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Arbeitsmarkt Arbeitsmarkt: Zu viele Akademiker in Sachsen-Anhalt?

22.01.2014, 19:42
Die berufliche Ausbildung war ein zentrales Thema des Neujahrsempfangs der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau in Dessau-Roßlau. Dort begrüßte IHK-Präsidentin Carola Schaar gemeinsam mit Hauptgeschäftsführer Thomas Brockmeier (re.) auch Ministerpräsident Reiner Haseloff.
Die berufliche Ausbildung war ein zentrales Thema des Neujahrsempfangs der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau in Dessau-Roßlau. Dort begrüßte IHK-Präsidentin Carola Schaar gemeinsam mit Hauptgeschäftsführer Thomas Brockmeier (re.) auch Ministerpräsident Reiner Haseloff. Sebastian Lizenz

Dessau-Rosslau/MZ - Die hohe internationale Wettbewerbsfähigkeit verdankt die deutsche Wirtschaft zu einem großen Teil seinen Facharbeitern, sagt Bildungsexperte Felix Rauner. Er warnt vor steigenden Studentenzahlen auf Kosten der dualen Ausbildung in Firmen und Berufsschule. Am Rande des Neujahrsempfanges der Industrie- und Handelskammer Halle-Dessau sprach Steffen Höhne mit dem Leiter der Forschungsgruppe Berufsbildungsforschung an der Universität Bremen.

Herr Professor, wie vielen Ihrer Studenten haben Sie bisher geraten, das Studium hinzuschmeißen, um eine Ausbildung zu beginnen?

Rauner: Ich bin nicht mehr in der Lehre tätig, daher stellt sich die Frage nicht. Ich war früher zuständig für die Ausbildung von Berufsschullehrern. Die Studenten verfügten fast alle über eine duale Berufsausbildung. Außerdem reicht bis heute die Zahl der universitär ausgebildeten Berufsschullehrer bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Allgemein lässt sich sagen, es gibt Fächer, wo dringend Studierende gesucht werden wie in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, und es gibt andere Fächer, die hoffnungslos überlaufen sind. Das Zusammenspiel von den an den Hochschulen angebotenen Fächern und Studentenzahlen und dem Arbeitsmarkt für Absolventen funktioniert nicht gut.

Gibt es zu viele Studenten?

Rauner: Es gibt, und dies nicht nur in Deutschland, eine Akademisierung der Bildung. Jungen Menschen wird eingeredet, dass mit einem Studienabschluss ihre Chancen am Arbeitsmarkt steigen. Die Zahl der Studienanfänger in Deutschland ist in den vergangenen zehn Jahren um 40 Prozent auf mehr als 500 000 im Jahr gestiegen.

Gleichzeitig gibt es den Trend, dass Hochschulen mit den neuen Bachelorstudiengängen versuchen, das Studium mehr wie eine berufliche Ausbildung zu gestalten. Beides führt dazu, dass die klassische berufliche Ausbildung in Unternehmen geschwächt wird. Dies sehe ich als Fehlentwicklung an.

Die Arbeitslosenquote bei Akademikern liegt laut Statistik bei 2,5 Prozent. Dies ist doch ein starkes Argument für ein Studium, oder?

Rauner: Die Frage ist, was machen die Hochschulabsolventen nach dem Studium. Eine aktuelle Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigt, dass zehn Prozent im Niedriglohnsektor arbeiten, weil sie keinen anderen Job finden. In den OECD-Ländern liegt der Bedarf an wissenschaftlich Qualifizierten bei nur 20 Prozent. Die Studienquoten sind jedoch höher. Das heißt, Absolventen nehmen Jobs an, die beispielsweise für Absolventen der dualen Ausbildung bestimmt sind, die außerdem noch besser qualifiziert sind.

Ein ausgelernter Lehrling ist besser als ein Hochschulabsolvent?

Rauner: Nicht generell. Aber in einem wissenschaftlichen Studium werden Fachspezialisten ausgebildet. Eine duale Ausbildung soll dazu befähigen, komplexe Aufgaben vollständig zu lösen. Bei der Modernisierung einer Heizung geht es nicht nur um eine hohe Funktionalität, sondern auch um einen hohen Gebrauchswert, erschwingliche Kosten und die Beachtung der Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsschutzbestimmungen. Die „Meisterschaft“ ist das Leitbild für die beruflich Qualifizierten.

Braucht die Wirtschaft künftig nicht mehr hochqualifizierte Mitarbeiter? Die 20 Prozent Akademikeranteil sind nicht in Stein gemeißelt.

Rauner: Diese Quote ist sehr stabil. Wir erleben sogar, dass Unternehmen seit den 90er Jahren vermehrt auf schlanke Strukturen achten. Das heißt, Management-ebenen werden abgebaut, die produzierenden Ebenen gestärkt. Es kommt in einem Unternehmen nicht darauf an, Qualität zu kontrollieren, sondern herzustellen. Dem Abbau von Managementfunktionen steht ein steigender Bedarf an Hochqualifizierten für Forschung und Entwicklung entgegen.

Werden Facharbeiter in den nächsten Jahren knapp?

Rauner: Es gibt Prognosen, die bis 2030 reichen. Diese sagen ein Überangebot von Akademikern voraus und einen Mangel an Facharbeitern. Dies könnte der deutschen Wirtschaft schaden.

Wenn Facharbeitern rosige Zeiten bevorstehen, warum beginnen dann nicht mehr Schulabgänger eine betriebliche Ausbildung?

Rauner: Ein wesentlicher Grund ist, dass die Durchlässigkeit im Bildungssystems unterentwickelt ist. Der Anteil der beruflich qualifizierten Studenten an den Universitäten liegt bei nur einem Prozent. Das heißt, wer kein Abitur hat und eine Lehre beginnt, der hat es bei noch so guten Leistungen schwer, später noch zu studieren. Diese fehlende Karriereperspektive ist ein großes Manko im deutschen System. In der Schweiz benötigt jeder Studienanfänger an einer Fachhochschule eine abgeschlossene Berufsausbildung plus ein berufsbezogenes Abitur. Dies hat sich als Erfolgsmodell erwiesen. Dieses trägt auch zu einer hohen Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft bei, und die Attraktivität der dualen Berufsausbildung ist in der Schweiz im letzten Jahrzehnt noch einmal angestiegen. Mittlerweile entscheiden sich 70 Prozent eines Altersjahrgangs für die duale Berufsausbildung.

Felix Rauner
Felix Rauner
Sebastian Lizenz