Exoskelette Exoskelette: Wie Arbeiter in der Autoindustrie mit Maschinen-Teilen verschmelzen sollen

Berlin - In der industriellen Produktion herrschen in vielen Abteilungen Maschinen schon alleine. Noch aber geht es nicht ganz ohne den Mensch – auch wenn ihre Körper für die hohe Taktung am Band nicht unbedingt geschaffen sind. Rückenprobleme sind häufig, Ausfälle programmiert. Deswegen arbeiten Autobauer jetzt allesamt an einem neuen Projekt: Ihre Arbeiter sollen mit Maschinen-Teilen verschmelzen.
Exoskelette heißt der Trend, auf den viele Firmen hoffen. Die Arbeiter ziehen die Maschine an – Beinschienen werden befestigt, ein Gürtel an der Hüfte geschlossen, je nach Modell Stützelemente am Rücken, dem Nacken und den Schultern angebracht. Am Ende sieht der Mensch aus wie ein technisch hochgerüsteter Superheld – Iron Man am Fließband.
Ford testet in seinem Vorreiter-Werk in Valencia zurzeit zehn verschiedene Exoskelett-Modelle, Audi hat zwei passive Systeme zu Tests bereits nach Deutschland gebracht, auch Mercedes ist in der Pilotphase.
Motoren sollen Muskeln unterstützen
Diese passiven Systeme gehen den ersten Schritt und sollen den Arbeiter entlasten: Beim Heben vom Boden wird ein Teil des Gewichts über die Streben an Rücken und Beinen abgeleitet, beim Schrauben über Kopf sollen die Schienen die Arme in der unnatürlichen Position stützen.
Die aktiven Exoskelette, die sich oftmals noch in der Entwicklung befinden, sind zusätzlich mit Sensoren versehen, die einem Bordcomputer Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung des Trägers melden. Motoren an den Knien, Schultern und wahlweise Armen sollen die Muskeln dann bei der Anstrengung unterstützen. So wird es auch möglich, die Muskelstärke künstlich zu erhöhen – unermüdliche Arbeiter mit der Gabe menschlicher Planung und maschinellen Superkräften könnten so entstehen und Träume aus Hunderten ScienceFiction- und Action-Filmen wahr werden.
Noch aber beschäftigen Autobauer nur die passiven – also die rein mechanischen, nicht motorisierten - Varianten. Audi hat bereits zwei dieser Exoskelett-Modelle in seinen deutschen Produktionsstätten getestet. Die erste Version heißt „Chairless Chair“, produziert vom Schweizer Start-up „noonee“. Wie ein zweites Paar Beine stützt das 2,4 Kilo schwere Exoskelett Angestellte während der Arbeit und macht es möglich zu sitzen, ganz ohne Stuhl. Befestigt wird es an den Rückseiten der Beine, Auflagen stützen Gesäß und Oberschenkel, Gelenke in Kniehöhe ermöglichen verschiedene Sitzpositionen.
Alle 68 Sekunden rollt ein fertiger Fiesta vom Band
Die Pilotphase für den stuhllosen Stuhl liegt schon zwei Jahre zurück. Der Prototyp sei seitdem auf Grundlage von Kritik der Mitarbeiter weiterentwickelt worden, sagt Ralph Hensel-Unger, Leiter des Projekts bei Audi. Denn Testträger meldeten zwar Entlastung, aber auch fehlenden Tragekomfort: Vor allem im Brustbereich klemmte es bei schnellen Hebearbeiten. Auch die Textilien von Gürtel und Weste wurden verändert, die Befestigung an den Füßen wurde überarbeitet, um besser damit gehen zu können und das Gewicht des Gerüsts generell weiter reduziert. „Perspektivisch ist ein Serieneinsatz des Chairless Chairs noch in der ersten Jahreshälfte denkbar“, so Hensel-Unger. Währenddessen wird bei Audi bereits ein zweites Exoskelett getestet, das für Arbeiter gedacht ist, die sich häufig bücken müssen.
Ford hingegen setzt im Pilotprojekt in Spanien den Fokus auf Exoskelette, die Schultern und Rücken bei der Arbeit über Kopf entlasten sollen. Bewährt sich ein Modell, soll es auch im Kölner Werk bei der Fiesta-
Produktion zum Einsatz kommen. Zum Beispiel bei den Arbeitern in der Montage, die sich 12 mal pro Minute nach oben recken müssen, um den Benzintank festzuschrauben – damit alle 68 Sekunden ein fertiger Fiesta vom Band rollt. Eine Universität soll die Langzeitfolgen genau untersuchen. Mehr will Ford sich noch nicht entlocken lassen: „Aus Wettbewerbsgründen können wir noch nicht zu sehr ins Detail gehen.“
Exoskelette kommen eigentlich aus der Medizin
Forschung und Studien zu den körperlichen Folgen der Exoskelette seien dringend notwendig, sagt Kerstin Klein von der IG Metall. Bisher gebe es noch keinerlei Erfahrungen mit den Schienen in der Praxis, keine gesundheitlichen Langzeitstudien - und auch keine Klarheit darüber, ob die Systeme nicht vielleicht auch den nachteiligen Effekt hätten, dass sich zum Beispiel Muskeln bei dauerhaftem Gebrauch zurückbilden.
Tatsächlich kommen die Exoskelette - wie so viele Ideen auf dem Gebiet der Mensch-Maschinen-Kooperation - eigentlich aus dem medizinischen Bereich und sollen zum Beispiel Reha-Patienten helfen, wieder laufen zu lernen. Neben der Industrie und der Baubranche hat aber auch das Militär, dessen Mitglieder oft schwere Gewichte über lange Strecken und unwegsames Gelände transportieren müssen, ein großes Interesse daran – ein motorisiertes Modell der Firma Lockheed Martin wird bereits in der US-Army getestet.