DB-Chef Grube im Portrait Bahnchef Rüdiger Grube im Portrait: Rüdiger Grube übernimmt bis 2020 weiterhin die Federführung der Deutschen Bahn AG

Berlin - Man könnte meinen, dass sich Rüdiger Grube an diesem Ort deutlich wohler fühlt als in der 25. Etage des Bahntowers am Potsdamer Platz, mit diesem atemberaubenden Blick über Berlin – auf den Reichstag und das Kanzleramt, den Schaltzentralen der Macht. Für den Vorstandsvorsitzenden des Staatskonzerns werden die Weichen für die Zukunft der Bahn anderswo gestellt.
Intelligente Zukunftspläne: leuchtende Bahnsteigkanten
In den Backsteingewölben des S-Bahnhofs Jannowitzbrücke, der Mindbox der DB, in der Jungunternehmer mit einem Startkapital von 25 000 Euro und drei Monaten Zeit an Geschäftsmodellen tüfteln können, die im weitesten Sinne mit der Bahn zu tun haben: intelligente Weichen, die sich melden, bevor sie kaputt gehen, leuchtende Bahnsteigkanten, die den Weg zur nächsten Wagentüre weisen, grüne Mooswände, die Brems- und Feinstaub aus der Luft filtern, Apps, die papierloses Reisen in verschiedenen Verkehrsmitteln ermöglichen.
„Wir sind gut für die Zukunft aufgestellt“
In diesem Forschungslabor tritt Bahnchef Grube ans Mikrofon. Es ist Mitte Januar, der traditionelle Neujahrsempfang. „Was mich betrifft, werde ich neben dem Bereich Digitalisierung auch die Federführung von Zukunft Bahn übernehmen. Und ohne der nächsten Sitzung des Aufsichtsrates am 30. Januar vorgreifen zu wollen, möchte ich Ihnen heute sagen, dass wir als Vorstandsteam somit gut für die Zukunft aufgestellt sind.“ Damit ist klar: Die Hängepartie ist zu Ende. Der Aufsichtsrat wird der Verlängerung seines Vertrags um drei Jahre bis Ende 2020 zustimmen.
65-Jähriger Grube hört sich Kritik persönlich an
Drei Jahre, in denen der 65-Jährige, der Brot-und-Butter-Grube, der täglich fünf Bahnkunden persönlich anruft, um sich ihre Beschwerden anzuhören, mit der Bahn durchs Silicon Valley rauschen will. Offensichtlich traut man ihm das zu und irgendwie muss Grube einen seiner größten Skeptiker, Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, letztlich davon überzeugt haben. Der hat den Bahnchef lange zappeln lassen und die Vertragsverlängerung davon abhängig gemacht, ob die Bahnkunden in den Fernzügen endlich auf ein stabiles und kostenloses WLAN zurückgreifen können. Grube hat geliefert, wenn auch auf den letzten Drücker. Schwerstarbeit sei das gewesen, 260 ICE umzurüsten und dabei eine Qualität zu liefern, „mit der wir uns sehen lassen können“.
Der epochale Wandel in der Mobilität, von dem der Bahnboss immer wieder spricht, kommt im Bahnalltag ganz banal daher. Das weiß jeder Kunde, der mal versucht hat, bei Tempo 250 in einem ICE ein halbwegs stabiles Telefongespräch zu führen. Bis Ende 2018 soll das möglich sein, verspricht der Vorstandsvorsitzende und damit alle gleich wissen, was das schon wieder bedeutet, schiebt er eine seiner vielen Zahlen hinterher. 3750 Wagen müssten mit neuen Signalverstärkern ausgerüstet werden: „Sätze wie: »Bitte entschuldigen Sie, aber die Verbindung ist ganz schlecht. Ich sitze im Zug« sind damit in absehbarer Zeit vom Aussterben bedroht.“
Keinen anderen für die Spitze gefunden
Wie die Dinosaurier. Nur Grube nicht. Davon ist er überzeugt. Und sei seine Vertragsverlängerung auch nur dem glücklichen Umstand geschuldet, dass die Politik sich im Jahr des Bundestagswahl nicht auf einen neuen Mann an der Spitze des Staatskonzerns mit seinen 40 Milliarden Euro Umsatz, 300 000 Mitarbeitern in 130 Ländern, 40 000 Zügen und 6000 Bahnhöfen verständigen kann. Für den Kronprinzen, Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, kommt der Job zu früh. Der 65-Jährige muss sich in den kommenden Jahren erstmal um das Brot-und-Butter-Geschäft kümmern: die Infrastruktur und damit auch um den Riesen-Moloch Stuttgart 21.
