Brüssel EU will heimische Wirtschaft stärken - und sucht Geld
Die EU will im internationalen Wettbewerb mit Amerika und Asien den Anschluss nicht verlieren. Dafür braucht es Geld. Woher nehmen?
Brüssel - Konkurrenz im Westen und Osten, Kriege und Krisen: Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen die Wirtschaftspolitik der Staatengemeinschaft schnell an aktuelle Herausforderungen anpassen.
Angesichts geopolitischer Spannungen und der Subventionspolitik einiger Länder brauche Europa einen wirtschaftspolitischen Wandel, schrieben die Spitzen der 27 EU-Mitgliedstaaten in einer Abschlusserklärung ihres Gipfeltreffens in Brüssel.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: „Das ist der größte Binnenmarkt der Welt, aber er hat seine Potenziale und Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft.“ Ein auf dem Gipfel diskutierter Sonderbericht gab etwa neue Impulse zu in Europa bislang streng reglementierten Staatshilfen für die Wirtschaft.
Die EU sieht sich zunehmender Konkurrenz vor allem aus den USA und China ausgesetzt. Beide Länder verschaffen ihren Unternehmen aus EU-Sicht mit hohen Subventionen Vorteile, so dass Europa das Nachsehen hat.
Mobilisierung von Geld als Schlüssel für Investitionen
Damit die EU nicht abgehängt wird, braucht es vor allem Geld. „Wir müssen mehr Mittel mobilisieren“, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. In der Gipfelerklärung nennen die Spitzenpolitiker öffentliche und private Finanzierungen als erforderlich für Investitionen in strategische Schlüsselbereiche und Infrastrukturen.
In seinem Sonderbericht nennt Verfasser Enrico Letta die Mobilisierung von Geld von Privatleuten und Firmen als Priorität. Der ehemalige Regierungschef Italiens war im vergangenen Jahr mit der Analyse beauftragt worden. 33 Billionen Euro an privaten Ersparnissen sind dem Bericht zufolge in der EU vorhanden - überwiegend in Bargeld und Einlagen. Jährlich rund 300 Milliarden Euro an Ersparnissen europäischer Bürger würden ins Ausland umgeleitet - vor allem in die USA, schreibt er in seinem Bericht.
Auch vor diesem Hintergrund drängten die Staats- und Regierungschefs nach Jahren ohne große Fortschritte auf ein „unverzügliches“ Vorantreiben der Kapitalmarktunion, wie es in der Gipfelerklärung heißt. Sie sei der Schlüssel, um Privatkapital zu erschließen. Konkret soll die Entwicklung grenzüberschreitender Anlage- und Sparprodukte beschleunigt werden. Auch in zwei zuvor umstrittenen Punkten konnten die Mitgliedsländer Fortschritte machen: So verständigten sie sich darauf, Arbeiten voranzutreiben, um wichtige Aspekte der nationalen Regeln für Unternehmensinsolvenzen anzugleichen.
Effizientere Aufsicht über Kapitalmärkte und Finanz-Allgemeinwissen stärken
Zum anderen soll die Aufsicht über die Kapitalmärkte in der EU effizienter werden. Die Staats- und Regierungschefs beauftragten die EU-Kommission zu erarbeiten, wie die europäischen Aufsichtsbehörden besser zusammenarbeiten können - um so die wichtigsten grenzüberschreitend tätigen Finanzunternehmen besser überwachen zu können. Der Abschlusserklärung zufolge soll auch das Finanz-Allgemeinwissen von Bürgerinnen und Bürgern gestärkt werden. Wer über mehr Wissen und Know-how verfügt, investiert eher, so die Hoffnung.
Scholz hält nach dem Treffen weitere Fortschritte beim Zusammenwachsen der europäischen Kapitalmärkte für möglich. „Wahrscheinlich ist der nicht ausreichend entwickelte Kapitalmarkt in Europa die wesentliche Ursache, warum die Wachstumsdynamik in Europa nicht so groß ist, wie sie in manchen anderen Plätzen der Welt ist“, sagte der SPD-Politiker. „Ich glaube, dass wir also in diesem Feld jetzt endlich Fortschritte sehen werden.“
Diskussion über mehr Staatshilfen und Abbau von Bürokratie
Mit Blick auf öffentliche Gelder sollen nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs vor allem die Europäische Investitionsbank und der langfristige Haushalt der Staatengemeinschaft eine Rolle spielen.
Zudem wird in der Staatengemeinschaft darüber nachgedacht, mehr Staatshilfen in Europa zuzulassen, um die Auswirkungen staatlicher Beihilfen für Unternehmen in China und den USA abzufedern. In seinem Bericht plädiert Letta dafür, dass es strengere Regeln für staatliche Beihilfen auf nationaler Ebene, aber mehr öffentliche Gelder für Projekte auf EU-Ebene geben sollte. Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, einen Teil ihrer Mittel für europaweite Projekte bereitzustellen. Die Staats- und Regierungschefs fordern die Kommission auf, den bürokratischen Aufwand für Unternehmen und nationale Behörden erheblich zu verringern.