im Dunkeln bleiben, denn kurz nach dem Start, über den slowenischen Alpen, stürzt das Flugzeug aus bisher ungeklärter Ursache ab. Der 73-jährige Pilot war allerdings ein hohes Risiko eingegangen, das Wetter war eigentlich zu schlecht für einen Flug.

Unister-Chef Wagner vermutlich auf „Rip-Deal“ hereingefallen

Beim Absturz fängt die Maschine Feuer. Alle vier Insassen verbrennen, nur das hintere Abteil mit dem Gepäck bleibt unversehrt. Dort finden die slowenischen Rettungskräfte Dokumente und 10.000 Schweizer Franken.
Eine Anzeige wegen Betrugs bei der italienischen Polizei vom 13. Juli ist verbrieft, die Schweizer Franken, so wird später gemutmaßt, stammten aus einem Geldkoffer mit zwölf Millionen Franken, der Großteil davon Falschgeld.

Wagner ist vermutlich auf einen „Rip-Deal“ hereingefallen: Die deutsche Botschaft in Italien warnt vor dieser Betrugsmasche. Besonders oft sei Norditalien Tatort. Den Opfern werde eine lukratives Devisentauschgeschäft vorgeschlagen. Die Betrüger verlangen eine Sicherheit und händigten im Gegenzug Falschgeld aus.
Das alles klingt nach Räuberpistole und nährt Spekulationen.

Thomas Wagners ehemalige  Unister-Weggefährten vermuten Anschlag

Wegbegleiter wie der ehemalige Pressesprecher Unisters und Wagner-Freund Konstantin Korosides vermuten gar einen Anschlag. Gewissheit wird man erstmal nicht bekommen. Die Untersuchung des Absturzes wird Monate dauern. Das deutsche Bundesamt für Flugunfalluntersuchung hat seine Hilfe angeboten. Ein Sprecher sagt: „Die Auswertung eines solchen Unfalls dauert bis zu einem Jahr.“ Und auch die Identifizierung der Leichen dauert. Die slowenischen Behörden haben DNA-Material aus Deutschland angefordert, um die Identität zu klären. Erst dann kann man mit Gewissheit sagen, dass Wagner, Schilling und B. tot sind. Dass der Pilot Kurt E. im Flugzeug saß, gilt als gesichert.

So geriet das Start-Up-Märchen Unister in die Schieflage

Die Nachricht aus den slowenischen Bergen erreicht Leipzig in Windeseile. Im schicken Barfussgässchen inmitten der Boom-Town Leipzig hat Unister seinen Hauptsitz. In einem Jugendstilhaus residiert das frühere Vorzeige-Unternehmen. Kein Marketing-Film der Stadt hätte sich die Gründungsgeschichte besser ausdenken können: Ein Student gründet mit wenig Geld ein Start-Up und führt es zu einem Großunternehmen mit zeitweise fast 2.000 Mitarbeitern und dreistelligen Millionenumsätzen. Ein Wirtschaftsmärchen.

Spätestens mit dem Tod Wagners, der alleiniger Geschäftsführer war, platzt die Seifenblase. Verwalter Flöther kommt ins Spiel. Er findet einen chaotisch geführten Haushalt, eine Zettelwirtschaft. Wagner führte sein Unternehmen offenbar wie das einstige Start-Up im Studentenwohnheim. Thomas Promny ist selber Internetunternehmer und Autor. Für sein Buch über erfolgreiche Online-Unternehmer interviewte er Wagner 2015. „Wagner war wohl eher ein typischer Gründer, ein Start-Up-Unternehmer. Doch als Chef eines großen Unternehmens mit mehr als tausend Angestellten braucht man andere Skills. In so einer Unternehmensgröße braucht es viel mehr Struktur, als Gründern eigentlich lieb ist,“erklärt er. Der häufigste Weg sei deswegen: Man entwickelt eine Idee, gründet eine Firma und verkauft sie ab einer bestimmte Größe. Wagner habe diesen Schritt verpasst, so Promny.

Verdacht auf Steuerhinterziehung sowie Computer- und Versicherungsbetrug ebi Unister

Insider und Wirtschaftsexperten unkten schon lange über den Fall Unisters. Spätestens als 2012 die Staatswaltschaft vor der Tür stand. Die Vorwürfe: Verdacht auf Steuerhinterziehung sowie Computer- und Versicherungsbetrug. Unister hatte mit den Reisen eine Versicherung, den sogenannten Storno-Schutz, verkauft, soll dafür aber zu wenig Steuern bezahlt haben. Auch sollen Rabatte nicht an die Kunden weitergegeben worden sein. Wagner und einige Manager kamen in U-Haft. Das Verfahren ist bis heute anhängig.
Unister sortierte sich neu, andere Manager wie Peter Zimmermann heuerten an. Doch lange ging das nicht gut. „Niemand wollte am Ende den Kopf für das Unternehmen hinhalten“, so ein Branchenkenner. Die Manager, die das Know-How hatten, um Unister möglicherweise zu retten, suchten das Weite. Ob sie die chaotische Buchhaltung, das verworrene Geflecht an Tochterunternehmen oder die umstrittenen Methoden des Reise-Imperiums abgeschreckt haben? Auf jeden Fall trafen sie auf einen Unternehmensgründer, der so sehr an seinem „Baby“ hing, dass er sich nicht reinreden lassen wollte. Hinter vorgehaltener Hand war bei Unister von einem Kontrollzwang des Chefs die Rede, mithin von einem Alleinherrscher.

Unister-Krimi noch lange nicht auserzählt

Wagner polarisiert auch jetzt noch, nach seinem Tod. Mitarbeiter preisen den Ideengeber, den geniale Gründer und bodenständigen Chef. Sie wollen kämpfen für seine „Familie“ Unister. Auf der anderen Seite stehen alte Weggefährten, Konkurrenten und Gesellschafter. Etwa Daniel Kirchhof, der knapp 17 Prozent der Anteile an Unister hält, geht in die Offensive: „Das muss ganz dringend aufgeklärt werden“, sagt Kirchhof im MDR-Interview über den Unister-Krimi. Doch welche Rolle er spielt, ist nebulös. Er habe die Pleite geahnt und vergeblich davor gewarnt, sagt er. Dass es zum Bruch der Männer kam, weil Wagner Kirchhof aus dem Unternehmen drängen wollte, sagen andere. Stimmt es, dass Kirchhof von der Venedig-Reise wusste und sie sogar zu verhindern versuchte? Kirchhof streitet ab, von Venedig gewusst zu haben.

Die Behörden in Italien, Slowenien und Deutschland untersuchen den Flugzeug-, Insolvenzverwalter Flöther den Unister-Absturz. Weil die Gruppe groß und unübersichtlich ist, eine rechte Puzzlearbeit. „Das kann Wochen dauern“, sagt Flöther. Dieser Krimi ist noch längst nicht auserzählt. (mz)