"Erlebnisorientierte Back-Spezialitäten" "Erlebnisorientierte Back-Spezialitäten": So will die neue hallesche Backfabrik punkten

Mehr als 100 Meter ist die neue Backstraße lang. Fein sortiert laufen Senfkrustenbrote auf der vollautomatischen Anlage. Der Edelstahl der Maschinen blitzt. Es riecht in der großen Halle nach frischem Brot, doch ein Bäcker ist zunächst nicht zu sehen. Dann taucht ein Mitarbeiter in weißem Kittel und mit Helm auf, um am Computerdisplay Einstellungen zu prüfen.
Bei Halle hat das junge Unternehmen Artiback für 40 Millionen Euro eine große „Backstube“ errichtet. Brote und Brötchen laufen vom Band, doch wenn es Auto- oder Computerteile wären, würde man sich wahrscheinlich auch nicht wundern. Artiback hat - so ist zumindest der Eindruck - mehr mit einem Start-up aus der IT-Branche gemein als mit einem klassischen Bäcker.
Der dahinter stehende Mehrheitseigner Frank Küntzle ist aber alles andere als ein Jungunternehmer. Der 48-Jährige gilt als erfahrener Back-Profi, dessen Gründung in der Branche aufmerksam verfolgt wird.
Artiback Gründer Frank Küntzle: Erfolg mit Tiefkühlwaren
Der Name Küntzle steht für eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte. Der aus Baden-Württemberg stammende Wilhelm Küntzle baute nach der Wende in Eisleben (Landkreis Mansfeld-Südharz) ein großes Backwaren-Unternehmen auf.
Die Firma Klemme, benannt nach dem Gründer, startete 1993 mit 15 Mitarbeitern und produzierte frühzeitig Tiefkühlbackwaren. Die Söhne Frank und Stefan Küntzle wuchsen mit dem Unternehmen auf und führten es fort. Überraschend kam Anfang 2013 die Nachricht, dass Klemme mit damals 1.400 Mitarbeitern an den Schweizer Backkonzern Aryzta veräußert wird.
Die Familie zog sich aus dem Backgeschäft zurück. „Wir sind damals schnell gewachsen. Als Mittelständler war das schwer zu finanzieren“, erläuterte Küntzle bereits im vergangenen Jahr die Hintergründe des Verkaufs.
Der mit seiner Familie in Halle lebende Unternehmer kommt von der Backbranche jedoch nicht los. „Es hat mich gereizt, eine neue Firma von Grund auf zu konzipieren“, sagt Küntzle im Gespräch mit der MZ. Dafür hat er auch frühere Mitarbeiter als Führungskräfte und Gesellschafter ins Boot geholt. Marc Saam leitet die Produktion und Axel Sehnert ist für Technik und Investitionen zuständig.
Artiback: Backfabrik bei Halle setzt auf handwerkliche Produkte
Obwohl die neue Fabrik hoch automatisiert ist, stellt das Unternehmen nach Worten des Firmenchefs „handwerkliche Produkte“ her. Produziert werden wie früher bei Klemme Tiefkühlbackwaren, die beim Kunden fertiggebacken werden.
Das Unternehmen verzichtet bei der Herstellung nach eigenen Angaben auf Backmittel, Enzyme und weitgehend auf sonstige Zusatzstoffe. Laut Küntzle wird nur mit ursprünglichen Zutaten wie Mehl, Wasser, Salz und Hefe gearbeitet. Der Firmenname leitet sich auch aus dem englischen Begriff artisan (handwerklich) und i für Innovation ab.
Beim Gang durch das Werk zeigt Produktionschef Saam was das bedeutet: Noch vor der Backstraße stehen metergroße Teigmaschinen. „Der Vorteig ruht bei uns zwölf bis 14 Stunden, ehe er verarbeitet wird“, sagt Saam. Beim Sauerteig seien es 28 Stunden. Das mache die Backwaren bekömmlicher.
