Der Weg aus der Katastrophe Der Weg aus der Katastrophe: Wie Island die Finanzkrise überwunden hat

Berlin - Es klang wie ein bloßes technisches Detail: Island wird seine Kapitalverkehrskontrollen aufheben, kündigte Anfang der Woche Finanzminister Bjarni Benediktsson an. Tatsächlich wäre dieser Schritt ein Meilenstein - das Ende einer Anti-Krisen-Strategie, die allen Rezepten widersprach, mit denen die Euro-Zone ihre eigene Krise zu bewältigen suchte. Als Island vor dem Bankrott stand, rettete es seine Banken nicht, ließ die Währung abstürzen, erließ Kapitalkontrollen, verweigerte die Schuldenbedienung und schickte Banker ins Gefängnis. Es ist das Land, das alles anders gemacht hat. Mit Erfolg. „Island wurde ein Finanzdesaster prophezeit, doch seine Krise war milder als anderswo“, lobte diese Woche US-Nobelpreisträger Paul Krugman.
Der Weg in die Katastrophe
Islands Weg in die Katastrophe begann bereits in den neunziger Jahren. Damals befolgte es alle wirtschaftsliberalen Ratschläge, die damals en vogue waren: Der Finanzsektor wurde liberalisiert, die Unternehmenssteuern gesenkt, Kapitalerträge wurden kaum besteuert. Privatisiert und befreit von allen Schranken wandelten sich Islands Banken in aggressive Investmenthäuser, die im Ausland massenhaft Kredite zu niedrigen Zinsen aufnahmen, um das Geld in Immobiliendarlehen und Währungsgeschäfte zu stecken.
Der Geldzustrom bescherte dem Land einen Boom, zwischen 2002 und 2007 versiebenfachte sich der Börsenindex. Vom Aufschwung profitierten fast alle, besonders aber die reichsten Isländer, deren Einkommen sich zwischen 1994 und 2007 mehr als verfünffachten. „Das neoliberale Experiment führte zu einer drastischen Zunahme der Ungleichheit“, so Stefan Olafsson und Arnaldur Kristjansson in einer Studie für die Isländische Universität.
Bis 2008 waren die drei großen Banken des Landes – Kaupthing, Glithnir und Landsbanki – zu absurder Größe angewachsen. Ihre Bilanzsumme betrug das Zehnfache der isländischen Wirtschaftsleistung, Islands Auslandsverschuldung lag bei dem Achtfachen des Bruttoinlandsprodukts.
Island ist ein riesiger Hedge-Fonds der Geysiren
Im Oktober jedoch brach die US-Bank Lehman Brothers zusammen, und der internationalen Finanzwelt wurde klar: Island ist ein riesiger Hedge-Fonds mit Geysiren. Auf einen Schlag waren die Banken nicht mehr kreditwürdig. Und damit pleite. Anfang 2009 waren 80 Prozent der isländischen Unternehmen und 30 Prozent der Privathaushalte de facto insolvent. Das 320.000-Einwohner-Land stand vor einem Desaster und musste den Internationalen Währungsfonds sowie die skandinavischen Nachbarländer um Hilfe bitten.
Internationale Investoren begannen daraufhin im Eiltempo, ihr Geld aus Island abzuziehen, was die Landeswährung Krone abstürzen ließ. Um den Abfluss zu stoppen, erließ die Regierung im November 2008 Kapitalverkehrskontrollen. Anfang Januar rebellierte die Bevölkerung und demonstrierte regelmäßig vor dem Parlament.
Statt den Staatshaushalt durch rigide Sparmaßnahmen zu sanieren, setzte Reykjavik daher auf Maßnahmen zur Stützung der Konjunktur. Die Exportwirtschaft profitierte massiv durch die abgewertete Währung. Island kam ohne Massenentlassungen aus, Immobilienschuldnern mussten die neuen Banken bei der Schuldenbedienung entgegenkommen, profitable aber überschuldete Unternehmen erhielten einen Schuldenschnitt. Insgesamt kam ein Viertel der Isländer in den Genuss eines Teilschuldenerlasses.
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Wie auch Irland wurde Island Opfer seiner außer Kontrolle geratenen Banken. Doch während die Politiker in Dublin – unter Druck der EU und der Europäischen Zentralbank – alle faulen Schulden der irischen Geldhäuser übernahmen und die staatlichen Schulden damit explodieren ließen, ging Reykjavik einen anderen Weg.
Die Banken wurden verstaatlicht, in die Insolvenz geschickt und anschließend aufgeteilt in einen guten Teil, zum Beispiel das Privatkundengeschäft, und in den Teil, in dem der Finanzschrott gebündelt wurde. Banken und Investmentfonds mussten ihre Forderungen gegenüber den isländischen Banken zum großen Teil abschreiben.
Komplizierter war die Lage bei den ausländischen Kunden, die ihr Erspartes den großen isländischen Geldhäusern anvertraut hatten. Die deutschen Kunden der Kaupthing Bank erhielten zwar einen Großteil ihrer Einlagen zurück. Anders war es aber bei der Landsbanki-Tochter Icesave, bei der viele Niederländer und Briten ihr Geld zu hohen Zinsen geparkt hatten. Die Regierungen Großbritanniens und der Niederlande beschlossen, ihre Bürger selbst auszuzahlen und präsentierten Reykjavik anschließend die Rechnung: Island solle einen Kredit über fünf Milliarden Euro – rund die Hälfte der isländischen Wirtschaftsleistung – aufnehmen und das Geld Großbritannien und den Niederlanden als Ausgleich zahlen.
Die isländische Regierung ging zunächst auf die Forderung ein. Doch Anfang 2010 verweigerte Präsident Olafur Grimsson die Unterschrift unter das Gesetz. Es kam zur Volksabstimmung, in der 93 Prozent der Isländer die Forderung der Briten und Niederländer ablehnten. Am Ende einigte man sich auf ein Gesetz mit für Island besseren Bedingungen, und dank der anziehenden Konjunktur war Reykjavik in der Lage, die Forderungen zu bedienen. Dieses Jahr schon sollen die letzten Tranchen überwiesen werden. Auch seine Notkredite an den IWF hat das Land schon zurückgezahlt.
Island schlägt sich besser als andere Krisenländer
Insgesamt ist Island mit seiner Strategie deutlich besser gefahren als andere Krisenländer. Die ökonomischen Kosten waren zwar hoch. Doch gemessen am Ausmaß des Bankenzusammenbruchs blieb der Rückgang der Wirtschaftsleistung und der Anstieg der Arbeitslosigkeit moderat. Auch die Finanzmärkte honorierten das: Bereits im Juni 2012 liehen sie Reykjavik wieder Geld.
Nun will die Regierung in Reykjavik den letzten Schritt in Richtung Normalität machen und die vor fast sechs Jahren eingeführten Kapitalverkehrskontrollen aufheben. „Es ist ein Meilenstein, ein sehr schöner Meilenstein“, sagte Finanzminister Benediktsson. Damit die Investoren nicht massenhaft ihr Geld aus Island abziehen, hat er sich eine Bremse ausgedacht: Investoren, die Ansprüche gegenüber den isländischen Pleitebanken aufgekauft haben und nun ihr Geld zurückhaben wollen, müssen eine Steuer von 39 Prozent entrichten. „Das ähnelt eher einer Enteignung als einer Besteuerung“, kommentierte Kaupthing-Banker Johannes Johannsson.