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Energiewende Energiewende: Stromnetz in Mitteldeutschland überlastet

Von Steffen Höhne 04.09.2014, 17:46
Mit einem aufgeblasenen Schaufelrad demonstrieren Umweltschützer in Leipzig gegen einen neuen Braunkohletagebau in der Lausitz.
Mit einem aufgeblasenen Schaufelrad demonstrieren Umweltschützer in Leipzig gegen einen neuen Braunkohletagebau in der Lausitz. dpa Lizenz

Leipzig - Tim Hartmann lässt den Morgen gerne ruhig angehen. Kaffee, Croissant und Zeitung gehören für ihn zum Frühstück dazu. Seit kurzem bekommt der neue Vorstandschef des Energieversorgers Envia-M jedoch auch jeden Tag um 7 Uhr die Daten über die Stromeinspeisung der Netztochter Mitnetz auf sein Handy. „Ich schaue erst mal, wie es um die Belastung unserer Netze bestellt ist“, erzählte Hartmann am Donnerstag auf dem Ostdeutschen Energieforum in Leipzig. Die Antwort liefert er gleich hinterher: „Nicht gut. Die Reserven im ostdeutschen Netz sind aufgebraucht.“ Immer öfter müsse der Netzbetreiber wegen zu viel Öko-Strom in den Leitungen Windräder und Solaranlagen abschalten. Im Jahr 2013 habe es 160 Eingriffe gegeben. Allein im ersten Halbjahr 2014 seien es nun 166 gewesen, sagt Hartmann. Zum Vergleich: 2010 waren es 16. Die Envia-Tochter investiere zwar jährlich 300 Millionen Euro in die Netze, doch auch das reiche nicht aus.

Mehr dezentrale Lösungen

Das Beispiel illustriert recht anschaulich die Herausforderungen der Energiewende. Das 3. Ostdeutsche Energieforum, ausgerichtet von der Interessengemeinschaft der Unternehmerverbände Ostdeutschlands (UV) und der IHK zu Leipzig, beschäftigte sich vor allem mit der Frage, wie die Energiewende am besten umzusetzen sei. Die Vorstellungen gehen dabei mitunter weit auseinander. Vor dem Tagungshotel „The Westin“ demonstrierten gut zwei Dutzend Umweltschützer des BUND gegen die Erweiterung von Braunkohletagebauen in der Lausitz. Drinnen erklärte Vattenfall-Deutschlandchef Tuomo Hatakka, warum seine Braunkohlekraftwerke auch in den nächsten Jahrzehnten noch unverzichtbar seien.

Die ost- und norddeutschen Länder sind bei der Umsetzung der Energiewende Vorreiter. Der Chef des Oldenburger Energieversorgers EWE, Werner Brinker, erklärte, dass an windstarken Tagen bereits 70 Prozent des Stroms in den EWE-Netzen aus erneuerbaren Energien stammt. Allerdings seien die Schwankungen enorm. An kalten, windstillen Wintertagen gebe es Stunden, in denen fast kein Ökostrom eingespeist werde. „Wir müssen also einen großen konventionellen Kraftwerkspark vorhalten, auch wenn dieser immer weniger benötigt wird“, sagt Brinker. Er prophezeit, dass beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren „uns irgendwann der Strom aus den Ohren kommt“.

Was genau fehlt und welche alternativen Finanzierungsmodelle es gibt, lesen Sie auf Seite 2.

Was fehlt sind Speichermöglichkeiten. Bisher sind Pumpspeicherkraftwerke die einzig wirtschaftliche Methode, größere Mengen Strom zu speichern. Eon-Manager Mike Winkel warb für mehr dezentrale Energielösungen, bei denen sich kleine Einheiten selbst versorgen. „Viele Haushalte und Industriefirmen haben ein Interesse daran, sich komplett selbst zu versorgen“, sagte er. Dazu gebe es technische Lösungen, die allerdings noch recht teuer seien. Winkel rechnet damit, dass die Preise für Batterien in den nächsten Jahren stark sinken werden und damit autarke Lösungen attraktiv werden. Ein großes überregionales Stromnetz und große konventionelle Kraftwerke würden aber auch dann weiter benötigt.

Der Deutschlandchef von Vattenfall, Hatakka, betonte, „die Energieversorgung wird grün werden, zumindest immer grüner“. Solange es jedoch nicht ausreichend Stromspeicher gebe, seien Braunkohlekraftwerke zur Versorgungssicherheit wichtig. „Krisen in der Ukraine und im Irak zeigen, dass sich Deutschland nicht allein auf den Import von Gas und Öl verlassen sollte“, sagte Hatakka. Die Umsetzung der Energiewende wird nach seinen Worten „kein Sonntagsspaziergang“. Einige Energieversorger würden sicher in dem Prozess auf der Strecke bleiben.

Alternative Finanzierungsmodelle

Der Unternehmer und UV-Sprecher Hartmut Bunsen mahnte, dass in dem Prozess nicht die Haushalte und kleinen Firmen in Ostdeutschland auf der Stecke bleiben dürfen: „In den neuen Ländern seien die Einkommen am geringsten, die Energiepreise aber am höchsten.“ So schlage sich der regionale Netzausbau auf die Stromrechnung durch. Bunsen fordert eine wirkliche Reform der Ökostromförderung - nicht nur Korrekturen. „Es sollten alternative Finanzierungsmodelle geprüft werden“, sagte Bunsen. Kleine Stromverbraucher seien derzeit überproportional belastet. Vor allem möchte Bunsen, dass die Betreiber von Ökostrom-Anlagen stärker in den Markt integriert werden. Viele der Anlagen arbeiteten bereits so effizient, dass staatlich garantierte Einspeisevergütungen kaum mehr notwendig seien. (mz)

Für den Ausbau der erneuerbaren Energien werden bundesweit neue Stromleitungen errichtet oder bestehende erweitert.
Für den Ausbau der erneuerbaren Energien werden bundesweit neue Stromleitungen errichtet oder bestehende erweitert.
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