Gebacken wird in einem Etagenofen auf Stein. Im Sommer 2019 wird laut Sehnert eine zweite Backstraße installiert. „Es dauert eine Zeit, bis sich alle Prozesse eingespielt haben“, sagt der Technik-Chef.
Backfabrick Artiback: Harte Konkurrenz bei Tiefkühlbrötchen
Die Etablierung einer neuen Tiefkühlbackwaren-Firma ist ein Wagnis. Zwar ist der Markt durch immer neue Backstationen in Supermärkten und Discountern in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Gleichzeitig gibt es einer Branchenanalyse im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zufolge einen enormen Konzentrationsprozess.
Die dominanten Großbäckereien Harry-Brot, Lieken und Aryzta haben ihre Kapazitäten modernisiert und ausgebaut. So errichtete Lieken in Wittenberg eine 200 Millionen Euro teure Backfabrik. Aryzta hat das ehemalige Klemme-Werk in Eisleben für 100 Millionen Euro erweitert.
Der Umsatz in der deutschen Backwaren-Branche ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und lag 2017 bei rund 17,2 Milliarden Euro. Die Zahl der handwerklichen Betriebe nimmt jedoch ab. Sie sank seit dem Jahr 2010 um mehr als ein Fünftel auf zuletzt 11.350, teilte der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks mit. Interessant ist die Marktstruktur: Etwa 43 Großbäckereien erwirtschaften inzwischen rund ein Drittel des Gesamtumsatzes in der Branche. Das heißt, die Großbäcker wachsen auf Kosten der kleineren Bäckereien.
Wie will sich der Mittelständler Artiback da behaupten? Küntzle setzt auf Spezialitäten und Flexibilität: „Die Verbraucher wünschen Abwechslung, die wollen wir bieten.“ Das Senfkrustenbrot oder ein Vollkorn-Urbrot sind dafür Beispiele.
Als Küntzle Ende 2016 gestartet ist, hatte er noch keine Kunden. Dennoch war er damals überzeugt: „Interessante Produkte finden schon ihren Abnehmer.“ Jetzt beliefert seine Firma Einzel- und Großhändler sowie Hotels. Nach seinen Worten beginnt gerade ein „qualitativer Wettbewerb“. Damit könnte gemeint sein, dass viele Verbraucher sich an fettarmen Croissants für 40 Cent das Stück aus dem Supermarkt satt gegessen haben.
Qualität will Artiback nicht nur durch moderne Technik, sondern auch durch ein gutes Mitarbeiterteam liefern. 70 Beschäftigte wurden inzwischen eingestellt, bis nächstes Jahr sollen es knapp 100 werden. „Wir zahlen Tariflohn und bieten unbefristete Arbeitsverträge“, erklärt Küntzle. In der Cafeteria des Unternehmens gibt es kostenlos Obst, Wasser und Kaffee. Über Tischen mit Barhockern hängt ein großer Flachbildfernseher. Fast liebevoll spricht Küntzle von seinen „Artibäckern“.
Der Unternehmer legt Wert auf Mannschaftsgeist. „Wir hatten bisher keine Probleme, die passenden Mitarbeiter zu finden.“ Die Beschäftigten würden auch von anderen Nahrungsmittel-Herstellern aus der Region kommen. Das verwundert nicht: In der Branche wird eher selten Tariflohn gezahlt, einige Nahrungsmittel-Firmen zahlen lediglich Mindestlohn.
Artiback bei Halle hat Platz für Erweiterungen der Tiefkühlbrot-Fabrik
Beim Rundgang über das Gelände wird deutlich, dass Küntzle langfristig plant. Der Unternehmer hat sich im Industriegebiet „Star Park“ vorausschauend acht Hektar Fläche gesichert. Erst ein Teil davon wurde jetzt bebaut. Wie bei jeder Start-up-Firma aus der IT-Branche ist das Konzept auf Wachstum angelegt. Zur jetzigen Produktionshalle könnte bei entsprechender Nachfrage eine zweite, dritte und sogar vierte hinzukommen. An einem will Küntzle jedoch festhalten: „Wir backen nur Spezialitäten.“ (mz)