Und der Bahnchef? Er spricht lieber von der Mobilität in der digitalen Welt, von Sightseeing-Tipps und elektronischen Zeitungen im ICE-Portal, von Elektrorollern für die letzte Meile, davon, dass Industriekunden ihre Gütertransporte heute schon in Echtzeit verfolgen können und das vollautomatische Fahren auf der Schiene nur noch eine Frage der Zeit sei. Rund eine Milliarde Euro will Grube bis 2018 in Digitalisierungsprojekte stecken, ein neuer „Chief Digital Officer“ kommt am 1. April an Bord. „Wir schaffen jetzt das Ökosystem für die digitale Transformation der DB.“ Das alles klingt verdammt gut nach schöner neuer Bahnwelt und bei aller Begeisterung, die Grube dabei an den Tag legt, so einfach wie der Einbau eines Digital-Decoders in eine Märklin-Dampflok.
Verschuldung der deutschen Bahn steigt
Ist es aber nicht. 20 Jahre nach der Bahn-Reform sieht es eher danach aus, als müsse Grube einen Dinosaurier ins digitale Zeitalter führen. Die Verschuldung kommt der Marke von 18 Milliarden Euro immer näher, inzwischen hat Grube, der sie ursprünglich mal auf zehn Milliarden senken wollte, die rote Linie bei 19 Milliarden gesetzt. Das Eigenkapital schrumpft, um die dringend notwendigen Investitionen zu stemmen, muss der Bahnvorstand Teile der erfolgreichen Tochtergesellschaften Arriva und Schenker privatisieren, die Güterbahn schwächelt, hat über die Jahre kontinuierlich Marktanteile verloren, im Regionalverkehr hat die Bahn so viele Ausschreibungen verloren, dass ein radikales Umdenken nötig ist. Immerhin: 2016 kann die Bahn mal wieder mit positiven Zahlen aufwarten, hat einen Betriebsgewinn vor Zinsen und Steuern von 1,8 Milliarden Euro erzielt. Das alles sind Strukturprobleme, mit denen sich der Konzern noch weit über Grubes Amtszeit hinaus wird herumschlagen müssen.
Für einen notorischen Optimisten, der Rüdiger Grube nun mal ist, scheint das alles beherrschbar. Die Umsetzung des Konzernprogramms Zukunft mit dem Themen Pünktlichkeit, Reisenden-Information, Fahrzeug- und Betriebsqualität sei nun mal kein Sprint, sondern ein Marathon. Und wenn sich einer damit auskennt, ist es der Bahnchef. Laufen ist ein Hobby und es ärgert keinen mehr als ihn, wenn er ein selbstgestecktes Ziel nicht erreicht. So war das 2016 mit der Pünktlichkeit im Fernverkehr. 80 Prozent sollten es werden, bei 78,949 ist die Bahn am Ende gelandet. „Da müssen wir besser werden.“
Extra Service für Bahnkunden
Da ist er wieder, der alte Brot-und-Butter-Grube, an der Schwelle zum Digital-Zeitalter, was durchaus kein Widerspruch ist. Noch im Januar, sagt er, wird am über den DB Navigator nicht mehr bloß in Echtzeit verfolgen können, ob der ICE pünktlich ist. Nein. Der Kunde wird auch Gewissheit, in welcher Reihenfolge die Wagen am Bahnsteig halten. Zehn Millionen Handy-Tickets hätten die Bahn-Kunden 2016 gebucht – ein Plus von 60 Prozent. Das müsse man sich mal vorstellen, sagt Grube. Vor acht Jahren, als er Vorstandsposten von Hartmut Mehdorn übernahm, habe es in Deutschland gerade mal fünf Millionen Smartphones gegeben.
So ist das mit der Hochgeschwindigkeit in der digitalen Welt. Da kann auch einem Mann wie Grube kurzzeitig schon mal schwindelig werden. Schon in Kürze werde es selbstverständlich sein, dass die Reisenden Bahnhofs-Boxen per App mieten, die früher einmal Schließfächer hießen, sagt er. Ein Prototyp steht in den Backsteingewölben in der Mindbox des S-Bahnhofs Jannowitzbrücke. Unabhängig von Öffnungszeiten werden Bahnkunden dort ihre hinterlegten Hemden von der Reinigung abholen können, den Schlüssel für einen Mietwagen oder sogar frische Lebensmittel aus gekühlten Bahnhofs-Boxen. Brot und Butter zum Beispiel.