1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Krumme Gurken und Buntstifte: Darum werden EU-Beschlüsse so häufig missverstanden

Krumme Gurken und Buntstifte Darum werden EU-Beschlüsse so häufig missverstanden

Von Jasmin Kohl 08.05.2019, 08:00
Die Gurke wurde zum Symbol europäischer Regelungswut - völlig zu Unrecht.
Die Gurke wurde zum Symbol europäischer Regelungswut - völlig zu Unrecht. dpa

Brüssel - Jedes Jahr verabschiedet die EU unzählige Richtlinien und Verordnungen in verschiedensten Bereichen. Das Ziel: die Mitgliedstaaten auf gemeinsame Standards zu bringen. Selbst EU-Experten verlieren da manchmal den Überblick.

Dazu kommt ein Kommunikationsproblem: Oft wird nicht verständlich erklärt, worum es geht. So entstand das Klischee, Brüssel regelt alles bis ins kleinste Detail und übertreibt es auch gerne mal über die Notwendigkeit hinaus. Hier einige der skurrilsten Mythen und Falschmeldungen.

Dürfen Gurken nicht mehr krumm sein?

Sie ist die wohl bekannteste Verordnung und das Symbol für die „Brüsseler Regulierungswut“: Die sogenannte Gurkenverordnung (1677/88/EWG) aus dem Jahr 1988. Tatsächlich verbannte sie krumme Gurken aus den Supermarkt-Regalen, indem sie eine „maximale Krümmung“ für das Gemüse festlegte: Bis zu einem Zentimeter auf zehn Zentimeter Länge war alles im grünen Bereich. Der Händler durfte seine „gut geformten“ Gurken unter der „Klasse Extra“ und seine „ziemlich gut geformten“ Exemplare unter der Klasse I verkaufen.

Gewächse, die bis zu zwei Zentimeter gekrümmt waren, akzeptierte man noch gerade so unter der Klasse II. Alle anderen wurden nicht nur offiziell als „krumme Gurken“ geführt, ihnen stand auch eine saure Zukunft bevor. Da die Verordnung nicht für verarbeitete Gurken galt, landeten „krumme Gurken“ meist direkt als Essiggurken im Glas.

So bizarr die „Gurkenverordnung“ auch scheinen mag, wirtschaftlich hatte sie ihre Berechtigung: Gerade Gurken können nicht nur leichter zu Salat verarbeitet werden, sie passen vor allem auch besser in die Transportkisten. Für den Handel war die Verordnung also ein Segen.

Dem Spott und dem Unverständnis, die die Regelung beim Rest der Bevölkerung hervorriefen, trotzte die Kommission ganze 20 Jahre lang - bis 2009, als die Verordnung schließlich außer Kraft trat. Zu groß schien der Image-Schaden, den sie der EU zugefügt hatte. Der Großteil der Händler orientiert sich aber noch heute weiterhin an dem genormten Krümmungsgrad - so bizarr es auch klang, es hatte ja seinen Sinn.

Sperrt die EU Sprungtürme in Schwimmbädern?

Dass sich so viele Mythen und Falschmeldungen um die EU drehen, hat vor allem mit der Komplexität der europäischen Gesetzgebung zu tun. Was passiert, wenn privatwirtschaftliche Normen missverständlicher Weise zum EU-Gesetz erhoben werden, hat das hessische Dieburg im Sommer 2013 erfahren.

Eigentlich wollte Bürgermeister Werner Thomas (CDU) nur das städtische Freibad renovieren lassen. Also beauftragte er ein Architekturbüro, ein Gutachten zu erstellen. Als Thomas es in den Händen hielt, stolperte er über den Hinweis, dass der nach Osten ausgerichtete Zehn-Meter-Sprungturm gegen eine europäische Richtlinie verstoße. Um zu verhindern, dass Springer von der Sonne geblendet werden, müssten Sprungtürme in Europa nach Norden ausgerichtet sein, hieß es darin.

Für Thomas war klar: Der Zehner gehörte gesperrt. Erneut stand die EU für irrsinnige Regelungen am Pranger. Schließlich eilte der hessische Europaabgeordnete Michael Gahler (CDU) zur Hilfe und klärte auf, dass eine solche EU-Richtlinie gar nicht existiere. Tatsächlich hatte sich das Architekturbüro auf eine unverbindliche europäische Norm zum Bäder-Bau aus der Privatwirtschaft bezogen, diese aber als Richtlinie bezeichnet.

Verbietet die EU Buntstifte und Wasserfarben?

„EU verbietet Buntstifte und Wasserfarben“ titelte am 27. Januar 2017 die „Bild“-Zeitung. Richtig, aber weniger skandalös wäre der Titel „EU schützt Kinder vor Blei“ gewesen. Denn tatsächlich hat die EU die Grenzwerte für das Schwermetall in Kinderspielzeug verschärft. Doch wie kam das Gerücht, es gebe ein Verbot von Buntstiften und Wasserfarben, zustande?

Rund 30 Prozent dieser Malutensilien sowie Fingerfarben entsprachen damals nicht den verschärften Grenzwerten - anders als der Großteil der Spielwaren. Die Hersteller mussten den Bleigehalt der Produkte senken - von einem gänzlichen Verbot konnte keine Rede sein.

Auslöser der schärferen Richtwerte war übrigens nicht der „Regulierungs-Irrsinn aus Brüssel“, sondern neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigten, wie gefährlich der Stoff für Kinder ist. Entschieden haben die neuen Grenzwerte übrigens die Mitgliedstaaten und das Europaparlament gemeinsam. (mz)